- Mal wieder was vom Spatz - VictorX, 08.11.2004, 09:08
Mal wieder was vom Spatz
-->Wie konnte man nur so wählen?
Wenn man sie nachher fragt, will die keiner gewählt haben. Das gilt auch hier, wer will denn schon Schröder oder Trittin gewählt haben, damals. Damals, das war, als man den Kosovokrieg schnell vergessen hatte, um zu glauben, Rot-Grün sei immer noch gegen deutsche Beteiligung an frieden-, demokratie- und energiesichernden Raubüberfälle, weil man sich im Falle Irak heraushalten durften. Das Vergessen, wen man selbst eigentlich gewählt hatte, fängt in den USA angeblich schon am Tag nach der Wahl statt. Doch glaube ich nicht, daß es nur an den Wahlmaschinen liegt. Da klicken Sie das Bild eines Kandidaten an, aber wen Sie wirklich gewählt haben, weiß nur der Programmverwalter der Maschine. Die nachträgliche Erregung darüber hilft vielen Menschen mit der Enttäuschung über den Wahlausgang fertig zu werden.
Ansonsten paßt das Wahlergebnis recht gut in die Geschichte der USA, in der von Anfang an kaum ein Jahr ohne militärische"Intervention" vergangen ist. Das wird kaum wahrgenommen, weil natürlich Schuld daran immer nur die anderen waren. Das lag zweifellos auch an den militärischen Erfolgen der US-Interventionstruppen. Sicherlich, auch Osama bin Laden hatte dieses Mal wieder rechtzeitig ausgeholfen, wenn auch dieses Mal weniger spektakulär mit einem Video aus irgendeinem der Studios, von denen Sie nicht wissen, wo sie sich befinden.
Aber Hand aufs Herz, hätten Sie lieber mit Kerry die Abtreibung gängig und Homosexualität gesellschaftsfähig gemacht? Ob Kerry das gemacht hätte, weiß man nicht, aber den Wählern wurde es glaubhaft gemacht. Bei uns in Europa ist jemand, der Homosexualität nicht schick findet, nicht kommissionsfähig, die Amerikaner sind noch nicht soweit. Auch dagegen und gegen ähnliche"freiheitliche" Errungenschaften haben sie - wie sie meinen - gewählt. Sonst gab es ja nicht allzu viele faßbare Unterschiede zwischen den Kandidaten, wenn man von flotten Wahlsprüchen mal absieht. Daß die Wirtschaft in den USA nicht so funktioniert, wie es im Wall Street Journal steht (und selbst da steht sie nicht gut), wußten die Wähler aus eigener Erfahrung. Wie es anders gemacht werden sollte, das wissen Sie nicht, und die Kandidaten haben ihnen dazu nichts gesagt.
"Die ganze Welt fieberte mit". Es wurde großes Theater um diese Wahl aufgeführt. Man mobilisierte die Leute auf bisher nicht gekannte Weise, und konnte bei ihnen den Eindruck erwecken, es handele sich um die wichtigste Wahlentscheidung in ihrem Leben. Aber gab es so große Unterschiede? Gewiß, Kerry hätte lieber auch deutsche Hilfstruppen im Irak gesehen und Struck schickte sich bereits an, den Schwenk vorzubereiten. Das ist jetzt vielleicht nicht mehr nötig. Aber nach dem Wahldebakel von 2000 kam es schon darauf an, in den vorbildlichen USA wieder echte, demokratische Wahlen vorzuführen. Es konnte nicht angehen, daß man Demokratie im Ausland zwangsweise einführt und im eigenen Land melden sich gerade mal 50% der Bevölkerung zur Wahl an, von denen dann wiederum nur an die 50% auch tatsächlich zur Wahl gehen, von denen sich wiederum etwa 50% für den wegen undurchsichtiger Auszählungen letztendlich vom Gericht gekürten Präsidenten entschieden haben sollen. So etwas durfte sich des guten demokratischen Rufs wegen nicht wiederholen und so war es dieses Mal anders. Amerika hat so gut es ging gewählt (Überwältigend war die Beteiligung auch dieses Mal nicht, was aber nicht unbedingt gegen den Witz der Amerikaner spricht). Die Marionetten in Afghanistan und Irak werden sicher mit größerer Beteiligung und eindeutigeren Ergebnissen gewählt werden, dafür ist, wie für vieles andere auch, mit Sicherheit gesorgt.
