- Von Stilwechseln und Wendezeiten - Anregungen für die kommenden Tage - Simplici, 22.12.2000, 14:22
- Sehr schöner Artikel! Ein echter MEILENSTEIN! - Taktiker, 22.12.2000, 15:21
- Re: Berlin hatte in den 20ern! nicht danach sozusagen die 'TIme of Life', bisher - Georg, 23.12.2000, 00:11
- Drum lieb ich dieses Board - Uluwatu, 22.12.2000, 15:24
- Re: Von Stilwechseln und Wendezeiten - Anregungen für die kommenden Tage - JüKü, 22.12.2000, 16:52
- Sehr schöner Artikel! Ein echter MEILENSTEIN! - Taktiker, 22.12.2000, 15:21
Von Stilwechseln und Wendezeiten - Anregungen für die kommenden Tage
Von Stilwechseln und Wendezeiten - Anregungen für die kommenden Tage
So liebe Freunde,
die Vorweihnachtszeit mit all ihrer Hektik ist bald geschafft und dann ist endlich Ruhe angesagt. Für alle die jenseits von Festtagsbraten, Lebkuchen und stundenlangen Besuchen in überglücklichen Familien noch für andere Dinge Zeit, Lust und einen scharfen Blick haben hier ein paar Anregungen.
Es soll ja Zeitgenossen geben, die treibt es bei ihren Sonntags- und Feiertagsausflügen nicht nur in die schöne Natur sondern in kunstgeschichtlich bedeutsame Regionen, Städte, Straßen und Bauwerke - die unverwüstlichsten hab´ ich mir sagen lassen soll es sogar in Museen treiben. Also an all jene, die sich so etwas tatsächlich antun wollen, richte mich mit den nachfolgenden Gedanken.
Habt ihr mal darauf geachtet, woran man erkennen kann, daß ein Stil, eine Epoche eine Phase der kulturellen Geschichte langsam aber sicher seinem Ende entgegengeht und welche Gegenbewegung anschließend einsetzt? Hier einmal - ohne Anspruch auf Vollständigkeit und gewiß sehr verkürzend - einigen Beobachtungen und Beispiele:
Ein Stil, der sich erschöpft, ist oft daran zu erkennen, daß man seine zentralen Elemente im Laufe der Zeit sehr verfeinert hat und am Ende in einer im Vergleich zum Anfang geradezu übertriebenen Weise einsetzt:
Am Anfang stand die Gotik für klare, strenge Formen. An ihrem Ende löst sie sich in einem unübersichtlichen Netzwerk ihrer Formen auf. Aus einem schlichten Kreuzrippen- wird ein dem gegenüber verworren erscheinendes Netzrippengewölbe und unübersichtliche Astwerkformen beherrschen das Gesprenge oder die Predella der Altäre. Abgelöst wird das ganze durch die Renaissance, die in Deutschland zwar meist unverstanden, wieder die strenge Architekturtheorie der Antike zu Ehren bringt.
Vergleicht die Altarbilder, die vor 1480 gemalt wurden, einmal mit jenen, die 50 Jahre später entstanden. Die innere Ruhe und Gefaßtheit der Figuren etwa eines Rogier van der Weydens werdet Ihr dort vergeblich suchen. Statt dessen ist der Bruch der Neuzeit mit all seinen Veränderungen geradezu mit Händen greifbar, was auch kein Wunder ist, denn dazwischen liegt u.a. 1492 und die Welt ist alles andere als „rund“ auch wenn das neuerdings immer seltener bestritten wird.
Der Barock leistet sich noch den Luxus gerader Linien. Das Rokoko löst auch die letzte in geschwungene Formen auf und wird selber vom strengen Klassizismus abgelöst. Überhaupt ist das Rokoko als eine Art „Entzeitkunst“ ein interessantes Phänomen. Ironisch bis zum „geht nicht mehr“ ist es die Kunst der Reichen und Gebildeten am Vorabend der französischen Revolution.
Die Impressionisten versuchen äußere Stimmungen einzufangen, die Expressionisten innere auszudrücken und am Ende kommt nach dem Schockerlebnis 1. Weltkrieg die „Neue Sachlichkeit“ und sagt: „Freunde konzentriert Euch mal wieder auf das wesentliche.“
Interessant sind besonders die Zeiten des Übergangs. Das alte ist noch da, aber seine Kraft ist erschöpft und läßt nach. Neues drängt nach vorne zunächst zögerlich, dann mit immer unwiderstehlicher Kraft. Und die Kunstwerke jener Phasen? Sie spiegeln die innere Zerrissenheit der Menschen wider, die sich als „Wanderer zwischen zwei Welten“ fühlen und unruhig eine neue Heimat suchen, weil die alte zunehmend verloren geht.
Ich möchte zu gerne mal wissen was man so in 200 oder 300 Jahren über unsere Zeit denken und sagen wird. Werden wir als die Epoche der großen Parkhauskathedralen und der grellen Leuchtreklame in die Geschichte eingehen? Also sollte jemand in den nächsten Tagen über diverse „Wendeindizien“ stolpern, ruhig mal sammeln, da kommt bestimmt eine bunte Mischung zusammen.
In diesem Sinne: Macht das beste aus den kommenden Tagen
Simplici
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