- @dottore - noch eine Frage zu"Macht" und"Recht", vgl. Max Weber - weissgarnix, 31.08.2005, 14:28
- Re: Nur der Staat kann in die Rolle des Schuldners (!) zwingen - dottore, 31.08.2005, 18:13
- danke. damit gehe ich jetzt erst mal in Klausur... RE: Nur der Staat kann..... (o.Text) - weissgarnix, 31.08.2005, 18:46
- Re: Nur der Staat kann in die Rolle des Schuldners (!) zwingen - dottore, 31.08.2005, 18:13
Re: Nur der Staat kann in die Rolle des Schuldners (!) zwingen
-->Hi weissgarnix,
>seit Lektüre Deines Aufsatzes verbringe ich wieder eine Menge Zeit mit meinen - bereits recht verstaubten - Schriften zu Rechts- und Staatswissenschaften, eine ganz persönliche"Umwegrentabilität" dieser Diskussion, für die ich Dir jedenfalls sehr dankbar bin.
Ich habe noch an einer"Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät" VWL- und BWL-Seminare gegeben. Die seit 1844 erscheinende „Zeitschrift für die gesamten Staatswissenschaften“ ist die älteste"wirtschaftswissenschaftliche" Zs. Deutschlands (heute:"Journal of Institutional and Theoretical Economics").
>Zugegeben nicht halb so spannend wie Pharaonen-Briefe, UR III Kontrakte oder Papyrus Lansig, aber trotzdem: wie stehst Du denn zu diesen, sagen wir mal"soziologischen" Einwänden?
Der Beginn alles menschlichen Produzierens beginnt im Kleinverband. Auf die mittlere Größe dessen (150 Menschen) als Großfamilie, Gruppe, Stamm o.ä. hatte ich mir eben erlaubt hinzuweisen ("Dunbars Number").
In diesen Gruppen gibt es - völlig unbestritten und auch unbestreitbar - das, was Dir als"soziologisch" vorschwebt: Chefs,"Älteste", Familien-"Oberhäupter", Häuptlinge, usw. Ohne solche"natürliche Hierarchie" geht also nichts. Der/die Hierarch(en) ("Bestimmer") sagen also, was zu geschehen hat bzw. wann, wo, von wem, wieviel, usw. und sie legen auch fest (und überwachen dies), welche Sanktionen in welchem Fall über die einzelnen Mitglieder ausgeprochen, vollstreckt, usw. werden, u.U. der"Ausschluss" aus dem"Verband".
Dabei sind wir in einer Subsistenzwirtschaft (mit und/oder ohne Vorratshaltung).
Die Dinge ändern sich grundlegend, wenn mit benachbarten"Verbänden" gestritten wird (weites Feld in Einzelheiten). Sobald ein anderer"Verband" unterworfen (z.B."sub hasta" bei den Römern usw.) und nicht ausgerottet wird (gab's auch en masse), wird dieser"unterlegene" (liegt drunter) Verband zunächst entweder beraubt (einmalig oder gelegentlich wiederholt) oder zur laufenden Abgabe (Tribut), zu leisten in Diensten oder Dingen gezwungen (coercive power).
Dies sind bei Franz Oppenheimer die "politischen Mittel":
"Es gibt zwei grundsätzlich entgegengesetzte Mittel, mit denen der überall durch den gleichen Trieb der Lebensfürsorge in Bewegung gesetzte Mensch die nötigen Befriedigungsmittel erlangen kann: Arbeit und Raub, eigne Arbeit und gewaltsame Aneignung fremder Arbeit. »Raub! Gewaltsame Aneignung!« Uns Zeitgenossen einer entwickelten, gerade auf der Unverletzlichkeit des Eigentums aufgebauten Kultur klingen beide Worte nach Verbrechen und Zuchthaus; und wir werden diese Klangfarbe auch dann nicht los, wenn wir uns davon überzeugen, daß Land- und Seeraub unter primitiven Lebensverhältnissen geradeso wie das Kriegshandwerk - das ja sehr lange auch nur organisierter Massenraub ist - die weitaus angesehensten (!) Gewerbe darstellen.
Ich habe aus diesem Grunde und auch deshalb, um für die weitere Untersuchung kurze, klare, scharf gegeneinander klingende Termini für diesen sehr wichtigen Gegensatz zu haben, vorgeschlagen, die eigne Arbeit und den äquivalenten Tausch eigner gegen fremde Arbeit das »ökonomische Mittel«, und die unentgoltene Aneignung fremder Arbeit das »politische Mittel« der Bedürfnisbefriedigung zu nennen."
Oppenheimers ganzer"Staat" ist hier zu finden. Auch die Lektüre dieses"Umwegs" ist rentabel.