Doch was erwartet uns nun? Eine Wende wird es nicht geben - die gab es bei eindeutigeren Gelegenheiten auch in Deutschland nicht. Selbst Rot-Grün setzt mit ihrer Demontagepolitik nur fort, was Kohl angefangen hatte. Vielleicht hätte eine andere Regierung weniger Wind um die Kernenergie gemacht, aber unter CDU-Regie machte die Kernenergie auch keine Fortschritte und wurde das hoffnungsvollste und umweltfreundlichste Kernenergieprojekt, der Hochtemperaturreaktor, nach China und Südafrika verbannt. Die Wendelosigkeit ist nicht verwunderlich, denn es regiert ein Hintergrund, die Gewählten haben seine Politik werbewirksam zu verkaufen. Wie schrieb der Journalisten Konrad Adam in seinem Artikel"Und vom Volke abgewandt", in"Die Welt", am, 30.06.2003):
"Die Staatsgeschäfte liegen in der Hand von Leuten, die weniger für die Politik als von der Politik leben wollen - und das auch tun. Wenn sie tätig werden, heißt ihre erste Frage: Was bringt es mir? Die nächste, was bringt es der Partei? Und erst an dritter Stelle (wenn überhaupt) steht die Frage, was es für das Land bringen könnte. Die Berliner CDU hat dafür immer wieder traurige Beispiele geliefert!"
Aber natürlich nicht nur die:"Hierin herrscht parteiübergreifend in allen westlichen Demokratien 100 prozentiger Konsens". Das liegt nicht an einer besonderen Boshaftigkeit derer, die gewählt werden - Arbeitnehmer, die um ihren Job bangen. Es ist die gesetzmäßige Folge der Institution. Das hätte der Soziologe Max Weber wissen sollen, als er"Politik als Beruf" schrieb. Hier liegt auch der Grund dafür, weshalb diese Art"niemand ist wirklich Schuld"-Regierungsform bei der weitschauenden Aristokratie am Ende ihrer Zeit und von der sie ablösenden Geldaristokratie von vornherein so geschätzt wurde. Diese Leute wußten, daß Wähler und Gewählte nicht politisch entscheiden, sondern egoistisch - wer verspricht mir mehr? - und damit läßt sich gut aus dem Hintergrund regieren. So lange es einigermaßen läuft, ja. Für den Fall, daß es - wir gerade jetzt - nicht so gut laufen sollte, hatte der Soziologe Winfredo Pareto mit seinem Konzept der"Rotation der Eliten" schon vorgesorgt: Bei wachsender Unzufriedenheit die Werbemannschaft auswechseln! Das verursacht zwar zusätzliche Kosten, weil sich die neue Mannschaft erst einmal bedienen wird, besänftigt aber die Gemüter. Der Soziologe Pareto war Ã-konom, kein Psychologe. Sein Rat gilt für kleinere Unzufriedenheiten. Ist die anstehende Krise eine Systemkrise und damit wirklich erschreckend, dann werden die Erschrockenen starr: Nur keine Änderung, nur an nichts rühren!
Die Krise kommt quasi automatisch. Die Erschrockenen haben mit der"Niemand ist Schuld"-Regierungsform auch die"Niemand ist Schuld"-Wirtschaftslenkung - jedenfalls glauben sie das - auf Autopilot gestellt, nämlich auf die"freie", von keinem Menschen (bis auf einige wenige, ungern genannte Geldsäcke) zu lenkende Marktwirtschaft. Das"nur an nichts rühren" ist zwar"natürlich", aber in einer Systemkrise der denkbar größte Fehler. Diesem Fehler erliegen die Geführten eher als die Führer. Einen solchen meinte man in den USA gewählt zu haben. Aber Menschen können sich irren, vor allem dann, wenn sie ihr Denken, Wollen und Empfinden den Massenmedien überlassen. Könner ihre Faches (Psychoanalytiker) halten den Gewählten eher für einen Psychopath. Wie dem auch sei - schon immer wünschte sich ein Regierungsapparat an seiner Spitze ein großes Maul aber keinen denkenden Kopf, weil der mit eigenen Vorhaben nur für Durcheinander und Schwierigkeiten sorgen würde.
