- 20 Löcher - 10 Finger - der Haushalt säuft ab! - Elmarion, 04.11.2004, 09:28
- Re: 20 Löcher - 10 Finger - der Haushalt säuft ab! - Euklid, 04.11.2004, 09:55
- Re: 20 Löcher - 10 Finger - der Haushalt säuft ab! - Elmarion, 04.11.2004, 11:39
- Re: 20 Löcher - 10 Finger - der Haushalt säuft ab! - Euklid, 04.11.2004, 09:55
20 Löcher - 10 Finger - der Haushalt säuft ab!
-->DIE ZEIT
46/2004
Im Haushaltsloch
Die Bundesregierung in akuter Finanznot: Renten und Schulden kosten immer mehr, und die Vermögenden entziehen sich der Steuerpflicht
Von Wilfried Herz
FortsetzungvonSeite 23
Hans Eichel weiß, was richtig ist. »So wie bisher geht es nicht weiter«, erklärte der Bundesfinanzminister im Kreise von Genossen. Er stehe für eine »nachhaltige Finanzpolitik«. Sein Ziel sei es, »auch für unsere Kinder und Enkel Wohlstand und einen finanziell leistungsfähigen Staat zu sichern«.
Das war vor anderthalb Jahren.
Seither hat der Finanzminister weitere 70 Milliarden Euro Schulden aufnehmen und zahlreiche Lücken im Bundeshaushalt notdürftig schließen müssen. Jetzt steht er vor dem nächsten großen Loch.
Die aktuelle Steuerschätzung offenbart: Erneut fehlen etwa drei Milliarden Euro. Deshalb ging es schon in den vergangenen Tagen rund im Berliner Finanzministerium. Die Haushaltsnot ihres Dienstherrn machte die Beamten erfinderisch: Streichen eines Feiertags in der Hoffnung, dass die Bürger das Geld gleich wieder ausgeben, das sie zusätzlich verdienen, und so für ein Mehr an Wirtschaftswachstum von 0,1 Prozent pro Jahr sorgen? Ein neuer Solidaritätszuschlag für Besserverdienende? Das Aussetzen der letzten Stufe der Steuerreform? Die Ideen wurden fast so schnell verworfen, wie sie geboren waren.
Hartnäckig hielt sich dagegen der Vorschlag, Forderungen des Bundes gegenüber den Russen oder auch deutschen Mittelständlern mit einem Abschlag an Banken zu verkaufen. Oder auch dieser besonders raffinierte Einfall: Ansprüche auf die Zahlungen, die Post und Telekom in der Zukunft für Pensionen der früheren Postbeamten leisten müssen, könnte man doch auf dem Kapitalmarkt zu Geld machen. Nur, wenn künftige Einnahmen, die eigentlich künftige Ausgaben decken sollten, heute versilbert werden, kann von einer nachhaltigen Finanzpolitik nicht die Rede sein.
Armes Deutschland, in dem Straßen nicht mehr repariert, Kindertagesstätten geschlossen werden, für Schulen, Wissenschaft und Forschung das Geld fehlt, der Staat seine Zahlungen und Hilfen allüberall kürzt. Das alles geschieht in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt, in der Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen immerhin fast die Hälfte aller Leistungen für sich beanspruchen.
Aber was ist der Grund dafür? Spart die Regierung schlicht nicht genug? War die Steuerreform, laut Eigenlob der Bundesregierung »die größte in der Geschichte der Bundesrepublik«, ein Fehler, weil sie den Staat um wichtige Einnahmen gebracht hat? Oder sind die Haushaltsnöte nur vorübergehend, eine Folge von wirtschaftlicher Stagnation und schwachem Wachstum seit 2001?
Schon heute ist abzusehen, dass die öffentlichen Mittel noch knapper werden. Denn der Staatshaushalt steht bei Ausgaben und Einnahmen unter vielfachem Druck - wegen der Lasten aus der Vergangenheit und der Hypotheken auf die Zukunft. Auf der Ausgabenseite sind es vor allem drei Riesenposten, die immer größer werden: Rentenzuschüsse, Zinszahlungen für den Schuldenberg und Pensionsleistungen für das wachsende Heer von Beamten im Ruhestand. Schon in den vergangenen Jahren sind diese Kosten kräftig gewachsen, in den nächsten Jahren werden sie weiter steigen.
Weil die Bevölkerung altert, werden die Zahlungen des Bundes an die Rentenkassen zwangsläufig zunehmen. Bereits 78 Milliarden Euro stehen als Rentenzuschuss in Eichels Haushaltsplan für das nächste Jahr, mehr als dreimal so viel wie vor zehn Jahren.
