- OT: Deutsches Export-Gut? Pleitier seid auf der Hut! - Emerald, 21.04.2005, 20:24
OT: Deutsches Export-Gut? Pleitier seid auf der Hut!
-->Angst auf Bestellung /Weltwoche, Zürich, vom 21.4.2005
Von Franziska K. Müller
Mit dem Versprechen «Ihr Schuldner muss kein Russisch können - er wird uns auch so verstehen» treibt das deutsche Inkasso Team Moskau Geld bei säumigen Zahlern ein. Hart an der Schmerzgrenze rollt das Kommando auch durch die Schweiz.
Der weisse Geländewagen mit den verdunkelten Fensterscheiben gleitet im Schritttempo die Dorfstrasse von Löhningen SH hinab, kurz vor Ortsende macht die Karosse eine Kehrtwendung, das Schauspiel wiederholt sich dreimal, dann geht alles sehr schnell: Drei muskelbepackte Männer springen aus dem Offroader und laufen zielstrebig auf den Hauseingang Nummer 67 zu; das Treppenhaus erklimmen sie in Sätzen, drei Sekunden später klingelt das Kommando beim Pleitier Stadelmann. Nichts passiert. Der kahlköpfige Hüne Arno Koch hämmert gegen die Tür. Eine junge Frau öffnet. «Wir kommen wegen der Ausstände. Wo ist Ihr Mann?», bellt Koch zur Begrüssung. «Robert ist nicht da», antwortet die Frau. «Dann geben Sie uns einfach einen Anhaltspunkt, wo wir ihn finden können», empfiehlt Igor Kulikow, ebenfalls blank geschoren, aber mit einem Ziegenbärtchen am Kinn. Der Chef der Truppe, Werner Hoyer, nickt kurz, worauf Koch und Kulikow geschlossen einen Schritt Richtung Wohnungstür vorrücken. «Was muss ich genau sagen?», fragt die Frau verdattert. «Die Handynummer!», knallt es in strengem Tonfall zurück. Als Stadelmann plötzlich im Treppenhaus aufkreuzt, klappt die Tür sofort ins Schloss.
Der schlaksige Mann - Igelfrisur, Schnauz, Blouson mit Fasnachtsabzeichen am Revers - ist platt, mit halb offenem Mund starrt er die ungebetenen Gäste an; am Treppengeländer stehend, dämmert ihm bald, worum es gehen könnte. «Ich weiss, die Schulden», nuschelt er. Die entsprechende Vorwarnung traf schliesslich einige Wochen zuvor ein. Das Schreiben trug einen Moskauer Poststempel, und der Inhalt klang nicht freundlich: Robert Stadelmann*, wohnhaft im schweizerischen Löhningen, solle endlich die geschuldeten Ausstände für die gelieferten Heizungsfilter begleichen. «Bezahlen Sie - und zwar bald!», wurde ihm geraten, ansonsten: «Wir kommen auch gerne vorbei.» Gezeichnet: «Inkasso Team Moskau» (ITM). Nun sind sie da. «Haben Sie das unterschrieben - ja oder nein?», fragt der russischstämmige Igor Kulikow laut und kalt. Er hält Stadelmann ein Papier unter die Nase, in dem steht, er wolle monatlich 520 Franken abstottern, und zwar so lange, bis der Schuldenberg getilgt sei.
«Tat er aber nicht», sagt Aussendienstleiter Kulikow gefährlich ruhig und zu seinem Kollegen Arno Koch gewandt: «Was tun wir, wenn einer seine Versprechen nicht hält?» Koch zieht besorgt die Augenbrauen hoch. «Was ist, wenn die Filter von Anfang an kaputt waren?», wagt der 36-jährige Stadelmann keck eine Gegenfrage. Angesichts der aufkeimenden Renitenz ballt Arno Koch seufzend seine mit einem Lederhandschuh bekleidete Faust, umschliesst sie mit der anderen Hand und lässt - auf Augenhöhe von Stadelmann - die Knöchel knacken. «Ich frag ja nur», tritt Stadelmann den sofortigen Rückzug an und unterschreibt ohne weitere Diskussion ein Papier. Es regt die Bezahlung von monatlich 250 Franken an. Eine gute Idee: «Wir kommen wieder. Aber sie wissen ja, das wäre dann wirklich ärgerlich für uns», verabschiedet sich der elegant gekleidete und sorgfältig frisierte Werner Hoyer.
Zurück im Auto ist die Stimmung aufgeräumt. Der Einsatz war - bei minimalem Einschüchterungsaufwand - ein grosser Erfolg. Stadelmann wird zahlen. «Garantiert. Das ist so sicher wie nur was», weiss Werner Hoyer aus Erfahrung. Der 55-Jährige gründete vor zweieinhalb Jahren das Inkasso-Team Moskau. Innert Rekordzeit machte er sich einen Namen als schwarzes Schaf einer Branche, die mit angewidertem Gesichtsausdruck auf die Schränke aus dem deutschen Celle zeigt. Der Chef sagt: «Wir wollen nichts mit den üblichen Inkassounternehmen zu tun haben. Die sind uns zu lasch und auch zu wenig erfolgreich.» Seine Kundschaft besteht aus frustrierten Gläubigern, die mit legalen Mitteln nicht zu ihrem Geld kommen, deshalb selbst Pleite gehen oder sich ganz einfach betrogen fühlen. Das Geschäft läuft hervorragend. Zehn hauptamtliche Geldeintreiber, darunter einige Russlanddeutsche, sind für Werner Hoyer unterwegs, hinzu kommen ein Dutzend Feierabendschnüffler sowie einige Vertragsanwälte. ITM-Filialen gibt es mittlerweile in sämtlichen deutschen Grossstädten, regelmässige Einsätze werden auch in Italien, Frankreich, England und der Schweiz getätigt.
Vorsätzliche Fahrt in den Abgrund
Inoffizielle Schuldeneintreiber, die den Pleitiers mit ungemütlicher Penetranz zu Leibe rücken, gibt es viele, doch niemand steht so offen zu rüden Umgangsformen und unzimperlichen Vorgehensweisen wie Hoyer und seine Mannen. Schaltet der Chef eine Anzeige mit den Ankündigungen «Ihr Anliegen ist unser Marschbefehl» und «Wir holen Ihr Geld zurück», melden sich tausend geprellte Bürger aus dem In- und Ausland. «Neue Schuldnerstrategien erfordern neue Gläubigervorgehensweisen», erklärt Werner Hoyer seinen Erfolg. Die Geschäftsidee basiert auf eigenen Erfahrungen: Der gelernte Elektromechaniker, ehemalige CDU-Politiker und Werbefachmann musste vor ein paar Jahren selbst Insolvenz anmelden. Die verzweifelten Versuche des Finanzamts, bei ihm über drei Millionen Euro Steuerrückstände zurückzuholen, «scheiterten ärmlich». «Das kann ich besser», sagte er sich daraufhin und gründete sein neues Unternehmen.
Dass viele potenzielle Kunden ITM mit der Russenmafia in Verbindung bringen, ist der beabsichtigte Nebeneffekt des Firmenslogans: «Ihr Schuldner muss kein Russisch können - er wird uns auch so verstehen.» Manchmal führe «die künstlich geschürte Nähe zum kriminellen Milieu» allerdings zu Missverständnissen, erzählt Hoyer. Ehemänner rufen an, die ihre Frauen umbringen lassen wollen; Geschäftsleute, die die Konkurrenz für immer unschädlich machen möchten. «So etwas lehnen wir natürlich ab, wir arbeiten hauptsächlich psychologisch.» Igor Kulikow nickt. Körperlich fit müssen sie aber schon sein, die «Psychologen», darum geht der Mann dreimal pro Woche ins Kickboxen. Kollege Koch züchtet Kampfhunde, einer von denen liegt im vergitterten Teil ihres Wagens.
In der Schweiz nehmen die finanziellen Pleiten seit Jahren zu, aber nur ein kleiner Teil der Ausstände fliesst irgendwann in die Kassen der Geschädigten zurück. Sich mit vielfältigen Tricks aus der Verantwortung kleiner und grosser Schulden zu stehlen, wird immer beliebter. «Der Schuldnerschutz ist in der Schweiz riesengross und hat in in den vergangenen Jahren absurde Dimensionen angenommen», sagt Rolf Meyer, Leiter der Zürcher Inkassoabteilung des Schweizerischen Verbandes Creditreform. Und: «Den seriösen Schuldeneintreibern sind oft die Hände gebunden, wenn sie etwas weniger höflich vorgehen möchten, als es die Standesregeln vorschreiben.» In Schweizer Briefkästen landeten 2003 rund zweieinhalb Millionen Zahlungsbefehle, über eine Million Pfändungsvollzüge und rund 400000 öffentliche Versteigerungen wurden im selben Zeitraum durchgeführt. 2004 mussten zudem rund 10000 Konkurse eröffnet werden, ein Höchststand. «Viele manipulieren sich vorsätzlich in eine Finanzkrise hinein», glaubt Rolf Meyer. «Ein Grossteil der Betroffenen gerät aufgrund von Arbeitslosigkeit, unvernünftigen Konsumverhaltens, Misswirtschaft und Schicksalsschlägen in die Verschuldung», sagt Kurt Odermatt vom Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI).