Bei dieser Wahl ging es nicht, wie die Medien immer wieder proklamierten, um Sprengstoff-Terrorismus, die Landnahme in Palästina, die strategische Besetzung Zentralasiens in Afghanistan oder den Ã-l-Raub im Irak. Die eigentlichen Terroristen bei allem"Kampf dem Terrorismus" waren in der Wirtschaft zu suchen, sie heißen Arbeitslosigkeit, Überverschuldung, Zahlungsunfähigkeit etc. Auch diese Namen bleiben noch vordergründig an der Form hängen. Im Grunde ging und geht es um Herstellung und Verteilung der Versorgungsgüter, ohne die wir nicht existieren können, und von denen man uns sagen läßt, wir hätten zu viel davon und würden darin ersticken. Diese Güter werden aber nicht in der benötigten Menge hergestellt, weil niemand sie mehr gewinnbringend verkaufen kann oder will.
Willi Lautenbach und einige seiner Freunde in der List Gesellschaft standen 1931 vor einem ähnlichen Problem. Sie fanden eine finanztechnisch gangbare Lösung. Doch dazu bedurfte es einer Regierung mit der Machtbefugnis, in die"Niemand ist Schuld"-Wirtschaftslenkung eingreifen zu dürfen und zu können. Das hätte die vorhandenen Machtverhältnisse verschoben und die Hintergrundmenschen um die wohl verdienten Früchte ihrer Jahrzehnte langen Intrigen und Arbeit gebracht. Das durfte nicht sein.
Später und unter anderem Namen (dem von John Maynard Keynes) bedienten sich Regierungen ähnlicher Rezepte. Sie waren aber so abgeändert worden, daß sie den Verdienst der bisher Verdienstvollen, vor allem ihre Macht, nicht nennenswert schmälerten. Damit ließ sich so manche nötige Krise der Marktwirtschaft gekonnt umschiffen - und bis zur Systemkrise vor sich herschieben. Man vergaß - oder tat so - daß der Markt selbst die Krise ist, daß die Krise die ausgesetzten Marktmechanismen umsetzt - das hatten Smith Ricardo und auch Marx noch gewußt. Heutigen verbeamteten Propagandisten der freien Marktwirtschaft scheint der Zusammenhang fremd zu sein, sie glauben, weil man ihnen das sagt, an eine krisenfreie Marktwirtschaft, daher das gebetsmühlenartige"Der Aufschwung kommt".
Das marktwirtschaftliche System läuft aufgrund seiner Marktgesetzlichkeit am Ende seiner Tage auf die Forderung nach einer"stationären" (dann nicht mehr marktwirtschaftlichen) Gesellschaft hinaus, um die Krise vom Allerheiligsten, der eingeschliffenen Herrschafts- und Reichtumsstruktur fernzuhalten. Daß es dazu einmal werde kommen müssen, ahnte übrigens schon Adam Smith, und diese Ahnung wurde von John Stuart Mill theoretisch weiter ausgearbeitet und führte schließlich zu Marx'schen Weltrevolutionstheorie. Die Lösung sollte eine stationäre Gesellschaft seine, die sich nicht mehr weiterentwickeln würde und solle. Eine solche Gesellschaft, vor allem wenn sie nicht eine (wovon Marx träumte) für alle Schichten wohlhabende sein würde, tut sich schwer mit der Motivation ihrer Bürger. Sie kann von den Herrschenden auf zwei Wegen aufrechterhalten und ausgerichtet werden, nämlich als Ã-ko-Faschismus oder als so etwas wie Brutalo-Faschismus (sprich nackte Gewalt, das Gegeneinanderhetzen von Gruppen, siehe Terrorismus, (Anti)Kommunismus etc.). Zwischen den zwei Tendenzen konnten die Amerikaner jetzt wählen. Sie wählten so, wir - wie am Wiederauflebenlassen der Klima-Katastrophe ersichtlich - das Gegenteil. Wem diese Alternative nicht paßt, der müßte sich für etwas"ganz anderes" entscheiden. Dafür gibt es allerdings sachbedingt kaum Vorbilder und keine bequemen Handlanger, an die man die politischen Entscheidungen gegen ein paar wohlklingende Versprechungen abtreten kann, vor allem gibt es dabei keinerlei Unterstützung durch sogenannte"Anerkannte" und - wohl am Unangenehmsten - in einer solchen Gesellschaftsform trüge man für das Versagen selbst die Schuld und nicht immer irgendwelche andere.
Wundern Sie sich noch, daß Wähler und Gewählte sich so fest an die"Niemand ist Schuld"-Gesellschaftsform klammern? Tun Sie es nicht selbst, jedenfalls so lange, bis die zu tragenden Folgen unerträglich werden?"Schaun 'mer mal, dann sehn 'mer's schon. Vielleicht wird's ja doch ganz anders". Genau so haben die Amerikaner gewählt.
www.spatzseite.de

gesamter Thread: