- New Orleans; im gu&776;nstigsten Fall als ein zweites Venedig, im schlimmsten Fa - hoerby, 04.09.2005, 14:15
New Orleans; im gu&776;nstigsten Fall als ein zweites Venedig, im schlimmsten Fa
-->als ein modernes Atlantis....mehr
Oder; Warum eine sinkende Stadt retten?
Die Antwort findet man am Ende des Artikels
<font color=#FF0000>Aus Spektrum der Wissenschaft Januar 2002,</font> Seite 52, Beitragstyp Artikel.
Drei Meter hoch stapeln sich die Kartons an den Wänden des großen, fensterlosen Raums. Darin verpackt lagern fabrikneue Leichensäcke - zehntausend an der Zahl. Ein kräftiger Hurrikan, der auf der richtigen Route langsam über den Golf von Mexiko zöge, würde eine gewaltige Flutwelle vor sich herschieben. Diese könnte New Orleans sechs bis sieben Meter tief unter Wasser setzen."Wenn sich das Wasser anschließend zurückzieht", sagt Walter Maestri, Leiter des städtischen Katastrophenschutzes,"rechnen wir mit sehr vielen Toten."
New Orleans wartet auf die Katastrophe. Die Stadt am Mississippi-Delta liegt in einer Senke unter dem Meeresspiegel. Deiche halten den Lake Pontchartrain im Norden und den Mississippi im Süden und Westen ab. Bedingt durch das unglückliche Zusammentreffen verschiedener Faktoren sinkt die Stadt weiter ab. Damit erhöht sich aber die Überflutungsgefahr selbst nach schwächeren Stürmen. Das flache Mississippi-Delta, das die Stadt zum Meer hin schützt, schrumpft zusehends. In einem Jahr werden dort abermals sechzig bis siebzig Quadratkilometer Marschland verschwunden sein.
Etwa alle zwei Stunden geht ein Hektar Land verloren. Mit jedem weggespülten Stück steigt die Gefahr, dass eine Flutwelle über das Delta schwappt und die Senke von New Orleans überschwemmt. Dadurch würden eine Million Stadtbewohner sowie eine weitere Million Menschen in den umliegenden Gemeinden von der Außenwelt abgeschnitten. Eine allgemeine Evakuierung wäre unmöglich. Die wenigen Flucht-wege wären durch die Fluten unterbrochen. Wissenschaftler der Universität des US-Bundesstaates Louisiana (LSU) haben im Computermodell bereits Hunderte möglicher Sturmverläufe, simuliert. Nach ihren Vorhersagen könnte es mehr als 100000 Todesopfer geben. Der Vorrat an Leichensäcken würde dann nicht lange reichen.
Eine Katastrophe scheint somit unausweichlich: Jedes Jahr ziehen in unmittelbarer Nähe der Stadt kräftige Wirbelstürme vorbei. 1965 setzte der Hurrikan Betsy Teile von New Orleans fast drei Meter tief unter Wasser. Der gewaltige Hurrikan Andrew verfehlte die Stadt 1992 nur um etwa 150 Kilometer. 1998 drehte Georges im letzten Moment nach Osten ab, hinterließ aber dennoch Schäden in Milliardenhöhe. Ursächlich dafür sind natürliche Prozesse, die durch menschliche Eingriffe künstlich beschleunigt wurden: Ausbaggern von Flüssen, Trockenlegen von Feuchtgebieten, Graben von Kanälen und Entwässerungsrinnen in Marschland.
Dennoch sehen Wissenschaftler und Ingenieure in weiteren Eingriffen die einzige Chance auf Rettung. Sie sind sich allerdings nicht darüber einig, welche der vorgeschlagenen Projekte durchgeführt werden sollen. Wenn nicht gehandelt wird, so warnen Experten der LSU, wird das schützende Delta des Mississippis bis 2090 verschwunden sein. Die tiefer gesunkene Stadt wird dann direkt am Meer liegen - im günstigsten Fall als ein zweites Venedig, im schlimmsten Fall als ein modernes Atlantis.
Als wäre die Gefährdung zahlreicher Menschenleben nicht schon schlimm genug, hat die potenzielle Überflutung von New Orleans auch ernsthafte Konsequenzen für Wirtschaft und Umwelt. Von der Küste Louisianas stammt ein Drittel der in den USA gefangenen Fische und Meeresfrüchte, landesweit wird hier ein Fünftel des Rohöls und ein Viertel des Erdgases gewonnen. In Louisiana liegen vierzig Prozent der küstennahen Feuchtgebiete und siebzig Prozent der
Überwinterungsplätze für Wasservögel, die es in den USA insgesamt gibt.
Die Anlagen am Mississippi zwischen New Orleans und Baton Rouge bilden zusammen den größten Hafen des Landes. Und schließlich ist das Delta auch für die Seele der US-Amerikaner von großer Bedeutung. Jazz und Blues haben hier ihren Ursprung, hier ist die Quelle des Cajun - der Kultur und Musik der frankophonen Bevölkerung - und des Kreolischen. Hier ist auch der Karneval zu Hause.[/b]<font color=#FF0000> Die Bundesregierung in Washington hat jedoch bisher Forderungen nach Hilfe stets abgelehnt.</font> Dabei wäre die Rettung des Mississippi-Deltas ein wertvoller Präzedenzfall, nicht nur für die USA, sondern weltweit.
Küstenmarschen verschwinden auch - in anderen Anrainerstaaten des Golfs von Mexiko, - entlang der US-Ostküste, in der Bucht von San Francisco sowie - im Mündungsbereich des Columbiastroms.
Die Gründe dafür sind ähnliche wie in Louisiana. Teile der Stadt Houston versinken derzeit sogar schneller als New Orleans. Große Deltas in anderen, Weltgegenden befinden sich heute in ähnlichem Zustand wie das Mississippi-Delta vor hundert oder zweihundert Jahren. Dies gilt beispielsweise für das Orinoco-Delta in Venezuela, das Nil-Delta in Ägypten oder das Mekong-Delta in Vietnam.
Erfahrungen aus New Orleans könnten helfen, Richtlinien für eine behutsamere Entwicklung all dieser Regionen zu erstellen. Die USA könnten ihre Rückbautechnologie in alle Welt exportieren. In Europa verlieren die Deltas von Rhein, Rhône und Po ständig Land. Falls die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert zu einem deutlichen Anstieg des Meeresspiegels führt, müssen unzählige Küstenstädte Schutzmaßnahmen ergreifen, wie sie für Louisiana bereits vorgeschlagen wurden.
Shea Penland gehört zu den Leuten, die am besten wissen, was im Delta los ist. Der Geologe forscht heute an der Universität von New Orleans, verbrachte aber 16 Jahre an der LSU. Er arbeitet im Auftrag des Ingenieurkorps der US-Armee, das für die Errichtung der Deiche zuständig ist. Außerdem sitzt er in Arbeitsgruppen des Bundes und von Louisiana, die Küstenrückbauprojekte durchführen, und er berät die Ã-l- und Gasindustrie. Vor allem aber kennt er überall im Delta Leute, die an sumpfigen Flussarmen und auf Marschen leben diejenigen also, die tagtäglich vor Ort den Verfall der Küstenlandschaft erleben.
An diesem Maimorgen packt mich Shea Penland in seinen klapprigen Pick-up. Der Geologe will mir zeigen, warum das achtzig Kilometer lange Feuchtgebiet suüdlich von New Orleans bereits im Sterben liegt. Über Jahrhunderte hinweg errichtete der Mississippi sein flaches Delta im Südosten Louisianas, indem er bei Springfluten regelmäßig riesige Sedimentmengen ablagerte. Zwar trockneten Sand und Schlick anschließend allmählich ab, wurden unter ihrem eigenen Gewicht zusammengedrückt und senkten sich. Doch schon bei der nächsten Flut wurden die Sedimentschichten wieder erneuert. Auf Anweisung des Kongresses haben jedoch seit 1879 die Ingenieure der US-Armee den Fluss nach und nach eingedeicht. Dies sollte die Überflutung von Städten und Industrieanlagen verhindern. Heute ist der Fluss vom Norden Louisianas bis hin zum Golf von Mexiko gezähmt. Seitdem ist aber die Sediment-zufuhr unterbrochen und der Landstrich sank unter die Linie, bis zu der bei Flut Meerwasser vordringt.
Mit dem Verschwinden der Feuchtgebiete ging auch der Schutz verloren, den New Orleans bislang vor dem Meer hatte. Zwar kann die Flutwelle eines Hurrikans mehr als acht Meter hoch werden. Doch ihre Höhe reduziert sich um jeweils einen Meter, wenn sie über den etwa zwanzig Kilometer breiten Streifen Marschland fließt. Denn eine lebende Marsch saugt reichlich Wasser auf. Verlassene Bordelle an überfluteten Flussarmen Auch heute noch wirkt das flache Marschland vor den Toren von New Orleans wie ein Schwamm. Die Landschaft ändert sich ständig. Flache Süßwassertümpel wechseln sich mit grünen Marschwiesen und Zypressensümpfen ab. Von den Bäumen hängt reichlich spanisches Moos herab, Zeichen für hohe Luftfeuchtigkeit.
Als ich mit Penland etwa die Hälfte der Strecke zum Golf zurückgelegt habe, reißt das Marschland auseinander. Es ist mit Wasser vollgesogen. Wir fahren über einsame Straßen auf Steindämmen, passieren verrostete Wohnwagen und verlassene Bordelle. Einst standen sie an Flussarmen, die jetzt überflutet sind. Gruppen von kahlen, toten Bäumen ragen aus dem braun gefärbten, abgestorbenen Gras.
In Port Fourchon, wo zerstörtes Marschland schließlich in den offenen Golf von Mexiko übergeht, werden Absenkung und Erosion besonders auffällig. Die wenig befahrene Straße verbindet nur noch eine Ansammlung trostloser Wellblechbauten mit der Außenwelt. Ã-l- und Erdgaspipelines, die von einigen hundert küstennahen Quellen kommen, treffen hier zusammen. Zahllose Bohrplattformen bilden dort draußen einen finsteren Wald aus Stahl, der aus dem Wasser wächst. Um die Rohstoffe an Land zu pumpen, haben die Förderunternehmen viele hundert Kilometer lange Schifffahrtskanäle und Pipelinegräben durch die Küsten- und Binnenmarsch gezogen. Mit jedem Durchstich geht Land verloren, Schifffahrt und Gezeiten waschen die Ufer zusätzlich aus."Im Durchschnitt erodiert ein Strand in den USA um etwa sechzig Zentimeter pro Jahr", sagt Penland. Doch Port Fourchon verliert jährlich rund 15 Meter Land die schnellste Erosionsrate des ganzen Landes. Über das Kanalnetz dringt vermehrt Salzwasser in die Binnenmarschen, die dadurch versalzen. Gräser und Niederwald sterben von den Wurzeln her ab. Es bleibt keine Vegetation übrig, um Wind und Wasser daran zu hindern, die Marschen abzutragen.
In einer von der Ã-l- und Erdgasindustrie finanzierten Studie kam Penland zu dem Schluss, dass die Industrie ein Viertel des Landverlustes im Mississippi-Delta verursacht hat.
Die Brüder Toby und Danny Duet, zwei von Penlands Freunden, die am Weg wohnen, wissen aus erster Hand zu berichten, welche Faktoren den Landverlust beschleunigen - über die natürliche Absenkung hinaus. Die beiden leben auf einem beigefarbenen, knapp zwanzig Meter langen Hausboot. Es ankert inmitten einer vierzig Quadratkilometer großen, kranken Marsch, etwa dreißig Kilometer nordwestlich von Port Fourchon. Ihre Familie pachtete das Land vor 16 Jahren von den Firmen, die etwa ein Dutzend über die Marsch verteilte Ã-lquellen betreiben. Damals war das Gebiet einfach nur feucht, die Familie konnte dort fischen und jagen. Heute liegt es zwei bis drei Meter unter Wasser. Die Brüder filtern Regenwasser, um es trinkbar zu machen, bereiten ihr eigenes Abwasser auf und ernähren sich von dem, was sie aus dem Wasser fischen. Geld verdienen sie, indem sie Gruppen von Angelsportlern bei sich übernachten lassen. Toby holt uns per Boot ab. Während wir durch einen Kanal in Richtung Hausboot fahren, sagt er:"Früher konnte ich in diesem Kanal an beide Ufer spucken. Heute fahren hier große Ã-ltanker durch." In der Kajüte des Hausboots fährt Danny fort:"Am Rand des Kanals rammten wir vor zwei Jahren einen Holzpflock in den Schlamm, um unsere Alligatorfalle zu befestigen. Gestern kam ich dort wieder vorbei. Das Ufer hat sich seither von dem Pflock um sechs Meter verlagert. Das scheint nicht viel zu sein. Doch die Alligatoren sind verschwunden. Das Wasser ist zu salzig." Wenn die Marsch verschwindet, wird das Delta nur noch durch wenige kleine, vorgelagerte Inseln geschützt. Vor hundert Jahren waren sie noch Teil der Küstenlinie.
Am nächsten Morgen fahren Penland und ich zur Marine-Arbeitsgruppe der Universität von Louisiana. Dieser wissenschaftliche Vorposten befindet sich in Cocodrie, einer von Wissenschaftlern und Fischern bewohnten Wohnwagensiedlung an der Küste. Von dort laufen wir mit einem der grauen Forschungsboote der Arbeitsgruppe aus. Das Boot stampft durch die Wellen, als wären wir schon auf dem offenen Meer. Doch das Wasser ist hier nirgends tiefer als zwei Meter. Auf diesem ausgedehnten Flachwassergebiet wuchs einst Gras, durch das der Wind strich. Dazwischen schlängelten sich schmale Wasserwege, in denen sich Krabben, Austern, Rotfische und Forellen tummelten. Nach fünfzig Minuten erreichen wir die Isles Dernieres (französisch"letzte Inseln"). Shea Penland setzt das Boot am zum Festland gewandten Ufer der Insel in den Schlamm. Zu Fuß queren wir das etwa achtzig Meter breite Eiland, das lediglich aus unfruchtbarem Sand besteht, um den freien Ozean zu erreichen. Zu beiden Seiten tauchen in einiger Entfernung winzige Inseln auf - Reste der einst sehr langen, stabilen Landzunge, die mit schwarzen Mangroven üppig bewachsen war."An dieser Nehrung brachen sich die Wellen des Ozeans, sie dämpfte die Sturmfluten und hielt Salzwasser fern, sodass sich dahinter die Marsch ungestört entwickeln konnte", sagt der Geologe anklagend. Jetzt hat der Ozean die Herrschaft übernommen.
Vor Louisiana wurden diese Barriereinseln schneller abgetragen als vor anderen Küsten der USA. Millionen Tonnen Sediment wurden früher jedes Jahr durch die Mündung des Mississippis gespült und von küstenparallelen Strömungen bei den Inseln angeschwemmt. Was die Brandung abgetragen hatte, bauten sie wieder auf. Doch Deiche und Ausbaggerung hindern den Fluss auf den letzten Kilometern an einer natürlichen Mäanderbildung. Deshalb hat sich die Mündung auch weit zum Rand des Kontinentalschelfs hin vorgeschoben. Die Sedimente kippen jetzt einfach über die Kante des dortigen Unterwasser-Kliffs in die Tiefsee.
Am nächsten Tag sind wir wieder in New Orleans. Dort erfahre ich, dass andere menschliche Eingriffe das Problem noch verschlimmert haben. Cliff Mugnier ist Geodät an der LSU. Zeitweise arbeitet er auch für das Ingenieurkorps der US-Armee. Es residiert in einem rechteckigen Betongebäude, welches den Deich des Mississippis überragt, an dem das Korps 122 Jahre lang immer wieder gebaut hat. Mugnier berichtet, dass der Boden unter dem Delta aus Schlammschichten besteht - einem feuchten, torfähnlichen Material, das mehr als hundert Meter tief reicht und über Jahrhunderte hinweg bei Überschwemmungen abgelagert wurde. Nachdem das Korps den Fluss eingedeicht hatte, legten Stadt und Industrie große Marschflächen trocken, die zuvor als Ã-dland gegolten hatten. Die Verhinderung von Überschwemmungen und die Drainage von Feucht-gebieten bedingten eine Absenkung des Grundwasserspiegels. Dadurch trockneten die oberen Schlammschichten aus, verfestigten und setzten sich. Dies führten zu einem beschleunigten natürlichen Absinken der Stadt, denn tiefer liegende Schichten verfestigen sich ohnehin mit der Zeit. Aber damit nicht genug. Als die Senke sich vertiefte, wurde sie bei jedem heftigeren Regenguss überflutet. So legte das Korps in Zusammenarbeit mit dem städtischen Amt für Wasser und Abwasser ein Labyrinth von Kanälen an, die das Regenwasser aufnahmen. Dieses konnte man nur in den nahe gelegenen Pontchartrain-See leiten. Doch liegt dessen Seespiegel im Mittel ungefähr dreißig Zentimeter über dem Niveau der Stadt. Daher mussten an den Kanalmündungen Pumpstationen errichtet werden, um das gesammelte Abwasser in den höher gelegenen See zu befördern.
Die Pumpen erfüllen noch einen anderen wichtigen Zweck. Da es sich bei den Abwasserkanälen vorwiegend um einfache Erdgräben handelt, sickert aus nassen Böden Grundwasser in sie ein. Sind sie schon vollgelaufen, können sie während eines Unwetters kein zusätzliches Wasser mehr aufnehmen. Also lässt die Stadt ständig die Pumpen laufen, um Sickerwasser aus den Kanälen zu entfernen. Dadurch wird dem Boden nun aber noch mehr Wasser entzogen, was Austrocknung und Absenkung weiter beschleunigt."Wir verschlimmern unser eigenes Problem", sagt Mugnier. In der Tat gräbt das Korps immer mehr Kanäle und verstärkt die Pumpstationen. Ein Teufelskreis: Je mehr sich die Stadt absenkt, desto stärker wird sie überflutet, umso mehr muss gepumpt werden. Schon bekommen Straßen, Einfahrten und Hinterhöfe Risse. Wenn Erdgasleitungen platzen, fliegen Häuser in die Luft. Mugnier sorgt sich auch um die Nachbargemeinden von New Orleans. Auch sie graben immer mehr Drainagekanäle, denn ihre Bevölkerung wächst.
Im westlich der Stadt gelegenen St. Charles Parish, sagt Mugnier,"könnte sich der Boden um mehr als vier Meter absenken." Das Versinken der Stadt ist kaum aufzuhalten Menschen können die Absenkung des Deltas nicht stoppen, denn die Region ist durch Siedlungen zu sehr erschlossen. So können sie nicht einfach Deiche abreißen, damit der Fluss wieder mäandrieren und bei Hochwasser über die Ufer treten könnte. Die meisten Wissenschaftler und Ingenieure sind sich einig, dass nur zwei realistische Möglichkeiten existieren: Man muss die riesigen Marschen wiederherstellen, die das Hochwasser absorbieren können; und man muss die Barriereinseln wieder miteinander verbinden, um Flutwellen zu stoppen und die regenerierten Marschen vor Meer und Salzwasser zu schützen.
Seit Ende der 1980er Jahre haben die Senatoren von Louisiana dem Kongress verschiedene Pläne vorgelegt, um Unterstützung für einschneidende Hilfsmaßnahmen zu bekommen. Doch sie sprachen nicht mit einer Stimme. Die LSU hatte andere Flutmodelle als das Korps. Trotz einer generellen Übereinstimmung gab es einen Wettstreit darum, wessen Projekt wirksamer sein würde. Das Korps stellte die Katastrophenszenarien der Universität manchmal als verschleiertes Buhlen um Forschungsgelder hin. Zuweilen erwiderte die Universität in scharfem Ton: Für das Korps gebe es nur die unwissenschaftliche Lösung, nämlich noch mehr Baggern und Beton gießen. Derweil klagten Austern- und Krabbenfischer, daß die Vorschläge sowohl der Wissenschaftler als auch der Ingenieure ihre Fischgründe ruinieren würden. Len Bahr, Leiter des Büros für Küstenaktivitäten des Gouverneurs von Louisiana in Baton Rouge, versuchte die Streithähne zusammenzubringen."Bezüglich der Vorgänge in den Feuchtgebieten sind fünf Bundesbehörden und sechs Staatsbehörden mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet." Während der 1990er Jahre, bedauert Bahr,"erhielten wir vom Kongress jährlich nur vierzig Millionen Dollar" - ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin wurden mit diesem Geld kleinere Forschungsprojekte realisiert. Mit deren Ergebnissen konnten die Wissenschaftler etwa voraussagen, dass die Küste von Louisiana bis zum Jahr 2050 weitere 2500 Quadratkilometer, also eine Fläche von 50 x 50 Kilometern, an Marschland und Sumpfgebieten verlieren wird. Im September 1998 schließlich kam Hurrikan Georges. Seine heftig wirbelnden Winde trieben eine fünf Meter hohe Wasserwand vor sich her, gekrönt von schnell rollenden Wellen. Diese Wassermassen drohten den Lake Pontchartrain zu fluten und bis nach New Orleans vorzudringen. Das war exakt die Katastrophe, vor der die LSU schon nach ihren ersten Modellrechnungen gewarnt hatte. Das Schicksal hatte noch einmal ein Erbarmen. Kurz bevor er die Küste erreichte, verlangsamte sich"Georges" und drehte um winzige zwei Grad nach Osten ab. Dieser Effekt brachte die Rettung: Unter den plötzlich aus verschiedensten Richtungen wehenden Winden brach die Flutwelle zusammen. Erst damit wurde den streitenden Wissenschaftlern, Ingenieuren und Politikern aber bewusst, wie knapp das ganze Mississippi-Delta einer Katastrophe entronnen war. Aus der Furcht erwuchs schließlich ein Konsens, berichtet Bahr. Ende 1998 wurde"Coast 2050" (Küste 2050) veröffentlicht, ein Plan zur Regenerierung der Küstenlandschaft Louisianas.
Daran beteiligt waren das Büro des Gouverneurs, das Bundesministerium für natürliche Ressourcen, das Ingenieurkorps der US-Armee, die Umweltschutzbehörde, der Dienst für Fischerei und Jagd sowie alle zwanzig Küstenanrainergemeinden des Bundesstaates. Für keine dieser Gruppen ist jedoch der Plan bisher verbindlich. Bei Verwirklichung aller vorgeschlagenen Projekte würden Kosten von ca. 14 Milliarden Dollar anfallen."Dann geben Sie mir", bitte ich,"doch die Liste der vielversprechendsten Projekte von Coast 2050".
Wir sitzen in Baton Rouge im 9. Stock neben dem Büro des Gouverneurs, mir gegenüber Joe Suhayda, Direktor des Forschungsinstituts für Wasserressourcen der LSU. Mit dem Computer hat er zahlreiche Wege durchgerechnet, auf denen Sturmfluten durch die Gegend ziehen könnten. Er kennt alle wichtigen Wissenschaftler, Armeekorps-Ingenieure und Katastrophenschützer von New Orleans. Neben ihm sitzt Vibhas Aravamuthan, der die Computermodelle der LSU programmiert, Len Bahr und dessen Stellvertreter, Paul Kemp. Sie alle wirkten an der Erstellung von"Coast 2050" mit.
Zerstörte Austernbänke
Zuallererst, darin sind sich die Forscher einig, muss das verschwindende Marschland regeneriert werden. Dazu sind entlang des Mississippis Überlaufkanäle zu schaffen. An ausgewählten Stellen am Südufer des Flusses soll das Korps jeweils einen Durchstich im Deich anlegen und eine Kontrollschleuse bauen. Süßwasser und darin schwebende Sedimente sollen dann über diese Durchstiche durch bestimmte Marschen in Richtung Golf abfließen können. Ja, möglicherweise würden Austernbänke durch dieses Wasser zerstört. Bei sorgfältiger Führung der Überlaufkanäle könnte man sich jedoch mit den Landbesitzern einigen. In einer zweiten Phase sollen die Barriereinseln vor der Küste wieder aufgebaut werden. Dazu wäre es sinnvoll, die nahe gelegene Ship-Sandbank zu nutzen, aus der mehr als 500 Millionen Kubikmeter Sand gewonnen werden könnten. Anschließend soll das Korps auf halbem Weg zur Küste einen Kanal in den schmalen Hals des Deltas graben. Durch ihn hindurch könnten Schiffe in den Fluss gelangen. Das würde die Fahrt zu Häfen im Landesinneren verkürzen und Kosten sparen. Der südliche Flussabschnitt bräuchte dann nicht mehr ausgebaggert zu werden. Somit würde sich die Mündung mit Sediment auffüllen und der Fluss nach Westen überfließen. Sand und Schlick könnten aus ihm wieder in die küstenparallelen Strömungen gelangen. Diesen wiederum verdanken die Barriereinseln ihre Existenz.
