- Das technische System der Römer (bernor gewidmet) - Euklid, 12.11.2004, 11:51
- Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt? - sensortimecom, 12.11.2004, 15:59
- Re: Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt? - Euklid, 12.11.2004, 17:28
- Re: Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt? - bernor, 12.11.2004, 20:22
- Re: Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt? - Euklid, 12.11.2004, 17:28
- Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt? - sensortimecom, 12.11.2004, 15:59
Re: Haben die Denkknechte der Römer zuwenig Innovationen ausgepuckt?
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Hallo Erich.
Die meisten Historiker schlagen Erklärungen für die römische Dekadenz vor,die auf verbaler Ebene verbleiben und zu offensichtlich moralisierende Absichten hegen.
So sei Rom zu Fall gekommen,weil die Männer den Wehrdienst verweigerten,die Frauen die Mutterschaft abwiesen,die Eliten sich der Ausschweifung hingaben,die Verteidigung und Verwaltung des Staates Freigelassenen oder Barbaren anvrtraut worden seien.
Natürlich sind diese Phänomene aufgetreten,und ihr Zusammenwirken ließ dem Weltreich wenige Überlebenschancen.
Die Frage nach dem warum ihres Entstehens bleibt jedoch bestehen.
Warum sind die Römer plötzlich zu Italienern geworden?Warum hat die Tugend plötzlich Lastern Platz gemacht?Ist dies die Ursache oder das Resultat des technischen Rückschritts?
Zur entropologischen Erklärung
Im klassischen Schema der idealistischen Weltanschauung handelt zunächst der Mensch,der dér Technik gegenüber souverän ist,der Moral zuwider,und dieses Vergehen wird anschließend mit Dekadenz bestraft.
Das Verhältnis kann jedoch auch umgekehrt werden,und man kann vermuten,daß sich die Römer vergeblich bemüht haben,ein technisches System zu managen,das in Wirklichkeit instabil war.
Das sie nichts von der Natur der wirtschaftlichen und technischen Phänomene verstanden,haben die von ihnen angewandten Hilfsmittel das Übel noch verstärkt.
Von da an verloren sie den Glauben an ihre Institutionen und dämmerten tatsächlich in einer kollektiven sozialen Pathologie dahin.
Summa summarum würde dies den Beweis nahelegen,daß man ein technisches System nur verwalten kann,wenn man fähig ist,es zu erfinden und zu vervollkommnen.
Die technische Unwissenheit verhindert eine maximale Ausnutzung seiner Ergiebigkeit;eine mangelnde Erfindungsgabe verbietet das Überschreiten einer Scheidelinie,die den Zugang zu einem neuen technischen System ermöglicht.
So bleibt die Kolonisation die einzige mögliche Maßnahme,d.h die extensive Ausbeutung eines immer größeren Gebietes durch ein technisch blockiertes System.
Der Zenturio kann sich für eine gewisse Zeit an die Stelle des Ingenieurs,der Prokonsul an die des Gelehrten setzen.
Eine Vorahnung unseres eigenen Untergangs?
Die wirtschaftliche und soziale Pathologie,die gewöhnlich einer plötzlichen und unerklärlichen Änderung des sittlichen Empfindens zugeschrieben wird,hat sich unerbittlich in dem geschlossenen physikalischen System entwickelt,das das Mittelmeerbecken darstellt.Die freien Energieressourcen mußten immer seltener werden,oder mit anderen Worten,die Entropie konnte nur zunehmen.
Das bedeutet praktisch,daß die Ausbeute der - übermäßig ausgenutzten Felder ständig abnimmt,und daß diese Äcker sich in Wüsten verwandelt haben.
Seit dem ersten Jahrhundert klagte Columnelle über die mangelhafte ´Düngung,die schlechte Anwendung der Koppelwirtschaft und die Brachlegung.
Die sehr anfälligen Mittelmeerwälder sind abgeholzt worden,und die am leichtesten zugänglichen Erzlagerstätten sind ausgebeutet worden.
Von der römischen Epoche der großen Entdeckungen hat die Verknappung der Edelmetalle,wie des Silbers und des Goldes,eine wahre Plage dargestellt.
Die Wiederherstellung des demographischen Gleichgewichts
Bleibt die Technologie in einem bestimmten Grenzgebiet gleich,nimmt die Bevölkerung allmählich ab.,sobald sie dem Phänomen der zunehmenden Entropie unterworfen ist
Es ist die einzige Art,jedermann einen angemessenen Teil der abnehmenden Ressourcen des Systems zu sichern.
