- Die Neujahresansprache von Bundeskanzler Schröder - Baldur der Ketzer, 29.12.2004, 17:46
- Re: Die Neujahresansprache von Bundeskanzler Schröder - Cujo, 29.12.2004, 18:25
- Re: Die Neujahresansprache von Bundeskanzler Schröder/drin i.d. Sammlung (o.Text) - ---Elli---, 30.12.2004, 17:40
Die Neujahresansprache von Bundeskanzler Schröder
-->Die Neujahresansprache von Bundeskanzler Schröder
Natürlich rein fiktiv, eine Rede, die er nie gehalten hat, äh, nie halten wird, äh, nie kann. Oder so.
Seis drum.
Räusper.
Ich begrüße Sie zur diesjährigen Neujahresrede.
Durch einen bedauerlichen Fehler ist die vorgefaßte Ansprache leider unauffindbar, und bevor es wie damals bei meinem Vorgänger läuft und die des letzten Jahres nochmals gesendet wird, in der Hoffnung, den Unterschied merkt ja eh keiner, ist ja alles das gleiche Gesülze, möchte ich heute mit dieser Tradition brechen, und ein paar persönliche Worte so sagen, wie sie mir spontan in den Sinn kommen.
Das Jahr 2004 wird uns als Einstieg in den Ausstieg in Erinnerung bleiben. In den Ausstieg aus der Vollkaskogesellschaft. Wir haben den Anfang gemacht, aber eben nur den Anfang, es werden schrittweise noch viele Einschnitte in die gewohnten, sogenannten Errungenschaften kommen, egal, welche Parteien dabei die Regierung stellen.
Und zwar einfach deswegen, weil es anders nicht mehr bezahlbar ist.
Wir können lange und breit darüber streiten, ob die aufgebauten Sicherungssysteme und sozialen Netze von Anfang an verkehrt waren, oder ob sie nur jetzt der dringenden Anpassung an eben geänderte Voraussetzungen bedürfen. Wichtig ist, daß wir den Blick in die Zukunft richten, und, lassen Sie sich da auch von ewig gestrigen wie meinem Parteifreund aus dem Saarland nichts vormachen, dieser Ausblick ist nun mal nicht rosig.
Das können wird drehen und wenden, wie wir wollen, das ist so. Das sehen Sie ja selber tagtäglich in Ihrem Umfeld.
Wir geben eh schon mehr aus, als wir reinbekommen, die jährliche Neuverschuldung ist ja nichts überraschendes für Sie, aber wir sind mit dem Haushalt jetzt im roten Bereich, und zwar nicht nur wegen der Maastricht-Kriterien, sondern wegen der Ausgabenverteilung.
Für Zukunftsgestaltung, für Investitionen und andere existentielle Bereiche ist so gut wie nichts mehr übrig, weil fast alles vom sozialen Netz beansprucht wird. Und das spitzt sich noch mehr zu.
Jetzt kann man freilich sagen, dafür ist das Netz ja da, dafür ist der Staat an sich da, die Bürger abzusichern.
Aber das ist zu kurz gegriffen, denn der Staat kann nur in dem Maße umverteilen, wie es etwas umzuverteilen gibt.
Alles, was wir umverteilen, muß zuvor woanders im privaten Sektor erwirtschaftet worden sein. Und der lahmt, wie wir alle wissen.
Freilich erzielen wir bedeutsame Exportüberschüsse, aber die Wertschöpfung, die Arbeitsleistung dafür, findet nicht mehr in Deutschland statt, so, wie wir es bräuchten.
Die Regierung hat keine Handhabe, dies zu ändern, das können nur die Verbraucher mit ihren täglichen Einkaufsentscheidungen tun.
Tja, und da höre ich an jeder Ecke, Geiz ist doch geil, ist doch mir egal, wie der Verkäufer über die Runden kommt.
Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie aus dem Strudel heraus, wir müssen einfach wieder ein anderes Bewußtsein in unserer Bevölkerung schaffen.
Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, dann waren wir da auch nicht immer die angepaßten braven Streber, und trotzdem haben wir unseren Lebensweg alle gefunden.
Aber im Gegensatz zu heute gab es eine Grenze, die wir alle einhielten, fast alle wenigstens, eine derartige Blamage wie PISA hätte es damals nicht gegeben, wir waren zwar nicht angepaßt, aber niemand forderte ein Recht auf Dummheit, so, wie mir das heutzutage oft vorkommt.
Das Anspruchsdenken der heutigen jungen Generation hätte bei unseren Eltern damals nicht nur Kopfschütteln hervorgerufen, nein, es hätte Ohrfeigen gesetzt. Und die bräuchte es heute so manches mal, statt die fehlgeschlagene Erziehung von krassen Fällen dann der Allgemeinheit aufzubürden, der Polizei, und den Haftanstalten, letztlich, dem Steuerzahler.
Und es ist nicht nur die Jugend, die zum Teil am falschen Dampfer sitzt, es ist vielmehr eine ganze Generation, die im Wohlstand aufwachsen konnte und von den Segnungen des sozialen Netzes umgeben war. Und es heute als fix voraussetzt, weil es immer so war. Daß dies die Leistungsbereitschaft nicht förderte, müssen wir heute klar erkennen.
Und auf einmal müssen wir eingestehen, das Netz schrumpft und bekommt immer größere Löcher, durch die durchaus Leute durchfallen können. Weil es überdehnt ist. Der ganze Staat ist überdehnt, zu teuer, zu schwerfällig. Wir können uns einen solchen Staat nicht mehr leisten, egal, in welcher Beziehung. Über unsere kleinliche, unnötige Bürokratie lacht die halbe Welt.
Meine Damen und Herren, ein Staat ist das Spiegelbild seiner Bevölkerung, egal, ob die Staatsführung nun mit gutem oder schlechten Beispiel vorangeschritten ist, und sich die Leute angepaßt haben, oder umgekehrt.
Tatsache ist, wir stecken in einer Sackgasse, und zwar ganz hinten am Ende. Und dort schauen wir jetzt dumm aus der Wäsche und wundern uns auch noch, wie wir bloß da hineingekommen sind.
Wenn ich mir den täglichen Kleinkrieg mit der Opposition ansehe, dann hat das mit einer vernünftigen Politik nichts mehr zu tun, das ist vielmehr ein Kindergartenniveau, von dem wir da sprechen müssen.
Fairerweise muß ich eingestehen, daß wir als Opposition damals auch nicht besser waren, als wir die verhängnisvolle Politik meines Vorgängers zu blockieren versucht haben.
Es hat uns aber eben keinen Schritt weitergebracht. Wenn es wenigstens so wäre wie zwischen den Filmfiguren Don Camillo und Peppone, bestünde ja noch Hoffnung. Jeder wäre am Gemeinwohl orientiert, und bestrebt, eine einvernehmliche Lösung um der Sache willen zu finden.
Diese Brücke zwischen Regierung und Opposition wurde in den vergangenen Jahren Stück für Stück zerstört.
Ich habe so meine Zweifel, ob die alten Mannschaften jemals über ihren Schatten springen können, und das ändern, oder ob wir auch da einfach abwarten müssen, bis eine neue Generation auch in den Parteien nachgewachsen ist. Das würde unserem Land schlicht das Rückgrat brechen. Noch mehr Zeit zu verlieren haben wir nicht.
Wir haben als Regierung bei weitem weniger Handlungsfreiheit, als Ihnen dies erscheinen mag. Eigentlich reagieren wir nur noch, anstatt eine auf Jahrzehnte ausgerichtete Perspektive zu entwerfen, und diese Stück um Stück umzusetzen.