Der geplante Kanalbau ließe sich in ein größeres staatliches Projekt einbinden. Es sieht vor, einen komplett neuen Hafen mit größerer Tiefe zu errichten ("Millennium Port"). Damit wäre er für moderne Containerschiffe besser geeignet als der Hafen von New Orleans mit seinem wichtigsten Zugangskanal, dem Mississippi River Gulf Outlet (MRGO, auch"Mr. Go" ausgesprochen). Letzteren hatte das Korps Anfang der 1960er Jahre angelegt. Der Durchstich ist seither gewaltig erodiert. Ursprünglich war er rund 150 Meter breit, heute erreicht er an einigen Stellen sogar bis zu 600 Meter Breite. Unablässig gelangt durch ihn Salzwasser ins Landesinnere. Dieses hat schon einen Großteil der Marsch vernichtet, die einst New Orleans nach Osten vor den Golfstürmen schützte. Falls der neue Kanal oder der Millennium Port gebaut würden, könnte das Korps den MRGO dicht machen. Verbleibende Schwachstellen beim Schutz des Deltas sind zwei schmale Wasserwege am Ostrand des Lake Pontchartrain, die diesen mit dem Golf verbinden. Am besten wäre es, diese durch Deiche abzuriegeln - ähnlich wie in den Niederlanden, wo die Nordsee durch Deiche am Eindringen ins Landesinnere gehindert wird. Doch diese Ausweg scheint politisch nicht durchsetzbar."Wir haben diese Lösung schon vorgeschlagen, leider wurde sie abgelehnt", berichtet Bahr. Die Kosten des Projekts wären exorbitant. Bei den Projekten von"Coast 2050" handelt es sich bisher eher um die Vision einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern als um konkrete Planungswirklichkeit. Doch eine Reihe renommierter Experten unterstützt sie. Der Geologe Ivor van Heerden ist Stellvertretender Direktor am Hurrikan-Zentrum der LSU. Auch er ist der Ansicht,"dass wir, falls wir Erfolg haben wollen, die Natur nachahmen müssen. Durch den Bau von Überlaufkanälen und die Wiederherstellung von Sedimentströmen zu den Barriereinseln kommen wir dem natürlichen Zustand schon ziemlich nahe."
Shea Penland ist ebenfalls dieser Ansicht. Der Geologe warnt aber, der Mississippi könne möglicherweise nicht genug Sedimente nachliefern, um eine größere Zahl solcher Überlaufkanäle zu bedienen. Analysen von Robert Meade vom US-Geological Survey zeigen, dass sich gegenüber 1953 der Nachschub an Schwebstoffen inzwischen mehr als halbiert hat. Sie werden großenteils von Staudämmen aufgefangen, die entlang des Flusslaufes quer durch das Innere der USA errichtet wurden. Aus Sicht des Korps sollten alle Projekte von"Coast 2050" verwirklicht werden. Zunächst wird der Davis-Pond-Überlaufkanal gebaut.