Über die Hälfte aller Betroffenen erhebt Rechtsvorschlag, wenn es um die Zahlung offener Rechnungen geht. Daraufhin müssen die Geschädigten beweisen - falls denn noch genug Geld vorhanden ist, um einen Anwalt zu bezahlen -, dass die Forderungen berechtigt sind. Rechtsformen, bei denen die private Haftung ausgeschlossen ist, sind bei den Firmengründungen gefragter denn je, heisst es bei der Creditreform. Ein geschäftliches Finanzdebakel, das unter Umständen zahlreiche kleinere und mittlere Unternehmen in den Abgrund reisst, führt nicht dazu, dass der Verursacher lange darben muss. «Ein paar Monate nach dem Konkurs fahren die Zahlungsunfähigen im neuen Auto durch die Gegend und freuen sich des Lebens. Für jene, die ihretwegen untergehen, ist das sehr frustrierend», erklärt Werner Hoyer.
Zu den simpleren Vorgehensweisen, um den Zugriff der Gläubiger zu verhindern, gehört die Vermögensüberschreibung an die Ehefrau. Jene, die einer Lohnpfändung entgehen wollen, betätigen sich künftig in freien Mitarbeiterverhältnissen und kommen bei den offiziellen Einkünften nicht über das Existenzminimum hinaus. Andere Pleitiers wechseln ohne Neuan- meldung den Wohnort und verschwinden vom Erdboden. Sozialhilfe- und IV-Rentenbezüger, die ihren Lifestyle mit netten Konsumgütern auf Rechnung aufpeppen, können so gut wie gar nicht belangt werden, da sie offiziell bereits am Existenzminimum leben, undnach zwanzig Jahren verjährt sowieso jeder Schuldschein. Und so rennen Zehntausende von Handwerkern, Lieferanten und Dienstleistern mehrheitlich vergeblich ihrem Geld hinterher.
Robin Hood oder Psychoterrorist?
Die offizielle Inkassobranche umschreibt ihre Aktivitäten mit dem feinen Begriff «Forderungsmanagement». Das Ziel ist es, die Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger nicht nachhaltig zu stören. Leute wie Hoyer würden dem gesamten Berufsstand schaden, heisst es beim VSI. Sie seien potenziell gefährlich, weil die Dinge bei Einsätzen ausser Kontrolle geraten können und der Auftraggeber in einem solchen Fall ebenfalls haftbar sei. Die Verhaltensregeln des Verbandes besagen, dass die Mitglieder auf Massnahmen verzichten müssen, die der Einschüchterung des Schuldners dienen. Höfliche Mahnschreiben sind erlaubt, Telefonate ebenfalls. Das Verlustvolumen aller Schweizer Gläubiger belaufe sich - Konkurse, Betreibungen und Pfändungen zusammengerechnet - auf siebeneinhalb Milliarden Franken pro Jahr, sagt der Insolvenzspezialist Kurt Odermatt, aber nur ein kleiner Teil der Geschädigten greift auf professionelle Hilfe zurück, um die Ausstände einzutreiben. Der VSI bringt eine halbe Milliarde Franken in die Kassen zurück. Die Erfolgsquote liege zwischen 60 und 75 Prozent. «Trotzdem klafft ein Milliardenloch zu Lasten der Gläubiger», sagt Rolf Meyer.
Werner Hoyer schafft da Abhilfe. Seine Fans loben die ITM-Dienste in entsprechenden Internetplattformen mit goldenen Worten und betrachten den Chef als modernen Robin Hood. Tatsache ist: Was Werner Hoyer als «freundlich-forderndes Auftreten» beschreibt, bezeichnen andere als «Psychoterror». «Geldeintreiber jagen Klausjürgen Wussow» titelte Bild vor zwei Jahren. Der Serienstar («Das Traumschiff», «Klinik unter Palmen») bekam damals Besuch aus Celle. Der 73-Jährige klagte: «Woher soll ich etwas nehmen? Ich lebe doch selbst am Existenzminimum.» - «Blödsinn», sagt Werner Hoyer. Schliesslich klärt er im Vorfeld ab, ob die vermeintlichen Ausstände tatsächlich existieren, was immerhin bei einem Drittel aller Auftraggeber nicht der Fall ist. Der Rest fordert Summen zwischen 10000 und einer Million Euro zurück. Hoyers Honorar wird von Fall zu Fall aus- gehandelt. Seine Truppe beobachtete tagelang Wussows Haus und sorgte schliesslich mit der Drohung «Wenn du nicht zahlst, hast du ein Problem am Hals» beim ehemaligen «Schwarz-waldklinik»-Doktor für einen Schwächeanfall. Der rief die Polizei. «Die kamen aber nicht», ergänzt Werner Hoyer die Geschichte, «denn die dürfen nur etwas unternehmen, wenn wir handgreiflich werden.» Dies gelte es unbedingt zu vermeiden, und genau darum habe man sich auf die subtile Art der Agitation spezialisiert. «Überraschen, bedrängen, verbale Grobheiten - nach diesem Programm sind die Schuldner meist dialogbereit», erklärt Igor Kulikow die Strategie. Auch bei hartgesottenen Pleitiers funktioniere sie überraschend gut.
