- Programmierter Zukunftspessimismus - und lieber den kleinen Finger abspreizt.... - doppelknoten, 11.12.2004, 10:46
- Danke sehr schöner Text - EM-financial, 11.12.2004, 13:49
- Re: Zukunftspessimismus.... Soll mich das optimistisch stimmen? - Diogenes, 11.12.2004, 16:35
Programmierter Zukunftspessimismus - und lieber den kleinen Finger abspreizt....
-->Ich habe beim Stöbern einen Aufsatz der beiden Autoren Maxeiner und Miersch gefunden, dessen Inhalt ziemlich oft und ziemlich genau die Wandlung der rot-grünen Regierenden beschreibt.
Zwar werden sich die Nackenhaare einer Reihe Forumsmitglieder schon beim Namen der Autoren sträuben- aber sei’s drum. Ihre (Neu)-Bewertung der linken Elite in eurem Land ist lesenwert, weil sie trifft.
kneric
<font size="5">Die Fingerfood-Nomenklatura</font>
Eine Catering-Firma heißt"Rote Gourmet Fraktion" und kocht unter anderem"gegen rechts"..
von Dirk Maxeiner; Michael Miersch
Die Niederlage der Demokraten bei den US-Wahlen habe nach Meinung von Analysten auch habituelle Gründe. Die Prominenz der Partei habe den Draht zur Bevölkerung verloren.
Sie sei auf dem Campus zu Hause, auf Vernissagen und Premieren.
Der tausendfach gehörte Satz:"Wir kennen niemanden, der Bush wählt", bedeutete eben auch: Wir kennen niemanden außerhalb der besseren akademischen Kreise.
An Deutschlands rot-grünen Eliten kann man diesen Entfremdungsprozeß bestens studieren. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts haben sich soziale Herkunft, Habitus und Denkbilder der Linken grundlegend gewandelt, ja geradezu ins Gegenteil verkehrt.
Dies hat in erster Linie soziale Ursachen. Der Erfolg der eigenen Politik brachte eine große Zahl gutbezahlter Stellen hauptsächlich im öffentlichen Dienst hervor. Gleichzeitig ließ die technische Entwicklung die Zahl der klassischen Industriearbeiter rapide schrumpfen.
Folglich wurde das sozialistische Fortschrittsideal abgestreift und durch einen grüngefärbten Zukunftspessimismus ersetzt (Aufsteiger, die es geschafft haben, neigen zu konservativem Denken). Das Entstehen der neuen sozialen Bewegungen und später der grünen Partei wirkte dabei als Katalysator, der nach kurzem Aufbäumen unter Helmut Schmidt den Wandel des linken Hauptstroms beschleunigte.
Der Klassenkampf war so gut wie gewonnen, die Arbeiter hatten ihre Häuschen, ihre Autos, ihre Urlaubsreisen, die Gewerkschaften ihr Tarifkartell und ihre Mitbestimmung. Die stetig wachsende akademische Linke mußte sich auf die Suche nach neuer Klientel begeben, die es zu vertreten galt.
Die Zielobjekte sollten möglichst schwach und unmündig sein und am besten - anders als die alte Arbeiterklasse - ihrer Avantgarde nicht reinreden. So gerieten benachteiligte Minderheiten, ferne Völker, Tiere und Bäume in den Fokus linker Politik. Oftmals kam dabei nicht mehr als ein einfältiger Sentimentalismus nach den Mustern der alten Lebensreformbewegung heraus.
Ein Antrieb dieser Denkart ist das starke Bedürfnis nach moralischer Distinktion, die zu einem wichtigen sozialen Accessoire geworden ist, wie die Kennerschaft in Sachen Wein, Oper und Reisen, die heute ebenso zum linken Lebensstil gehören. Eine Catering-Firma heißt"Rote Gourmet Fraktion" und kocht unter anderem"gegen rechts". Wie alle jungen Eliten möchten sich auch die Gewinner der ökosozialen Bildungs-, Kultur-, Gleichstellungs- und Umweltoffensiven von der Masse absetzen. Sie müssen sich beweisen, daß sie edlere Gefühle haben als das gemeine Volk.
Dessen soziale Wirklichkeit wird bestenfalls durch Gespräche mit Taxifahrern wahrgenommen. Das kann funktionieren, solange Wohlstand waltet und postmaterielle Themen das öffentliche Bewußtsein beherrschen. In mageren Zeiten gerät das Dünkelhafte daran ans Licht. Die Menschen merken allmählich, daß unser besserverdienendes linkes Establishment zwar gern den moralischen Zeigefinger hebt, aber noch lieber den kleinen Finger abspreizt.
Machtpolitisch riskant wird es, wenn die Herrschenden so weit entrückt sind, daß sie alles Gespür für die Lebenswelt ihrer Mitbürger verlieren. Ströbeles Feiertagsvorschläge und die Hundemodekollektion der Kanzlergattin sind Symptome, daß dieses Stadium eingetreten ist. Die Mitglieder der Fingerfood-Nomenklatura haben vergessen, daß ihr postmaterielles Universum über einem materiellen schwebt, in dem sich nach wie vor die Wirklichkeit großer Teile der Bevölkerung abspielt.
Sie haben die emotionale Erdung verloren, die linke Leitfiguren früher oft auszeichnete. Viele, deren Herz links schlägt, spüren das.
Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, auch den produktiven Sektor (der die Umverteilungsmaschine füttern muß) trifft man nicht auf Vernissagen und Premieren. Sie haben andere Sorgen. Oder keine Zeit.
von Dirk Maxeiner und Michael Miersch (www.maxeiner-miersch.de)
http://www.welt.de/data/2004/11/24/...od-Nomenklatura&searchHILI=1
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