- Was vom Tage & Staate übrigbleibt... - bernor, 07.12.2004, 00:55
- Kein Problem - passt doch alles wunderbar ins globale Strategiespiel - Valerie, 07.12.2004, 02:18
Was vom Tage & Staate übrigbleibt...
-->Hi,
... ein paar Streiflichter aus heutigen (6.12.04) Postings:
Erstens eine immer stärkere Autonomie von Gemeinden und Schulen selbst. Lindström:"Der Hintergrund ist der immer schneller werdende Takt der Veränderungen in der Gesellschaft in Finnland und Europa. Wenn tausend Schulen alle einzeln darauf reagieren können, dann können die Reformen schneller passieren, in Echtzeit sozusagen". Schulen und Gemeinden entscheiden in Finnland mittlerweile weitgehend selbst, was und wie unterrichtet wird, der Staat gibt nur noch die Grundrichtung vor.
http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/304274.htm
Interessant: der Staat gibt einfach so Kompetenzen ab? Oder kneift auch da das Spendierhöschen, muß auch da „gespart“ (soll heißen: weniger ausgegeben) werden?
Dann ist Finnland kein Einzelfall: auch in etlichen anderen öffentlich-rechtlichen Gebilden muß „gespart“ werden - und auch dort werden, machttheoretisch formuliert, Entscheidungsbefugnisse vom Oberinhaber Staat an unter(geben)e Bedienstete / Körperschaften zediert (Amtsdeutsch: „abgeschichtet“), weil man entweder die wegen der ausufernden Gesetzgebung zunehmende Arbeit nicht mehr wie früher mit zusätzlichem Personal auffangen kann bzw. dieses sogar reduzieren muß (siehe Pensionslasten).
Offenbar die letzte Möglichkeit des Staates, überhaupt noch irgendetwas „abschichten“ zu können, um den Laden noch solange wie möglich am laufen zu halten.
Ein Beispiel ist die Finanzverwaltung (nehmen wir mal die in NRW), wo längst nicht mehr, wie schon allgemein bekannt, jede Steuererklärung (von Arbeitnehmern) genau geprüft wird - und auch immer häufiger gar nicht erst beim Bearbeiter auf den Tisch kommt, weil schon vorher, in einer sparaten Datenerfassungsstelle, nach der Dateneingabe vom Computer aufgrund des eingebauten (und teilweise vom Amt selbst einstellbaren!) „Risikofilters“ als „plausibel“, sprich: nicht mehr bearbeitungsbefürftig eingeordnet und somit automatisch abschließend erledigt wird (wenn auch teilweise mit Vorbehaltsvermerk im Bescheid). Dieses automatisierte Verfahren soll in den nächsten Jahren auf alle Steuererklärungen ausgedehnt werden (hierzu gehört auch, daß für Wirtschaftsjahre ab 1.1.04 Einnahmeüberschuß-Rechnungen zwingend auf amtlichem Formular abzugeben sind - da stehen so hübsche Kennziffern drauf).
Desweiteren sind die Entscheidungsbefugnisse der Ämter bzw. Sachbearbeiter für die (noch) zu erledigenden Aufgaben / Fälle in den letzten Jahren stetig erweitert worden; die Vorgesetzten interessiert im wesentlichen nur noch das Erreichen von gesetzten („vereinbarten“) Controllingzielen - wie, ist (fast) egal (siehe auch die härtere Gangart bei Betriebprüfungs- und Steuerfahndungsstellen).
Allerdings gibt es einige „flankierende Maßnahmen, um Auswüchse und Mißbräuche" zu verhindern: eine davon ist, neben dem o.a. „Risikofilter“, die „Qualitätssicherung“ (nach Zufallsauswahl und anderen Kriterien werden bestimmte Fälle „intensiver“ bearbeitet usw.) - insofern handelt es sich hierbei (zumindest für die meisten betroffenen"Bürger") noch um die „harmlosere“ Variante der obigen Zession.
Beim nächsten Beispiel sieht’s schon anders aus...
Im Kreis Osnabrück wurden dem Magazin zufolge mindestens 10.000 Bußgeldbescheide verschickt, obwohl die Messbox nicht wie vorgeschrieben geeicht war. In Heilbronn fiel den Behörden über Monate nicht auf, dass der Eichschein für eine Anlage falsch ausgefüllt war. In Offenbach wirkte in über 11.000 Fällen nicht zugelassenes Personal an den Bußgeldbescheiden mit. Damit seien all diese Bescheide zu unrecht ergangen.
http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/304364.htm
... und wenn das hier Wirklichkeit wird...
Ich prognostiziere aber, dass in Zukunft noch viel mehr reguläre Arbeitsplätze vernichtet werden. Die dennoch in jeder Gemeinde dringend benötigten Tätigkeiten von Reinigungs- und Wartungsarbeiten bis hin zur Grünpflege und dem Straßenbau werden dann von den billigen ALG-II-Empfängern verrichtet werden (müssen). Müssen deshalb, weil eine Weigerung bestimmte gemeinnützige Arbeiten auszuführen zum sofortigen Entzug der Unterstützung führt. Dabei ist der Ermessensspielraum der jeweiligen Sachbearbeiter vergrößert worden. Jeder kleine Sesselpuper kann in Zukunft nach eigenem Gutdünken entscheiden, was zumutbar ist. Ich prognostiziere weiterhin, dass in nächster Zeit Leute in verantwortliche Positionen der Sozialkassen gespült werden, die bisher aufgrund mangelnder fachlicher Qualifikationen oder menschlicher Defizite besser nicht in solchen Positionen waren aber aufgrund der Lage wie kleine Götter werden schalten und walten können.
http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/304314.htm
... sehen wir etwas vollendet, was man auch als noch halbwegs geregelte Vorstufe der (unerkannten, weil unerwarteten und zumindest für kurze Zeit chaotisch ablaufenden) Auflösung des jetzigen Staatssystems bezeichnen könnte.
Gruß bernor

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