Die Ausgaben für Kreditzinsen werden weiter steigen, solange der Schuldenberg des Staates immer neue Rekordhöhen erreicht. »Der Hauptgrund für die Verschuldung«, sagt Baden-Württembergs Finanzminister Gerhard Stratthaus (CDU), »ist die Verschuldung.« So muss der Bund nahezu jeden fünften Euro, den er in diesem Jahr an Steuern einnimmt, gleich wieder für Zinsen aufwenden. Bei Ländern und Gemeinden ist es immerhin noch fast jeder achte Euro - und das bei historisch niedrigen Zinssätzen. Eichel kalkuliert derzeit mit einem Durchschnittszinssatz von gerade einmal 3,28 Prozent. Steigt die Verzinsung für die gesamten öffentlichen Schulden nur um einen Prozentpunkt, führt das zwangsläufig zu Mehrausgaben des Staates von 14 Milliarden Euro - pro Jahr, wohlgemerkt.
Noch dramatischer ist die Welle von Pensionszahlungen, die in den nächsten Jahrzehnten auf den Staat zurollt. Um welche Summen es dabei geht, macht die Rechnung des Berliner Finanzministeriums im Zusammenhang mit den Post-Pensionen deutlich: Danach belaufen sich die Verpflichtungen des Bundes allein für die Ex-Postler und ihre Hinterbliebenen - abgezinst auf den heutigen Barwert - auf 150 Milliarden Euro. Der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen beziffert die künftigen Pensionszahlungen des Gesamtstaats auf 600 Milliarden Euro. Rentenzuschüsse, Kreditzinsen, Pensionszahlungen: Zwischen diesen Blöcken werde der politische Gestaltungsspielraum »regelrecht eingequetscht«, wie ein Berliner Spitzenbeamter feststellt. Aber wie soll der Finanzminister bei solchen Verpflichtungen noch Geld übrig behalten, um Politik zu machen, Zukunftsaufgaben in Angriff zu nehmen?
Kein Wunder also, dass der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums ebenso wie die Fünf Wirtschaftsweisen oder das Kölner Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut (FiFo) der Finanzpolitik im Gleichklang attestieren: nicht nachhaltig. Wenn die Finanzminister die Schulden nicht immer höher treiben wollten, müsste »die gesamtwirtschaftliche Abgabenquote um etwa drei Prozentpunkte angehoben oder die Staatsausgabenquote entsprechend gesenkt werden«, hat Eichels Beirat schon 2001 erklärt. Das entspräche einem Betrag von etwa 60 Milliarden Euro jährlich. Rechnungen von Wissenschaftlern, die mit Generationenbilanzen hantieren, kommen sogar auf jährlich 120 Milliarden, die einzusparen wären, um unsere Enkelkinder nicht noch zusätzlich zu belasten.
Das FiFo, von Eichel selbst mit der Expertise beauftragt, schlägt vor, nicht nur zu fragen, wie viel der Staat ausgibt - sondern auch, wofür. Sonst bestehe die Gefahr, mit Ausgabenkürzungen ausgerechnet diejenigen Bereiche »besonders hart zu treffen, von denen eine positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung ausgeht«. Zu den »wachstums- und nachhaltigkeitswirksamen öffentlichen Ausgaben« zählen die Wissenschaftler die Etatposten für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Infrastrukturleistungen, Umwelt- und Naturschutz, Gesundheit, die Familienförderung und auch die aktive Arbeitsmarktpolitik. Der Befund ist erschreckend: Seit Jahren schrumpfte dieses Teilbudget des Bundes und betrug 2002 nur noch 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Auch auf der Einnahmenseite droht dem Staat weiteres Ungemach. Wegen der zahllosen Ausweichmöglichkeiten im deutschen Steuerrecht zahlen immer mehr Bürger und Unternehmen immer weniger an den Staat. Zudem sorgt der internationale Steuerwettbewerb dafür, dass die besonders mobilen Steuerzahler - multinationale Konzerne, aber auch größere Mittelständler und die Eigentümer großer Vermögen - nicht stärker belastet werden können. Anders gesagt: Gerade denjenigen, bei denen der Fiskus nach landläufiger Meinung am meisten holen könnte, fällt es am leichtesten, Gewinne, Vermögen oder auch den Wohnsitz in Länder zu verlagern, in denen niedrigere Steuern anfallen. »Wenn der Staat mehr zulangt«, ist der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel von der Universität Gießen überzeugt, »dann würden sich noch mehr aus Deutschland verabschieden.« Wenn aber zu viele Reiche ausweichen, schwindet auch die Steuermoral der Mittelschicht.
