- Der Koalition neue Kleider - Aleph, 30.10.2005, 20:20
Der Koalition neue Kleider
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30.10.2005
DIESE WOCHE
In diesem neuerlichen Grundlagenbeitrag zeigt der Spatz aus Anlaß der gegenwärtigen Verhandlungen über Kürzungen und Verknappungen, wie die Finanzwirtschaft durch künstliche Verknappung zunächst Deflation erzeugt, der Staat dies aber durch Eigenverschuldung in eine galoppierende Inflation zu lösen versucht, was eine Krisenprognose gerade in der gegenwärtigen Situation darstellt. Es wird also ernst mit"Heulen und Zähneklappern"!
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Der Koalition neue Kleider
35 Mrd. Euro Fehlbetrag im Haushaltsplan 2006/07. Das sind 15% des Bundeshaushalts überhaupt. Die sollen eingespart werden, um nicht an Brüssel Strafe zu zahlen, was das Haushaltsloch um weitere - nun wer weiß - 15 Mrd. wachsen ließe. Wie hoch der Fehlbetrag anwachsen würde, wenn es Koch und Steinbrück wirklich gelingen sollte, den Haushalt so weich zu kochen, daß er die Summe ausschwitzt, interessiert bisher keinen. Wenn alle Bundesbeteiligungen an internationale Finanzagenturen verkauft sind, z.B. die Autobahnen, Krankenhäuser, Deiche und sogar die Luftüberwachung in Deutschland, hat das Auswirkungen auf die Wirtschaft. Private Besitzer verzichten nicht - wie gelegentlich der Bund aus wirtschaftspolitischen Gründen - auf Rendite. Doch der Bürger bekam eingebleut: Der Staat verschwendet und nur der Private kann rechnen, also stimmt er zu. Die Autobahn haben Sie mit Ihrer Kfz-Steuer gekauft, bald werden sie für ihre Benutzung von Privatfirmen zur Kasse gebeten. Wenn erst einmal die in Staatsbetrieben überflüssig Beschäftigen der Rendite wegen heraussaniert werden, wird man sehen, was von der Kreditwürdig- und Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung übrig bleibt.
Wenn dann noch die Häuschenpauschale, die Kilometerpauschale und die neue Mehrwertsteuer wegbrechen, schrumpft die zahlungsfähige Nachfrage weiter, aber nicht der Bedarf, er bleibt nun notgedrungen ungedeckt. Die entsprechenden Lieferanten und Produzenten werden sich"gesundschrumpfen" müssen und weitere Arbeitslose sind zu ernähren. Dafür schicken wir dann die 65- bis 67-Jährigen in die Arbeit, damit die für die Arbeitslosen- und Altersrenten aufkommen - fragt sich nur wo sie Arbeit finden. Wenn die sich weigern sollten, gibt es ein probates, marktwirtschaftliches Mittel, das sich wohltuend auf den Haushalt auswirkt: Absenken der Renten, bis die teuren Rentner freiwillig arbeiten gehen. Ach wie so segensreich wirken sich Markt und Eigeninitiative auf den Staatshaushalt aus, so daß Politiker sie in ihren aufmunternden Reden nicht hoch genug preisen können."Du bist Deutschland", aber Deutschland ist bankrott.
"Was wollt Ihr denn, es geht aufwärts!": Die Einlagen der Hedge Funds stiegen seit September 2004 um 30% auf 1,37 Billionen. In der gleichen Zeit stiegen die Einlagen der Hedge Funds, die in andere Hedge Funds investiert haben, um 33%. 58% dieser Einlagen stammen von US-Anlegern, 15% von Briten und 9% von anderen Europäern. Die wundersame Geldvermehrung der Reservebanken schreitet fort - zu deren Vorteil.
Und wer wollte noch auf Staat und Regierung setzen? Ein Beispiel: Von den 62,3 Mrd. Dollar aus US-Steuergeldern, die als Katastrophenhilfe nach dem Wirbelsturm Katrina fließen sollten (60 Mrd. über die Federal Emergency Management Agency, 1.9 Mrd. durch das US-Energieministerium und 400 Mio. über das Corps of Engineers) haben ganze 16,2 Mrd. das Katastrophengebiet erreicht. Am Geld fehlt es nicht, sondern am richtigen Umgang damit. Oder ein deutsches: Als der US Konzern Dow Chemical die DDR-Firma Buna-Werke geschenkt bekommen sollte, forderte die Firma weitere Milliarden als Unterstützung. Nach Weigerung der Treuhand schaltete sich die US-Regierung ein. Die Firma bekam 6 Mrd. DM aus deutschen Steuern und weiter 10 Mrd. aus Brüssel und entließ 10.000 der 18.000 Buna-Arbeiter. So sorgte man für Staatsschulden.