Jeder soll sie sehen
Häufig kann Hoyers Kommando mit der Kooperation des sozialen Umfeldes hilfsbereiter Nachbarn rechnen. «Im Vorfeld einer Aktion finden wir heraus, wie oft der Schuldner mit edlen Shoppingtüten nach Hause zurückkehrt, ob er einen Zweitwagen versteckt und wo er die Ferien verbringt», sagt der Chef über Informationen, die erahnen lassen, wie viel Geld tatsächlich zur Verfügung steht. In Dörfern, aber auch in Villenvororten erweist sich die indiskrete Schnüffelei als besonders effizient. «Unsere Fragerei spricht sich in Windeseile herum, und schon hat der Betroffene ein Stigma und ist verunsichert», freut sich Arno Koch. Einsätze, bei denen viel Geld im Spiel ist und ehrbare Bürger unter einer drohenden Rufschädigung besonders leiden, geht das Kommando nicht rasch, sondern betont gemächlich an. Der weisse Offroader oder die schwarze BMW-Limousine werden dann augenfällig parkiert, die schusssicheren Westen ziehen sie im Freien an, das alles geschieht im Zeitlupentempo, damit sich auch genug Schaulustige einfinden können. Auf die Frage der Passanten: «Drehen Sie einen Film?», geben die schwarzgekleideten Herren keine Antwort. Mit Buster-Keaton-Gesicht und gezücktem Fernrohr, am Ohr das Walkie-Talkie, legen sie sich auf die Lauer. Stunden, Tage oft auch Wochen später erfolgt der überfallartige Hausbesuch.
«Warum kauft einer, der anderen Geld schuldet, weiterhin in der Globus-Delicatessa ein?», werden die Observierten angeschnauzt. «Weshalb müssen die Kinder eine Privatschule besuchen, wenn Papa nicht einmal die Rechnungen der Handwerker bezahlen kann?» - «Wieso arbeiten Sie nur halbtags und verbringen den Rest der Zeit auf dem Golfplatz?» - «Die meisten bezahlen subito - nicht weil sie ihre Schulden loswerden wollen, sondern uns», hat Arno Koch erkannt. Dass sich nicht alle gleich schnell einschüchtern lassen, erfuhr er bei einem Einsatz in Hannover: Minuten, nachdem er mit Kulikow einen Albaner besuchte, war er von einer Horde Mitstreitern umringt. «Die fuchtelten mit Baseballschlägern herum», erzählt Koch. «Wir mussten uns zurückziehen», erinnert sich Kulikow zerknirscht.
Um zu beweisen, dass alles mit rechten Dingen zu und her geht, zeichnet Werner Hoyer jeden Einsatz auf Video auf. «Früher», seufzt er, «folgten schweigsame Kapuzenmänner den Schuldnern stundenlang durch die Strassen.» Diesem öffentlichen Treiben bereitete der deutsche Bundesgerichtshof ein Ende. Heute dürfen nicht einmal mehr die Firmenkarossen mit dem Logo der Eintreiber beschriftet werden. Das Inkasso-Team Moskau provozierte bisher an die hundert Strafanzeigen wegen Nötigung und Bedrohung, aber auch der Chef kennt seine Rechte, er entstamme schliesslich einer Juristenfamilie: «Das Schuldeneintreiben ohne Bewilligung ist ordnungswidrig - mehr nicht», sagt er. Der Begriff der Nötigung ist juristisch nicht exakt definiert, es liegt im Ermessensspielraum der Bedrängten, was sie als unzumutbar empfinden. ITM spekuliert darauf, dass die Celler Staatsanwaltschaft das Sammelverfahren gegen das Unternehmen bald einstellt. So oder so will sich Werner Hoyer nicht von einer Mission abbringen lassen, die der Gerechtigkeit diene und für viele Geschädigte eine wichtige Lebenshilfe darstelle. Der beste und auch erfreulichste Beweis für diese Behauptung? Jene Auftraggeber, die dem Boss hundert Prozent der zurückgeholten Summe als Gage überlassen. «Denen geht es nicht ums Geld, denen geht es um Genugtuung», sagt Werner Hoyer. Und lächelt.
*Name ist der Redaktion bekannt.

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