- Der kleine Terror von nebenan - rocca, 27.04.2005, 15:18
Der kleine Terror von nebenan
-->Der US-Soziologe Robert W. Fuller analysiert den gesellschaftlichen Machtmissbrauch und die Rangordnungskämpfen zwischen"Somebodies" und"Nobodies". Ein Phänomen, das sich in Krisenzeiten besonders stark manifestiert und auch auf Deutschland übertragen lässt.
Neben Rechthaberei und der unaufgeforderten Spontanbelehrung haben sich in in Deutschland neue Volkstugenden etabliert, die den Quizshow-Abfallprodukten mittlerweile die oberen Ränge in der Tabelle deutscher Verhaltensauffälligkeiten ablaufen. Mit den Waffen"Statusprotzerei" und"Unterschichten-Mobbing" kämpft der bürgerliche Mittelstand sein Rückzugsgefecht aus der gesellschaftlichen Bedeutung.
Dass es für dieses Verhalten bereits das passende Etikett gibt, ist ausnahmsweise keine Verdienst einer denglizierenden deutschen Werbeagentur, sondern dem US-Soziologen Robert W. Fuller zu verdanken. In seinem Buch [extern] Somebodies and Nobodies - Overcoming the Abuse Of Rank hat er genauer unter die Lupe genommen, wie sich Hinz und Kunz gegenseitig fertigmachen und dem Phänomen den Titel"Rankism" verliehen. Seine Analyse der neuen"gesellschaftlichen Umgangsformen" fällt nicht unbedingt optimal aus. Selbst die New York Times hat alarmiert seine Explikationen aufgriffen. Denn am Ende der zwischenmenschlichen Machtspiele steht nicht selten blanker Terror. Vor allem der Terror der Individuen untereinander, aber auch der Machtmissbrauch zwischen sozialen Gruppen, bis hin zum Krieg innerhalb Gesellschaften und zwischen Nationen.
Mit"Rankism" etabliert der ehemalige US-Präsidentenberater und Rektor des Oberlin College (Ohio) einen Begriff, der weit über eine Trendbeobachtung hinaus zeigt und den er selbst als Mother of"Isms" bezeichnet. Rassismus (racism), Sexismus (sexism), Altersrassismus (ageism) - diese hat die Gesellschaft lang erkannt und zumindest in Frage und ins moralische Abseits gestellt. Nach Fuller sind die Phänomene aber nichts weiter als Ausprägungen des zentralen und ihnen zu Grunde liegenden Elements Rankism:
Alle bislang bekannten"Isms" sind nur die Köpfe einer Hydra; Rankism aber ist deren Herz und Körper.
Soziale Degradierung
Rankism, das ist, auf den Punkt gebracht, der Machtmissbrauch, den wir mit unserem Status betreiben. Der eine mehr, der andere weniger - kein Mensch ist gänzlich davor gefeit und jeder wird, ist oder war bereits Opfer. Grund genug für Fuller auch mit seiner [extern] Website die gesellschaftliche Brennweite auf das Phänomen einzuschärfen.
Diese Ausprägung der sozialen Degradierung trifft die Gesellschaft auf breiterer Ebene, als alle anderen Diskriminierungen bisher. Schnell haben wir uns im Alltag die Indikatoren (berufliche Position, Einkommen, Ausbildung, Wohnort, Familienstand etc.) beschafft, mit denen wir unser Gegenüber als potenzielle Bedrohung oder als subaltern einordnen. Davon hängt ab, ob wir ihn in Zukunft befrieden und umgarnen oder ihn fortan ignorieren, ausnutzen und gelegentlich sogar demütigen? Denn Opfer von Rankism zu werden bedeutet nicht weniger, als einen brutalen Angriff auf die eigene Würde zu erleiden.
Konkrete Ausprägungen erfährt der Missbrauch von Machtpositionen tagtäglich in allen gesellschaftlichen Beziehungen. Rankism spielt sich in Freundschaften, im Arbeitsverhältnis, in der Beziehung zwischen Arzt und Patient, Klerikern und Gläubigen, Politikern und Wählern, Lehrern und Schülern und in der Kommunikation zwischen Kunden und Verkäufern ab. Zwischen Individuen genauso wie unter Gruppen - bis hin zum immer populärerem Mobbing. Und das trifft dann auch Wirtschaft und Politik. Kollegen und Mitarbeiter, die sich bis zum Magengeschwür und Infarkt demütigen und terrorisieren, zehren erheblich an der Effizienz jedes Unternehmens, jeder Partei oder Organisation.
Wer sich das Thema Rankism spätestens jetzt weit weg und über den Atlantik wünscht und auf die Werte des alten Europas vertraut, darf sich die Augen reiben. Befragt, inwieweit Rankism als US-amerikanisches Phänomen auf Deutschland übertragbar ist, äußert der Gesellschaftskritiker und Essayist Dieter Thomä (Das erstarrte Land - über das neue Biedermeier) Enthüllendes. Thomä, der selbst einige Jahre an US-Universitäten lehrte, beobachtete in den USA"raffiniertere Formen Status auszudrücken" als in Deutschland. Was den decouragierenden Umkehrschluss zulässt, dass hier zu Lande noch platter und auffälliger geprotzt wird als im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
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