Wundern Sie sich, daß man wenigstens in den USA gegen die derzeitige Regierung vorgeht? So etwas geschieht dort nicht in Wahlen, sondern durch Skandale. Plötzlich geht vor Gericht, was jeder Interessierte schon wußte, beginnt eine Meute hinter unbeliebt gewordenen Politikern herzuhetzen, weil sie der Finanzwelt nicht das liefern, was diese sich von ihnen versprochen hatte.
Was kommt nach Cheney? Ich bin kein Hellseher, weiß aber, daß es mindestens zwei politische Lager in den USA geben soll. Die Imperialisten, die von einem unheiligen Römischen Reich amerikanischer Nation träumen, dem wir als Hilfstruppen unter sogenannten eigenen Führern dienen dürfen. Dann gibt es noch die Progressiven, die alle Nationalstaaten und nationalen Regierungen abschaffen wollen. Stattdessen soll"die Völkergemeinschaft", sprich eine internationale Bürokratie, für Ordnung sorgen. Die Staaten werden durch die großen Corporations mit ihrer Corporated Identity ersetzt. Zur Vorbereitung wird schon mal der Staatsbesitz an diese Firmen privatisiert. Denn diese Fraktion ist in Europa verbreiteter als in den USA. Es soll noch eine Dritte Fraktion geben, nur muß man an sie glauben.
Wir kennen die Propaganda: Der Staat muß weg. Denn an allem, was falsch läuft, sind die Staatschulden Schuld. Lesen sie mal bei Paul C. Martin nach. Sein Martin-Theorem hat viele Vertreter gefunden. Es gibt sogar einen"mathematischen" und damit"untrüglichen" Beweis dafür, daß die Staatsschulden mit 100prozentiger Sicherheit zum Staatsbankrott führen und in der langen Geschichte immer dahin geführt haben. Damit spricht er vielen Neoliberalen aus der Seele. Sie wollen nicht verstehen, wer die Staatsverschuldung will und warum man sie will: Macht auszuüben, ist für manche erregender als Sex.
Das Problem liegt nicht bei den Staatsschulden, sondern am Reservewährungssystem mit der privatisierten Geldschöpfung. Die alte Vorstellung der Neoliberalen, wonach Geld eine abstrakte Ersatzware (Edelmetallmünzen) bzw. Gutschriften über bei Banken hinterlegte Waren (Edelmetalle) sei, ist Ideologie und entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Geld ist nur Zahlungsmittel, d.h. ein durch Dritte (Bank oder Staat) verbürgtes Zahlungsversprechen. Damit ist Geld im wesentlichen eine rechtliche Institution. Es ist außerdem das wichtigste Mittel zur Regelung der gesellschaftlichen Zusammenarbeit freier Wirtschaftssubjekte in einer freien Gesellschaft. Wer darüber verfügt, übt in der Gesellschaft Macht aus. (Die erste gründliche, theoretische Darlegung dazu: Georg Friedrich Knapp,"Staatliche Theorie des Geldes", Duncker & Humbolt, München und Leipzig, 1905, doch ist sie wegen ihrer Gründlichkeit kaum genießbar).
Staaten, Regierungen sind nichtsnutzig - heißt es - denn angeblich regelt der"Markt" das"freie Spiel der Kräfte" (der Wirtschaftssubjekte) bestens. Güterangebot und zahlungsfähige Nachfrage bestimmen in Anhängigkeit von der jeweils bestehenden Knappheit die Güterpreise. Das Preisniveau regt wegen unterschiedlicher Gewinnchancen die Bereitschaft an, ein Angebot vorzubereiten, und lenkt die Anstrengungen der Wirtschaftssubjekte auf Güter mit den größten Gewinnmöglichkeiten; dies sind die knappsten Güter mit der größten Nachfrage. Wozu also noch einen Staat, allenfalls eine Polizei.
Bei den heutigen Produktionsmöglichkeiten gibt es kaum noch Knappheit, die sich in Preisen widerspiegeln müßte. Preisunterschiede ergeben sich aus der Fähigkeit der Finanzwirtschaft, über ihre Investitionsbereitschaft künstlich Knappheit zu erzeugen (darüber hatte der Spatz schon gezwitschert). Auch die Zahlungsfähigkeit der Nachfrage entspricht nicht dem tatsächlichen Bedarf (drastisch veranschaulicht durch jährlich Millionen Hungertote bei im Übermaß vorhandenen Nahrungsmitteln). Auf dem Markt ist ohne Geldneuschöpfung prinzipiell kein Gewinn möglich, da die zahlungsfähigen Nachfrage prinzipiell auf der anderen Seite als Kosten auftritt. Tatsächlich regelt nur die auf dem Markt umlaufende Geldmenge und deren Umlaufgeschwindigkeit das Preisniveau. Tatsächlich schafft nur die Geldschöpfung Gewinnmöglichkeiten, von denen wirtschaftlich alles andere abhängt.
Da das so ist, entsprechen dem akkumulierten Geldgewinn aller Wirtschaftssubjekte genau die von ihnen akkumulierten Schulden. Das macht es zunehmend schwieriger Geldgewinne zu realisieren, weil die Voraussetzungen dazu - gesamtwirtschaftlich gesehen - durch die fälligen Tilgungszahlungen aufgezehrt werden, und der entsprechende Geldentzug auf den Gütermärkten nicht durch zusätzliche Kreditgewährung bzw. Geldschöpfung ausgeglichen wird. Die Folge ist, daß Eigenkapital und Eigenfinanzierung der Wirtschaftssubjekte zunehmend durch Fremdkapital und Fremdfinanzierung ersetzt werden muß, bis die Kreditwürdigkeit der Wirtschaftssubjekte ausgeschöpft ist und tendenziell alle Wirtschaftssubjekte früher oder später zahlungsunfähig werden.
Die Geldgewinne sammeln sich stattdessen bei der Finanzwirtschaft an, die damit einen zweiten Markt, den so genannten Finanzmarkt betreibt. Dieser arbeitet als reiner Markt, d.h. auf ihm entsprechen - wie im Spielkasino - die Gewinne des einen den Verlusten des anderen. Die gesellschaftliche Wirtschaftstätigkeit verlagert sich so vom notwendigen Stoffwechsel mit der Natur zur Trickserei auf den Finanzmärkten: Das ist Deflation.
Da die Zahlungsmittel auf den Finanz- und auf den Gütermärkten die gleichen sind, wächst mit dem Umfang der Finanzmärkte das unkontrollierte Krisenpotential der Wirtschaft. Zahlungsmittel können unvorhersehbar jederzeit, weil in spekulative Absicht, in die Gütermärkte einbrechen, um Nutzen aus damit künstlich erzeugten Preisverzerrungen zu ziehen (siehe zurzeit die Rohstoffpreise).
Will der Staat in dieser Situation das Schlimmste verhindern und bleibt dabei auf Kredite aus der privaten Finanzwirtschaft angewiesen, ist seine schrittweise ansteigende Verschuldung tatsächlich unausweichlich. Der Staat gleicht (um nur die Geldumlaufseite dieser Bemühung zu betrachten) die durch die wachsende Kreditunwürdigkeit der Wirtschaftssubjekte schrumpfende Geldmenge auf den realen Gütermärkten aus, indem er durch Eigenverschuldung die erforderliche Geldmenge in Umlauf bringt, die dem Umlauf durch den Schuldendienst und die fehlende Kreditwürdigkeit der Wirtschaftssubjekte entzogen wird. Doch staatliche Kompensationsbemühungen steigern - schon wegen des wachsenden Schuldendienstes - nur den Kompensationsbedarf. Früher oder später wird auch der Staat als letzte Schutzinstanz seiner Bürger wegen Überschuldung kreditunwürdig oder er verursacht bei fortgesetzter Umschuldung (Umwandlung der Zins- und Tilgungsforderungen in Kredit) zur Deflation noch eine galoppierende Inflation.
Der Zug in die beiden genannten weltpolitischen Alternativen beschleunigt sich, wenn nicht die eigentliche Ursache der Staatsverschuldung im Reservegeldsystem erkannt wird und diese nicht, wie vom Spatz letzte Woche vorgeschlagen, verändert wird. Ohne das kann sich die Katastrophe nur steigern. Aber vielleicht fällt den vorher schon Überflüssig-Gewordenen etwas anderes ein, als wie die Imperialisten Krieg führen, oder wie die Progressiven, sich den privaten Geldschöpfern unter einer UNO-Bürokratie ausliefern zu wollen. Vielleicht gibt es ja die Dritte Perspektive mit einer nationalstaatlichen Lösung, die der ähneln würde, die letzte Woche vorgeschlagen wurde. Sie wäre die einfachste, zukunftsfreudigste und(wenn das Wort inzwischen nicht so verkommen wäre) sogar die"freiheitlichste".
<ul> ~ http://www.spatzseite.de</ul>

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