Projektmanager Al Naomi, ein junger Korps-Ingenieur, sowie der Ozeanbiologe Bruce Baird nehmen mich mit zur Baustelle am Süddeich des Mississippi. Sie liegt dreißig Kilometer westlich von New Orleans. Die Anlage wirkt wie ein mittelgroßer Staudamm, der in den Deich integriert wurde. In der Mitte befinden sich Stahltore, jedes groß genug, um mit einem Bus durchzufahren. Rettung für Fischgründe Je nach Flutstand werden sich die Tore öffnen oder schließen, um nur eine bestimmte Menge Wasser hindurchzulassen. Der Überlaufkanal mündet in einem Sumpfland, das sich etwa 1,5 Kilometer Richtung Süden erstreckt. Es wurde eigens gerodet, damit sich dort ein flaches Flussbett bilden kann, das sich allmählich in der weitläufigen Marsch verliert. Durch den Überlauf werden pro Sekunde bis zu 350 Kubikmeter Wasser aus dem Mississippi abgeleitet.
Der amerikanische Urstrom transportiert bei New Orleans pro Sekunde Wassermengen zwischen 6500 Kubikmeter in Trockenperioden bis zu 30 000 Kubikmeter bei Hochwasser. Es wird erwartet, dass durch den Überlaufkanal über achttausend Hektar Feuchtgebiete, Austernbänke und Fischgründe gerettet werden können. Ungeduldig wartet das Korps auf die Inbetriebnahme des Davis-Pond-Kanals, denn es kann bereits auf einen Erfolg in Caernarvon, in der Nähe des MRGO, zurückblicken. Dort wurde 1991 eine kleinere, experimentelle Schleuse in Betrieb genommen. Bald lagerten sich in der Marsch mehr Sedimente ab, und durch die Zufuhr von Süßwasser sank ihr Salzgehalt. Dank des Caernarvon-Überlaufkanals regenerierten sich bis 1995 über hundert Hektar Land.
Falls in New Orleans in den nächsten Jahren keines der geplanten Vorhaben realisiert wird, werden langfristig eine Million Menschen die Umgebung der Stadt verlassen müssen. Eine weitere Million Menschen würden in der Stadt am Boden eines sinkenden Kessels leben, umgeben von immer höher wachsenden Deichen. Die Bewohner wären in einer kranken Stadt gefangen, die nur überleben kann, wenn das Wasser ununterbrochen abgepumpt wird. Mit neuen Techniken, die in New Orleans zum Einsatz kämen, könnten womöglich auch bedrohte Feuchtgebiete in den Mündungsdeltas anderer großer Flüsse der Erde gerettet werden. Regierungen könnten daraus lernen, wie der Schaden, den ein steigender Meeresspiegel verursacht, zu begrenzen ist. Dies gilt auch für schwere Unwetter, wie sie als Folge von Klimaveränderung verstärkt auftreten sollen.
Walter Maestri wird bei dieser Aussicht mulmig. Der erste tropische Wirbelsturm der Hurrikan-Saison 2001 hieß Allison. Als dieser im letzten Juni eine ganze Woche lang täglich hundert Millimeter Niederschlag auf New Orleans abregnete, brachte er das Pumpsystem beinahe zum Erliegen. Maestri verbrachte seine Nächte in einem hochwassersicheren, unterirdischen Kommandobunker. Von dort aus koordinierte er Polizei, Katastrophenschutz, Feuerwehr und Nationalgarde. Es handelte sich lediglich um Regen, doch schon dieser stellte für die Teams eine hohe Belastung dar."Jegliche Wassermenge von einiger Bedeutung, die in diese Stadt eindringt, wird zur Bedrohung", sagt Maestri."Obwohl ich für genau diesen Fall planen muss, will ich nicht einmal daran denken, welche Katastrophen ein schwerer Hurrikan hier anrichten könnte."
[b]<font color=#FF0000> Warum eine sinkende Stadt retten?
Das Mississippi-Delta kann zum Vorbild werden, was die Problemlösungen für andere gefährdete Flussdeltas, küstennahe Feuchtgebiete und Küstenstädte angeht.
- In und um New Orleans leben mehr als zwei Millionen Menschen. Die Stadt ist ein bedeutendes kulturelles Zentrum in den amerikanischen Südstaaten.
- Im Süden Louisianas werden landesweit ein Drittel des Fangs an Fisch und Meeresfrüchten eingebracht sowie ein Fünftel des Erdöls und ein Viertel des Erdgases gefördert.
- Am Mississippi, zwischen New Orleans und Baton Rouge, liegt zusammengenommen der größte Hafen der USA.
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