Sobald "Politik", Staat, Fremdzwang (Synonyma für"Macht") eintreffen, beobachten wir, jedenfalls soweit ich es bisher beurteilen kann, den Beginn des Sturmlaufs des "Wirtschaftens", das sich als Produzieren plus fremdgesetztem Termin, fremdgesetzter Sanktion, Zins (Abgabe), Geld (Abgabengut), Unter-Eigentum (das Obereigentum bleibt immer bei der Macht) usw., usw.
Diesen Prozess können wir (Europa/Amerika einschließlich deren Kolonialreiche - die chinesischen/japanischen und weitere Entwicklungen sind bisher nur gestreift worden, die Welt ist wirklich groß) bis heute in einer Linie durchziehen. Wir hängen also letztlich von dem ab, was sich vor 5000 oder so Jahren im fremdmacht-eroberten Mesopot zum ersten Mal"ereignet" hat. Die Parallelen zu Ägypten und auch dem prae-kolumbianischen Amerika wurden schon besser beleuchtet.
Gestritten wird, ob das Oppenheimer'sche"ökonomische Mittel" aus dem"politischen Mittel" herzuleiten ist - oder umgekehrt. Meine These: Das Ã-M ist Folge, nicht Ursache des PM, da das Ã-M (letztlich auf"Äquivalenz" basierend) keine Möglichkeit hat (Besicherung, Vollstreckung usw.), zu starten oder sich durchzusetzen (wir sind nun mal keine Englein, jedenfalls noch nicht), ohne das PM ("Politik", Staat, Fremdzwang) zur Hilfe zu nehmen, das PM ergo theoretisch (und wie nachweisbar auch historisch) vor dem Ã-M in der Welt sein muss.
Dass sich"Macht" ex den Zeiten/Zuständen des"Verbandes" auch nach wie vor in anderen Formen erhalten hat und bis heute manifestiert (soziale Ächtung, Verwünschung,"böser Blick", Kontaktabbruch, Aufbau von"Gegenmacht", Absprachen, Kartelle,"heimliche" Monopole, usw., usw.) versteht sich ohne Diskussion. Auch, dass sich daraus"ökonomische" Konsequenzen ableiten lassen.
Nur bleibt der alles entscheidende Unterschied:
1. Die Schuld dessen, der sich gegen den Konsens (er selbst als mit dem Konsens eingeschlossen) des"Verbandes", ist dem Betreffenden a priori klar. Er weiß also, was mit ihm"passiert", falls er...
Er weiß also, dass er sich schuldig gemacht hat, bzw. wusste, dass er"schuldig" werden würde, wenn er... Dass dieser Schuld (culpa) eine"Bestrafung" folgen würde (zumindest, wenn er erwischt wird), kann ihm nicht verborgen geblieben sein (notfalls helfen beobachtete Erfahrungen, wie es"bei anderen" war, wenn sie... und - im kodifizierten Sanktions-Recht - ein Blick ins Strafgesetzbuch).
2. Die Schuld dessen, der gegen nichts ihm Bekanntes oder Erkennbares verstoßen hat, wird dem Einzelnen erst a posteriori klar. Hier haben wir es mit dem"modernen Staatsbürger" zu tun, dem das Zwangsmachtsystem"Staat" jederzeit und dies ex nihilo - also vorangegangene Schuld oder Verschuldung ("Übertretung") - eine Schuld aufhalsen kann (ein wirtschaftlich relevantes debitum also).
Die Staatsmacht kann also zu ihren (!) Schuldnern machen, wen sie will. Der/die Betroffene(n) können sich nicht darauf einstellen bzw. vorbeugend mit ihrem Tun & Lassen reagieren.
Die Rentenbeiträge starteten unter Bismarck bei?
Bei 1,7 %. Heute: Über 19 %.
Die Einkommensteuer, eingeführt ab Ende 19. Jh., startete bei?
Bei 1 bis 3 % (je nach Bundesstaat, einige blieben steuerfrei).
Die Umsatzsteuer, eingeführt 1916, startete bei?
2 (zwei) Promille!
Heute: 16 bzw. 7 % mit Vorsteuerabzug. Selbst den CDU/CSU-Erhöhungswünschen (18) kann er als Einzelner nicht entkommen, es sei denn die Mehrheit der Einzelnen entscheidet sich gegen CDU/CSU (interessantes Experiment).
Die Staatsverschuldung (vertagte Steuern), auf deren Aufnahme der Bürger absolut keinen Einfluss hat und auch nichts darüber a priori wissen kann, denn darüber entscheidet die Kassenlage nach Verabschiedung der Etats, auf deren Verabschiedung der Bürger keinerlei Einfluss hat (das Etatrecht ging zwar vom Monarchen auf die Parlamente über, aber von diesen nicht aufs"Volk" oder auf"die Wähler" -
die Staatsverschuldung also lag 1948 bei? 10 Mrd. Euro.
Heute: 1400 Mrd. Euro - und steigend.
Dass Steuern, Staatsschulden usw. (PM also) die Ã-M massiv beeinflussen (Preise, Löhne, sonstige Einkommen, usw.) also nachgerade"knechten", muss nicht weiter ausgeführt werden.
Kurzum: Darum geht es.
>Wie ich zuletzt anhand von Popitz' Beispiel versucht habe zu belegen, gibt es mM nach wesentlich subtilere Formen von Macht (quasi im Bereich des"Privaten"), die Knappheit hervorrufen und damit den Prozess des Wirtschaftens in Gang setzen.
Das Beispiel überzeugt nicht. Oder war eine Liegestuhl-Fabrik im Unterdeck?
Der Prozess des Wirtschaftens kommt nicht durch das Hervorrufen von Knappheit in Gang, sondern durch deren Beseitigung.
Oder anders: Wissen alle Passagiere, dass sie das Risiko laufen, niemals einen Liegestuhl ergattern zu können, sondern nur das erste Dritte, das an Bord geht, und das sofort die vorhandenen Liegestühle besetzt ("Windhundverfahren"), werden die zwei restlichen Drittel sich einen Liegestuhl beim Anbordgehen kaufen oder mieten.
Einwand: So viel Platz gibt's nicht. Lösung, wie bei allen nicht vermehrbaren Gütern: Auktion.
Zu Max Weber, der bekanntlich beim Nachdenken über das Staatsmachts-Problem in schwere Depressionen verfallen war; ich nicht, by the way):
>Wir wollen vielmehr überall da von »Rechtsordnung« sprechen, wo die Anwendung irgendwelcher, physischer oder psychischer, Zwangsmittel in Aussicht steht, die von einem Zwangsapparat, d.h. von einer oder mehreren Personen ausgeübt wird, welche sich zu diesem Behuf für den Fall des Eintritts des betreffenden Tatbestandes bereithalten, wo also eine spezifische Art der Vergesellschaftung zum Zweck des »Rechtszwanges« existiert.
Tatbestand vorher bekannt, Zwangsmittel vorher bekannt.
>Der Besitz eines solchen Apparates für die Ausübung physischen Zwanges war nicht immer ein Monopol der politischen Gemeinschaft.
Die"politische Gemeinschaft" - was soll das sein?
>Für psychischen Zwang besteht ein solches Monopol - wie die Bedeutung des nur kirchlich garantierten Rechts zeigt - auch heute nicht.
Abgaben sind tatsächlicher Zwang. Unter psychischen"Druck" kommt nur der Abgaben-Verweigerer, -Hinterzieher.
>Es wurde ferner schon gesagt, daß die direkte Garantie objektiven Rechts und subjektiver Rechte durch einen Zwangsapparat nur einen Fall des Bestehens von »Recht« und »Rechten« bildet. Selbst innerhalb dieses engeren Gebiets aber kann der Zwangsapparat sehr verschieden geartet sein. Im Grenzfall kann er in der einverständnismäßig geltenden Chance der Zwangshilfe jedes an einer Vergemeinschaftung Beteiligten im Fall der Bedrohung einer geltenden Ordnung bestehen.
"Zwangshilfe"? Wieso dann"einverständnismäßig"? Warum nur"Chance", wenn doch Zwang?
>Als »Zwangsapparat« kann es alsdann freilich nur in dem Fall noch gelten, wenn die Art der Verbindlichkeit zu dieser Zwangshilfe fest geordnet ist. Der Zwangsapparat und die Art des Zwanges kann auch bei Rechten, welche die politische Anstalt durch ihre Organe verbürgt, außerdem durch die Zwangsmittel von Interessentenverbänden verstärkt werden: die scharfen Zwangsmaßregeln der Kreditoren- und Hausbesitzerverbände: organisierter Kredit- bzw. Wohnungs-Boykott (schwarze Listen) gegen unzuverlässige Schuldner wirken oft stärker als die Chance der gerichtlichen Klage.
Ja, die Schufa ist mächtig, sie kann aber nicht zur Kreditaufnahme (Schuld) zwingen. Der"unzuverlässige Schuldner" muss zuerst Schuldner geworden sein. Ist er im debitum ex nihilo (!) dem Staat gegenüber - wird ihn der Staat in Zukunft als Steuerzahler boykottieren?
Das wäre große Klasse: Ich zahle meine Steuern nicht und der Stat will mich hinfort nie mehr als Steuerzahler sehen? Machen alle Steuerzahler sofort und das mit dem allergrößten Vergnügen. Der arme Max - da hat er wohl nicht aufgepasst.
>Und natürlich kann sich dieser Zwang auch auf staatlich gar nicht garantierte Ansprüche erstrecken: dann sind diese trotzdem subjektive Rechte, nur mit[tels] anderer Gewalten. Das Recht der Staatsanstalt stellt sich Zwangsmitteln anderer Verbände nicht selten in den Weg: so macht die englische »libel act« schwarze Listen durch Ausschluß des Wahrheitsbeweises unmöglich. Aber nicht immer mit Erfolg. Die auf dem »Ehrenkodex« des Duells als Mittel des Streitaustrages beruhenden, dem Wesen nach meist ständischen Verbände und Gruppen mit ihren Zwangsmitteln: im wesentlichen Ehrengerichte und Boykott, sind im allgemeinen die stärkeren und erzwingen meist mit spezifischem Nachdruck (als »Ehrenschulden«) gerade staatsanstaltlich nicht geschützte oder perhorreszierte, aber für ihre Gemeinschaftszwecke unentbehrliche Verbindlichkeiten (Spielschulden, Duellpflicht).
Ja, für ihre Gemeinschaftszwecke. Spielschulden nicht bezahlt = keiner spielt mehr mit dir. Zum Duell nicht angetreten = erspart wenigstens die Strafe. (231 STGB usw.).
>Die Staatsanstalt hat vor ihnen teilweise die Segel gestrichen. Es ist zwar juristisch schief, wenn das Verlangen gestellt wird, ein spezifisch besondertes Delikt, wie der Zweikampf, solle einfach als »Totschlagsversuch« oder als »Körperverletzung« bestraft werden - Delikte, deren Merkmale es nicht teilt -;
Heute: Beteiligung/Schlägerei, s. eben.
>aber die Tatsache bleibt bestehen, daß die Zweikampfbereitschaft, trotz des Strafgesetzes, in Deutschland für den Offizier noch heute4 staatliche Rechts pflicht ist, weil staatliche Rechtsfolgen an ihr Fehlen geknüpft sind. Anders steht es außerhalb des Offizierstandes.
Überholt, s. eben.
>Das typische Rechtszwangsmittel »privater« Gemeinschaften gegen renitente Mitglieder ist der Ausschluß aus dem Verband und [von] seinen materiellen oder ideellen Vorteilen. Bei Berufsverbänden von Ärzten und Anwälten ebenso wie bei geselligen und politischen Klubs ist es die ultima ratio.
Ganz falsch. Der Wegfall materieller Vorteile ungleich Schulden.
>Der moderne politische Verband hat sehr vielfach die Kontrolle dieser Zwangsmittel usurpiert. So ist den Ärzten und Anwälten jenes äußerste Mittel auch bei uns abgesprochen, in England die Überprüfung des Ausschlusses aus Klubs, in Amerika selbst für politische Parteien, ferner die Prüfung der Rechtmäßigkeit der »Label«-Führung auf Anrufung den staatlichen Gerichten zugewiesen. Dieser Kampf zwischen den Zwangsmitteln verschiedener Verbände ist so alt wie das Recht. Er hat in der Vergangenheit sehr oft nicht mit dem Siege der Zwangsmittel des politischen Verbandes geendet, und auch heute ist dies nicht immer der Fall. So ist eine Handhabe, die Unterbietungs-Konkurrenz gegen einen Kartellbrüchigen zu unterbinden, heute nicht gegeben. Ebenso sind die schwarzen Listen der Börsenhändler gegen solche, die den Differenzeinwand erheben, bei uns nicht antastbar, während im Mittelalter die entsprechenden Statutenbestimmungen der Kaufleute gegen die Anrufung der geistlichen Gerichte sicher kanonisch-rechtlich nichtig waren, dennoch aber fortbestanden.
Es geht immer um den Wegfall von"Vorteilen". Aber nirgends um den Zufall (Eingehen von) Schulden.
Und auch da muß das staatliche Recht heute die Zwangsmacht der Verbände weitgehend dulden, wo sie nicht nur gegen Mitglieder, sondern auch oder gerade gegen Außenstehende sich wendet und diese ihren Normen zu unterwerfen trachtet (Kartelle nicht nur gegen Mitglieder, sondern gegen solche, die sie zum Eintritt zu zwingen beabsichtigen; Gläubigerverbände gegen Schuldner und Mieter).
Die Verbände, und seine sie noch so stark ("Mächtig") können niemals jemanden mit eingesetztem oder angedrohten Zwang zum Schuldner machen.
Das kann nur die Obermacht, S.M. der Staat. Oder wieso muss ich - früheres Posting - anno 2005 eine Zweitwohnungssteuer zahlen, 2004 war nichts davon zu sehen.
Vielen Dank und Gruß (in der hoffentlich nicht ganz vergeblichen Annahme, dass es jetzt etwas klarer ist)!

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