Das Römerreich hat nicht gegen diese Regel verstoßen:Die Bevölkerung die zu Beginn des dritten Jahrhunderts n.Chr. 75 Millionen EW erreicht hatte,ist gegen Ende dieses Jahrhunderts auf 50 Mio gesunken,infolge von Hungersnöten,Kriegen und Pestepidemien.
Nach dem Untergang Roms reduzierten sich die Dimensionen der Stadt auf die eines neolithischen Systems,d.h auf knapp 30 000 Einwohner.
Wegen Mißbrauchs der nicht erneuerbaren - oder nur langsam erneuerbaren - Resourcen durch die Römer ist das von den Griechen,Assyrern,Phöniziern und Hethitern ererbte technische System zusammen gebrochen;und zwar bei der Eroberung Roms durch Alarich im Jahre 410,bei der Plünderung Alexandriens und der Einäscherung seiner Bibiliothek durch die Araber im Jahre 642 und bei der Einnahme Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453.
Dieser Untergang kennzeichnet das Ende der großen abendländischen Weltreiche.Es hat sich herausgestellt daß diese keinen politisch lebensfähigen Oberbau für eine neolithische technische Infrastruktur darstellten.
Rom stellt ein echtes Schulbeispiel dar:Es führt uns ganz klar die unwiderstehlichen Auswirkungen der Entropie in einem geschlossenen System vor Augen,indem die politische Unordnung einfach nur das physikalische Chaos widerspiegelt.
Die Stadt Rom verkörperte innerhalb des Imperiums ein offenes System,das seine Energie aus dem geschlossenen System des Mittelmeerraumes schöpfte.Die Einwohner der Stadt konnten also die Illusion hegen,Zugang zu unbegrenzten Resourcen zu besitzen.Luxus Verschwendung,gigantische Architektur hatten die Funktion,auf eindrucksvolle Weise die Existenz des Gesetzes der zunehmenden Entropie zu leugnen.Je näher das Römerreich seinem Ende kam,umso unentbehrlicher wurden die Schauspiele für die Aufrechterhaltung der Illusionen.
Von der Barbarei zur Dekadenz
Häten die Römer diesem Schicksal entrinnen können und wie wäre das zu bewerkstelligen gewesen?
Es geht nicht darum die Geschichte wieder aufzurollen,sondern es geht um den Versuch,die kulturellen Fehler hervorzuheben,die die Römer daran gehindert haben,ihr Schicksal besser in die eigenen Hände zu nehmen.
Die führende Klasse bestand ausschließlich aus Grundbesitzern,Offizieren,Juristen und Beamten,wogegen Handarbeit den Sklaven überlassen blieb.
Die egierungsgewalt wurde von Leuten ausgeübt,die weder eine präzise Vorstellung von den materiellen Ressourcen des Imperiums hatten noch von der Art und Weise,sie sich zu verschaffen und sogar möglicherweise zu vermehren.
Sie Kannten ausschließlich die Militär oder die Rechtsgewalt.
Noch stärker als die Griechen haben sich die Römer in dem Schema zweier Kulturen isoliert;die eine verbal,juristisch,philosophisch,adlig,die andere materiell,technisch,wissenschaftlich,die den Ausführenden vorbehalten war.
Die gesamte lateinische Welt ist heute noch von dieser kulturellen Schizophrenie betroffenm,die deutlich macht,warum die industrielle Revolution in den Ländern Nordeuropas erfolgeicher gewesen ist.
Die besten römischen Kaiser haben niemals daran gedacht - so wie die Ptolemäer in Alexandrien - eine wissenschaftliche,medizinische und technische Schule ins Leben zu rufen die alles hätte ändern können.
Im übrigen waren die führenden Persönlichkeiten Roms ganz in eine Staatsreligion versenkt,die sich auf einen primären Animismus beschränkte und die von den Eliten nicht sehr ernst genommen wurde,auch wenn sie sich abergläubisch nach manischen Riten richteten.
Von Augustus an gab sich die kaiserliche Familie schwachsinnigen Spielen hin,die darin bestanden,sich nach einer orientalischen Sitte göttlich verehren zu lassen.
<font color=#FF0000>Was taugen die Entscheidungen einer Persönlichkeit,die sich für Gott hält oder daran zu glauben vorgibt und die ihre jeweilige Inspiration in den Eingeweiden der - auf dem Altar dargebotenen Opfer suchte?</font>
Will man den Ausspruch Bernard Shaws über die Vereinigten Staaten auf Rom übertragen,dann könnte das Schicksal Roms so zusammengefaßt werden:Ein Imperium,das direkt den Schritt von der Barbarei zur Dekadenz gemacht hat,ohne jemals die Zivilisation gekannt zu haben.
Gruß Euklid

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