- Mein Berufswunsch: Journalist. Muss man ihn begraben, wenn man gehörlos ist? - Prosciutto, 25.07.2005, 13:07
- Nachtrag: Eingescannter Leserbrief - Prosciutto, 25.07.2005, 13:20
- Re: Nachtrag: Eingescannter Leserbrief - Plutarch, 25.07.2005, 13:42
- Re: Computer und Menschen - Holmes, 25.07.2005, 14:28
- Versuch es halt mal damit - Toby0909, 25.07.2005, 14:36
- Re: Nachtrag: Eingescannter Leserbrief - kenne sehr nette Informatiker - BillyGoatGruff, 25.07.2005, 14:52
- Re: Mein Berufswunsch: Journalist. Muss man ihn begraben, wenn man gehörlos ist? - NaturalBornKieler, 25.07.2005, 14:29
- Re: Nein - dottore, 25.07.2005, 15:05
- Dottore, ich antworte mal an seiner Stelle - Gundel, 30.07.2005, 06:39
- Re: Berufswunsch: Journalist. Wunsch und Wirklichkeit - Christian, 25.07.2005, 15:13
- Nachtrag: Eingescannter Leserbrief - Prosciutto, 25.07.2005, 13:20
Re: Computer und Menschen
-->Hallo Prosciutto,
ich arbeite viel mit Informatikern zusammen, habe mit mehreren zusammen gewohnt und programmiere auch selbst (bin selbst aber Psychologe an einem Informatik-Forschungsinstitut). Meine bisherigen Erfahrungen sind eher normal. Es gibt da ähnlich durchgeknallte Typen wie bei den Psychos, oder den E-Technikern:-) Und es gibt auch normale Leute darunter, von daher glaube ich nicht, dass das Studium einen zum Seltsamwerden zwingt. Was Du z.T. beschreibst, sind typische"workaholic"-Muster, die jeden treffen können. Hier ist das allgemeinere Phänomen von Suchtmustern zu erkennen, die Flucht vor unangenehmen und ungelösten Problemsituationen in beherrschbare und belohungsspendende oder einfach nur ablenkende Situationen. Das kann jeden treffen, Arbeitssüchtige gibt es in allen Berufen.
Allerdings: die Informatik bzw. das Programmieren sind auch etwas besonderes, weil man extrem viel mit geistigen Abläufen zu tun hat und dadurch auch anfängt, sein eigenes Leben mit Informatik-Konzepten zu betrachten. Das ist z.T. auch nicht schlimm, in der Psychologie gibt es eine Forschungsrichtung namens"Kognitive Psychologie", die in den 70-80er Jahren das Denken über das Denken damit vorangebracht hat, dass man den Computer als Modell für das Gehirn nahm.
Die amerikanische Soziologin Sherry Turkle hat in dieser Zeit zwei sehr interessante Bücher geschrieben, die sich mit der Frage beschäftigen, wie stark der Computer die Art und Weise verändert, wie sich Menschen selbst sehen:
The Second Self: Computers and the Human Spirit
New York: Simon and Schuster, 1984.
Paperback edition, New York: Touchstone, 1985.
Second edition with new introduction, Cambridge: MIT Press, 2005..
Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet
New York: Simon and Schuster, 1995.
Paperback edition, New York: Touchstone, 1997.
Beide gibts auch in Deutsch.
Turkle arbeitet selber am MIT und lebt unter Informatikern, kann sie also sehr gut beobachten. Und es gibt sehr interessante"Deformationen", die aus der allzu direkten Übernahme der Computermodelle als Modelle für Menschen resultieren, z.B. das Problem der Emotionen. Computer haben offensichtlich keine Gefühle, aber Menschen haben welche. Wenn ich mich selbst als Computer sehe, wozu habe ich dann Gefühle? Bin ich eine"meat machine", deren Gefühle nur hinderlich sind weil ich sie nicht begründen kann? In der Tat gibt es in den Turkle-Büchern ein paar Leute, die sich so sehen.
Leider ein Irrtum, meint Antonio Damasio, ein Hirnforscher:
Damasio, Antonio R. 2001: Descartes Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München, 6. Aufl.
Damasio hat Patienten, die aufgrund einer Verletzung oder einer Krankheit keine Gefühle mehr haben, sie handeln rein logisch, weil das Gefühlszentrum zerstört ist. Sind diese Leute jetzt perfekt Handelnde, weil sich nicht mehr von irrationalen Gefühlen beeinflußt werden? Nein, denn sie schaffen es nicht einmal, sich morgens zu entscheiden, welche Hose sie anziehen sollen. Dafür gibt es nämlich gar keinen logischen Grund bzw. diese Entscheidung kann man gar nicht logisch treffen. Es gibt keinen Algorithmus, der die"Hosen-Entscheidung" trifft, weil es keine"vernünftige" Entscheidung ist. Bei diesem armen Menschen kann man erkennen, wieviele Entscheidungen des Alltags nicht logisch getroffen werden, sondern aus dem Bauch heraus. Man"kann" es gar nicht wissen, was das Beste ist, aber es muss etwas getan werden. Gefühle sind u.a. dazu da, in diesen Situationen eine Entscheidung zu treffen. Gleichfalls sind Gefühle oft das Endresultat einer sehr komplexen Verarbeitung unseres Gehirns, dessen Prozesse uns nicht einsichtig sind (Kann ich sehen/hören/fühlen, wie ich denke? - Also, ich nicht). Das bedeutet aber, dass ich als Programmierer zwar das"Denken" des Computers kontrollieren kann, aber nicht das eigene Denken. Das nervt und macht noch unsicherer. Also noch mehr Flucht in die Arbeit...
Hier hilft vielleicht ein bißchen Philosophie: der dänische Denker Sören Kierkegaard sagte einmal:
"Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es aber vorwärts!"
Trifft auch ein bißchen auf die Börse zu, aber was für ein Wunder, denn schliesslich ist nach André Kostolany die Börse sowieso nur Psychologie
In dem Sinne, folge dem Motto der Eintagsfliege: Carpe diem!
Beste Grüsse,
Holmes

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