Die Föderalismuskommission ist vor einigen Tagen gescheitert, und wenn es im Guten nicht geht, wird es der finanzielle Druck bewerkstelligen, dessen bin ich mir sicher, aber es wird dann weniger überlegt zugehen, und noch mehr Unsicherheiten hervorbringen.
Unsicherheit, das ist es, was den Jahreswechsel 2004/2005 überschreiben könnte.
Das geht nicht nur Ihnen so, das betrifft mich als Kanzler genauso, im politischen wie im privaten Bereich.
Ich kann Ihnen keine Patentrezepte bieten, ich kann Ihnen keine Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, und ich kann Ihnen auch nicht versprechen, daß die Einschränkungen ein Ende haben, Sie müssen sich vielmehr darauf einstellen, daß es im nächsten Jahr noch mehr persönliche Initiative braucht, noch mehr eigenes Bemühen, und daß es von Seiten des Staates nicht mehr, sondern weniger Unterstützung geben wird.
Seien Sie versichert, daß auch die Opposition an diesen Fakten nichts ändern kann, und wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, daß unsere heutigen Probleme zu einem großen Teil das Resultat der Politik von gestern sind. Von unseren sozialdemokratischen Vorstellungen gleichermaßen wie von den Weichenstellungen der Union.
Ich leiste mein bestes, um das große Staatsschiff auch im nächsten Jahr so gut wie möglich durch die Klippen zu steuern.
Wenn wir alle an unserem Platz das Beste geben, und das sage ich speziell an die Jugend, die sich bewußt sein muß, daß man nichts fordern kann, ohne etwas zu leisten, dann werden wir es auch schaffen, ganz einfach deswegen, weil wir es schaffen müssen.
Die Älteren unter Ihnen, die Krieg und Nachkriegszeit miterlebt haben, wissen, wie sehr man unter solchen Umständen über sich hinauswachsen kann, und für unmöglich erachtetes möglich wird. Weil es nicht anders sein kann.
Zum Glück sind wir heute um Welten besser dran, als damals in den Trümmern zerbomter Städte. Wir sollten uns gerade im Angesicht der Flutkatastrophe im indischen Ozean vergegenwärtigen, daß die zu lösenden Aufgaben in Deutschland eher leicht zu bewerkstelligen sind, wenn man sie an unserer Vergangenheit bemißt, oder eben an Jahrhundertereignissen wie dieser Flutwelle.
Die leeren Kassen sind das beste Heilmittel, aber bekanntlich schmeckt wirksame Meidzin meist bitter. Da müssen wir jetzt durch. Es gibt kein Zurück.
Die Regierung kann nur einen politischen Rahmen bieten, handeln, wirtschaften, und anpacken muß die Bevölkerung, da beißt die Maus keinen Faden ab. Das muß wieder in die Köpfe zurückkommen, daß es keinen Vollkaskostaat mehr gibt, daß die Bürger nur das allernötigste vom Staat erwarten können, aber nichts darüberhinaus. Das wäre freilich wünschenswert, aber es ist nicht mehr machbar. Das muß sich als Erkenntnis durchsetzen. Alles andere wäre so glaubwürdig, wie der dumme Satz von Norbert Blüm, die Rente sei ja sicher. Auch mit den dummen Phrasen muß es ein Ende haben, ich habe heute den Anfang gemacht.
Ich bin zuversichtlich, daß wir bei der nächsten Neujahresansprache auf ein durchaus zufriedenstellendes Jahr zurückblicken werden. Vielen wird es nicht besser gehen, einige werden Einbußen erleiden, aber niemand wird verhungern. Und wenn wir Glück haben, wird es einigen auch besser gehen als heuer.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wohlgemuten Jahreswechsel, gehen Sie mit Zuversicht und Tatkraft ins neue Jahr, und helfen Sie mit, die dringend notwendigen Reformen in die Tat umzusetzen.
Möge 2005 für Sie Glück und Wohlergehen bringen.
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