- Der Meister spricht in Frankfurt - und der Dollar fällt - JoBar, 19.11.2004, 22:06
Der Meister spricht in Frankfurt - und der Dollar fällt
-->Samstag, 20. November 2004
Der Meister spricht
US-Notenbankchef Greenspan tritt in Frankfurt auf - ein paar Sätze genügen, und der Dollar fällt
Sebastian Wolff
FRANKFURT A. M., 19. November. Seit fünf Minuten stehen Jean-Claude Trichet und Josef Ackermann herum und warten. Hunderte von Bankern sind da und Dutzende von Journalisten. Doch an diesem Tag interessiert sich niemand für den Chef der Deutschen Bank und auch nicht für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Alle blicken gebannt zur Tür am hinteren Ende des Saals, durch die in den nächsten Augenblicken ein kleiner alter Mann mit dicker runder Brille treten soll. Es wird hektisch. Sicherheitsleute erscheinen.
Dann betritt Alan Greenspan den Raum. Er geht leicht gebückt, er lächelt. Unter dem Arm trägt er seine berühmte Aktentasche - die Tasche, deren Umfang darüber Aufschluss geben soll, ob er bei Zentralbanksitzungen die Zinsen ändern wird. Die Tasche scheint prall gefüllt. Doch heute wird Greenspan die Zinsen nicht ändern. Er ist nicht in Washington, sondern in Frankfurt am Main, auf dem Europäischen Bankenkongress in der Alten Oper und soll dort mit Ackermann, Trichet und dem japanischen Notenbankchef Kazumasa Iwata über Währungsprobleme debattieren.
Warnung vor Defiziten
Greenspan hält eine etwa 20-minütige Rede. Sein erster Satz klingt viel versprechend:"Ich spreche hier in meinem Namen und nicht im Namen der Fed." Dann spricht er über die Folgen der Globalisierung, über das Wirtschaftswachstum und über die niedrige Sparquote in den USA. Und dann sagt er es: Das aktuelle Ungleichgewicht in der amerikanischen Handels- und Leistungsbilanz, das als Grund für die Dollar-Schwäche gilt, könne nicht unbegrenzt von ausländischen Investoren bezahlt werden, warnte der Fed-Chef. In Verbindung mit dem hohen Haushaltsdefizit"könne dies zum Problem werden". Mehr hatten die Märkte nicht gebraucht - der Dollar fiel, der Euro erreichte ein neues Rekordhoch.
Nie zuvor wohl war ein Notenbanker so mächtig wie Greenspan. Nie zuvor auch war ein Notenbanker so populär. Greenspan ist seit 1987 Chef der US-Notenbank"Fed". Man kann sich eine Fed ohne Greenspan gar nicht mehr vorstellen. Als im März das Gerücht kursierte, Greenspan habe eine Herzattacke erlitten, löste das Panik an den Devisenmärkten aus: Der Dollar geriet gegenüber dem Euro gewaltig unter Druck. Die Fed sah sich gezwungen, etwas zu tun, was sie sonst nie tut: Sie ließ das Gerücht durch eine Pressesprecherin dementieren.
78 Jahre alt ist Greenspan heute. 2005 ist sein letztes Amtsjahr, er hat angedeutet, dass er wohl nur noch bis Januar 2006 im Amt bleiben will. Zu diesem Zeitpunkt wird er auch schon fast 80 Jahre alt sein.
Was ist das für ein Mensch, der nicht nur mit jedem Satz, den er öffentlich ausspricht, die Märkte bewegt, sondern der offenbar so unersetzlich scheint, dass Wohl und Wehe von Dollar und Aktien, ja der ganzen Wirtschaft von seiner bloßen Existenz abzuhängen scheinen? Die Antwort ist eigentlich banal: Greenspan ist der einflussreichste Notenbanker, den es je gab. Immer wieder hat er sich in seiner bislang 17-jährigen Amtszeit als Garant einer konsequenten Stabilitätspolitik erwiesen. Mit seinen umsichtigen Entscheidungen, heißt es, habe er in den 90er Jahren für die bislang längste Aufschwung-Phase in der US-Geschichte gesorgt. Und - fast noch wichtiger - als sich die Wirtschaft wieder abkühlte und nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 in die Rezession zu stürzen drohte, da hat er mit konsequenten Zinssenkungen dagegen gehalten. Greenspan ist daher mit verantwortlich dafür, dass es der US-Wirtschaft seit mehr als anderthalb Jahrzehnten so gut geht.
Der US-Notenbankchef hat faktisch auch viel mehr Macht als sein europäischer Kollege Jean-Claude Trichet. Denn anders als die EZB darf die Fed die Zinsschraube aktiv nutzen, um die Konjunktur zu steuern. Übergeordnete Aufgabe der EZB ist es dagegen, für Preisstabilität zu sorgen. Und da kann sie beispielsweise nicht so einfach die Zinsen senken, um die Konjunktur anzukurbeln - so wie Greenspan es jahrelang getan hat: Über ein Jahr lang beließ er den US-Leitzins auf dem historisch niedrigen Niveau von 1,0 Prozent.
Aus europäischer Sicht sieht Greenspans Wirken zwiespältiger aus. Denn seine Niedrigzinspolitik tat zwar der US-Wirtschaft gut, nicht aber unbedingt der europäischen: So sorgte sie in den USA auch mit dafür, dass der Dollar immer mehr an Wert verlor. Denn das Kapital sucht sich immer, wie es im Finanzjargon heißt, die Orte, die am meisten Rendite versprechen. Und deshalb wanderte es zuletzt zunehmend aus den USA ab - ein Grund für den derzeit schwachen Dollar, der für Europa zunehmend zur Belastung wird. Denn je weniger der Dollar wert ist, desto geringer fallen letztlich die Erlöse der europäischen Exporteure aus, die sie im Dollar-Raum erzielen.
Kritik wird laut
In jüngster Zeit ist Kritik an dem unantastbaren Greenspan aufgekommen. Vor allem Anhänger der Demokraten werfen ihm vor, er habe sich im US-Wahlkampf auf die Seite von Präsident George W. Bush geschlagen. So soll Greenspan früher immer vehement gegen Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen eingetreten sein und massiv vor Defiziten gewarnt haben. Jetzt, da die Defizite unter Bush auf Rekordniveau gestiegen sind, sehe er das längst nicht mehr so eng. Auch das lange Festhalten an den niedrigen Zinsen soll ein Wahlgeschenk Greenspans an Bush gewesen sein, um die Wirtschaft so lange wie möglich in Schwung zu halten.
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aus http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/wirtschaft/396771.html
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