Und selbst wenn womöglich »die Mobilität am oberen Ende der Einkommenskala überschätzt wird«, wie der Wuppertaler Ã-konom Ronald Schettkat vermutet, wären mit Steuererhöhungen die Lücken nicht zu füllen. Selbst der schleswig-holsteinische Finanzminister Ralf Stegner (SPD), der in seinem Steuerreform-Modell einen Steueraufschlag von fünf Prozent für Spitzenverdiener mit Jahreseinkommen über 500000 Euro vorschlägt, rechnet allenfalls mit Mehreinnahmen von einer Milliarde Euro im Jahr - der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Doch was wäre geschehen, wenn Rot-Grün von vornherein auf die ganze Steuerreform verzichtet hätte? Eine berechtigte Frage, da das versprochene Wirtschaftswachstum und die neuen Arbeitsplätze ausblieben? Die Mehrheit der Ã-konomen ist sich einig: Dann wäre die Wirtschaftsentwicklung noch schlechter gewesen. Nach Ansicht von Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschafts-Archivs (HWWA), hat die Steuerreform sowohl die Angebots- wie auch die Nachfrageseite gestärkt. Die letzte Stufe der Reform zu streichen, die zum Jahresbeginn 2005 in Kraft treten soll, wäre »der völlig falsche Weg«. Eine solche Notoperation würde nur belegen, dass es keine Langfristpolitik mehr gibt. »Der Vertrauensverlust wäre immens«, so Straubhaar.
Thies Büttner vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vermutet sogar, dass der Staat über Unternehmensteuern mehr Geld hereinholen könnte, wenn er die Steuersätze senken würde. Denn der Steuerwettbewerb sei »auch ein Wettbewerb zwischen den Staatskassen«. Dabei gehe es um die Frage, wo ein Unternehmen seine Gewinne ausweist. Bei einer hohen Steuerbelastung, »wie das in Deutschland der Fall ist«, so Büttner, würden deutsche Unternehmen die Gewinne über eine Tochtergesellschaft ins Ausland schleusen und ausländische Konzerne ihre Gewinne lieber zu Hause als in Deutschland versteuern. Der Staat versucht zwar, gegen die Steuerverlagerung vorzugehen - aber mit wenig Erfolg.
Hohe Ausgaben, geringe Einnahmen, trotz hoher Steuersätze: Das größte Problem des deutschen Steuersystems dürfte in der mangelnden Effizienz liegen. Die Steuersätze sind im internationalen Vergleich nach wie vor hoch, für Unternehmen liegen sie sogar in der Spitzengruppe aller Industrieländer. Daran hat auch die rot-grüne Steuerreform nichts geändert. Insbesondere ist die Belastung jedes weiteren Euro Gewinn höher als andernorts.
Deshalb meiden zu viele Unternehmen bei neuen, lukrativen Investitionen den Standort Deutschland. So kommt es, dass insgesamt nur wenig Geld in die Staatskasse fließt. Tatsächlich ist die so genannte Steuerquote, das gesamte Aufkommen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, mit knapp über 20 Prozent nicht nur auf einem historischen Tief. Es gibt auch kein anderes Industrieland, das sich mit so wenig Steuern zufrieden gibt.
Die Ursache dafür ist die völlig durchlöcherte Bemessungsgrundlage: Hier eine Steuervergünstigung, dort eine Abschreibungsmöglichkeit - das führt dazu, dass Steuerzahler selbst bei gleichem Einkommen vollkommen unterschiedlich belastet werden.
Besonders Spitzenverdiener machen sich die Gelegenheit, auf legale Weise kräftig Steuern zu sparen, gern zunutze, wie eine Statistik im Gutachten der Fünf Wirtschaftsweisen belegt. Danach mindert über die Hälfte der Topverdiener ihr steuerpflichtiges Einkommen ganz erheblich durch Verluste aus vermietetem Wohneigentum. Unter den Normalverdienern ist es nur jeder Zehnte, der dieses Schlupfloch nutzt, und das auch mit prozentual erheblich geringeren Beträgen.
Alle Steuerreformer in Politik und Wissenschaft kennen die Lösung: Sämtliche Vergünstigungen sind zu streichen, alle Schlupflöcher zu schließen. Allerdings: Als sich Hans Eichel daranmachte, bei seiner Steuerreform eine Reihe steuerlicher Subventionen zu streichen, blockte die Union im Bundesrat ab. Auch in seiner jetzigen Not wäre der Abbau dieser Subventionen Hans Eichels Rettung - und ein Stückchen nachhaltige Finanzpolitik. Doch daran traue sich der Finanzminister nur noch, so ein Vertrauter des Ministers, »wenn er von der Union das Signal bekommt, dass sie im Bundesrat bei der Stange bleibt«.
Davon ist bisher nichts zu hören.

gesamter Thread: