- G8 und entwicklungspolitische Implikationen des Debitismus (mlT) - moneymind, 09.07.2005, 21:14
- lang, aber toll! (o.Text) - ---Elli---, 09.07.2005, 23:06
- Kallo moneymind - toller Posting - Turon, 10.07.2005, 03:06
- Re: Transformation in Polen - Turon - moneymind, 11.07.2005, 11:08
- Entwicklungshilfe und Grameen-Bank - Holmes, 10.07.2005, 18:36
- Re: Entwicklungshilfe und Grameen-Bank - Holmes - moneymind, 11.07.2005, 11:10
Re: Transformation in Polen - Turon
-->Hi Turon,
Was Du über den Transformationsprozeß in Polen berichtest, würde ich aus Sicht der Eigentumstheorie in etwa so interpretieren: wie polnische Politiker und westliche Transformationsberater diesen Prozess gesteuert haben, beruhte auf ihrem Blick durch die Brille der neoklassischen Ã-konomie. Dieses Modell ist schon von Grund auf zur Anleitung von Transformationsprozessen ungeeignet, weil es universalistisch angelegt ist. Wenn man eine immer und überall gültige Wirtschaftstheorie entwerfen will, kann man Unterschiede zwischen verschiedenen Wirtschaftsformen nicht mehr wahrnehmen (man blendet sie aufgrund der Entscheidung, ein universalistisches Modell konstruieren zu wollen, von vorneherein aus und nimmt nur noch Gemeinsamkeiten wahr). Bei einer Transformation zu einer Marktwirtschaft geht es aber gerade darum, solche Unterschiede herzustellen: die Unterschiede, die zu einem dynamischen und innovativen Marktprozeß führen. Da die Neoklassik solche Unterschiede aufgrund ihrer theoretischen Grundentscheidung gar nicht wahrnehmen kann, ist es kein Wunder, daß sie Transformationsprozesse nicht erfolgreich anleiten kann.
Die politischen Fehlentscheidungen (nicht nur) in Bezug auf die osteuropäischen Transformationsprozesse scheinen mir also nicht unbedingt in bösem Willen, sondern vor allem in theoretischer Unfähigkeit begründet zu sein, die ich in erster Linie den Wirtschaftswissenschaftlern anlasten würde.
Das neoklassische Modell übersieht unter anderem auch die unverzichtbare Rolle der systematischen Dokumentation von Eigentum und der Vollstreckbarkeit von Verträgen. Es legt nahe, daß funktionierende Märkte automatisch entstehen, wenn man nur die staatliche Mengenplanung beseitigt. Das hat man in Polen anscheinend gemacht. Die Praxis zeigte dann, wozu das tatsächlich führt. Die horrenden Zinssätze bis zu 100%, die Du erwähnst, könnten ja als Risikoprämie entstanden sein: die Kreditgeber waren sich über die „Unsicherheit des Vermögensrückflusses“ durchaus im klaren und versuchten, diesen durch eine hohe Risikoprämie auszugleichen (ist Bankpraxis). Da aber nicht nur „ausreichende Sicherheiten“ fehlten, sondern wegen der mangelnden Institutionalisierung von Eigentum und Vollstreckbarkeit von Verträgen (Vermögenshaftung) überhaupt kein Verlustrisiko für die Kreditnehmer, das sie zu einem verantwortlichen und markt-/kundenorientierten Umgang mit den Krediten (Produktion aufbauen) hätte „zwingen“ können. Also verhielten sich viele Kreditnehmer ähnlich wie die korrupten Politiker aus den Entwicklungsländern. Ein Beobachter dieser Prozesse hat das für Russland so beschrieben (und in Polen ist es möglicherweise ähnlich gelaufen):
„In concluding a credit agreement, naturally, any lender will try to additionally secure his interests by vesting himself with the right to seize material assets in the event of non-payment or by transferring real estate or equipment to himself as security. However, the practice of attaching a debtor's property or of seizing an immovable or large movable pledge has not become very common in Russia. … It is … sufficient (for the debtor) … to turn credit into cash through a dummy firm, to disappear from the field of view of the bank's special services, and then to disappear from the field of view of law enforcement organs.” Der Autor schloß daraus, dass „judicial reform is another necessary condition to the development of the Russian money market.”
Man könnte nun die „Unverantwortlichkeit“ dieser Kreditnehmer anklagen, was aber wohl am Punkt vorbeigeht; auch in funktionierenden Marktwirtschaften sind die Menschen von Natur aus sicherlich nicht verantwortungsvoller, aber es gibt Institutionen, die sie zu einem verantwortlichen Umgang mit geliehenen Gelder zwingen -- und die vielleicht effizienteste, direkter Kontrolle weit überlegenen Institution ist da eben die Vermögenshaftung (wenn ich nicht zurückzahle, ist auf völlig legale Weise mein Haus weg). Kreditnehmer in einer Transformationsökonomie ohne Eigentum und Vermögenshaftung unterliegen dieser Restriktion nicht. Politiker in Entwicklungsländern, die westliche Entwicklungshilfegelder bekommen, ebenfalls nicht.
Du erwähnst Soros und dessen Aktivitäten in Osteuropa. An Soros finde ich interessant, daß er viele Unzulänglichkeiten der neoklassischen Ã-konomie kritisiert und sogar ein kreditbasiertes Modell von Boom und Rezession hat (in „Alchimie der Finanzen“); er ist auch kein neoliberaler Ideologe, sondern sieht deutlich, daß funktionierende Märkte nicht nur zu einer dynamischen Wirtschaft und relativem Güterreichtum, sondern meist längerfristig auch zu Individualisierung und Entsolidarisierung führen, also auch eine weniger angenehme Seite haben. Er übersieht aber ebenfalls die zentrale Rolle von Eigentum und Vermögenshaftung für funktionierende Märkte. Insofern waren auch seine Transformationsvorschläge und -Bemühungen sozusagen „Opfer“ einer unzureichenden Theorie.
Bei meinem Beitrag hatte ich daher folgenden Gedanken im Hinterkopf: aus der Perspektive der Eigentumstheorie/des Debitismus als alternativem Ansatz, Wirtschaft zu erklären, ergibt sich auch eine neue Perspektive auf Transformationsprozesse von Nichtmarktwirtschaften zu dynamischen Marktwirtschaften. Das betrifft zum einen sogenannte Entwicklungsländer, zum anderen aber auch osteuropäische Länder (und auch die deutsche Vereinigung). Man kann nun aus dieser neuen Perspektive besser erkennen, warum die osteuropäischen und ostdeutschen Transformationsprozesse nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben. Man kann auch besser erkennen, warum Entwicklungshilfe als solche nicht die gewünschte eigenständige Entwicklung zur Weltmarktfähigkeit bringt, sondern in vielen Fällen eher von korrupten Politikern konsumptiv für Prestigeprojekte, Waffenkäufe etc. verpulvert wird.
Ein nächster, mehr konstruktiver Schritt bestünde für mich dann in der Frage: wie genau kann man es aus der Perspektive der neuen (und recht nüchternen) Theorie anders und besser machen? Diese Frage wollte ich in erster Linie aufwerfen. Falls das hier schon zur Genüge diskutiert worden ist, sorry --- ich war nicht regelmäßig im Forum zu Gast. Ich würde mich dann über ein paar Links zu entsprechenden älteren Postings freuen.
Gruß
moneymind

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