- Panik als Lebensform - Cujo, 22.11.2005, 19:12
- Re: Panik als....in den Rhein springen oder sich erhängen ist rationeller.... - certina, 22.11.2005, 19:33
- Der Spruch des Tages:"Vive la vie!" - alberich, 22.11.2005, 19:36
- Re: Der Spruch des Tages:"Vive la vie!" - Cujo, 23.11.2005, 01:04
- Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - sensortimecom, 22.11.2005, 21:56
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - Cujo, 23.11.2005, 00:44
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - CRASH_GURU, 23.11.2005, 06:01
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - Stephan, 23.11.2005, 08:24
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - bin Kohr Fan -:) (o.Text) - CRASH_GURU, 23.11.2005, 13:33
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - Stephan, 23.11.2005, 08:24
- Cujo: Danke für die Literaturhinweise! - sensortimecom, 23.11.2005, 08:58
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - CRASH_GURU, 23.11.2005, 06:01
- Re: Der Mann hat ziemlich gut durchschaut, was läuft. - Cujo, 23.11.2005, 00:44
Panik als Lebensform
-->DER SPIEGEL 47/2005 - 21. November 2005
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,385895,00.html
Philosophen
Panik als Lebensform
Von Romain Leick
Für den Kulturkritiker Paul Virilio sind die Tumulte in den französischen Vorstädten ein Fanal des kommenden großen Knalls in den Metropolen der Welt.
Wer den scharfsinnigsten Kritiker des modernen Geschwindigkeits-Zeitalters aufsuchen will, nimmt am besten den Hochgeschwindigkeitszug, der in drei Stunden Paris mit La Rochelle verbindet. Dort stolpert er in die Verlangsamung der Provinz. In der Bahnhofshalle der alten Protestantenstadt am Atlantik wartet ein kleiner, älterer Herr mit einer dunkelblauen Schiffermütze auf dem kahlen Kopf.
Als wäre er ein Fahrer, der einen prominenten Gast abholen soll, hält er ein Pappschild vor den Bauch, auf dem mit schwarzem Filzstift ein Name geschrieben steht. Sein eigener, nicht der des Besuchers: Virilio.
Katastrophenbeschwörer Virilio: Blick aufs Haupt der Medusa
AFP
Katastrophenbeschwörer Virilio: Blick aufs Haupt der Medusa
Professor Paul Virilio, 73, Philosoph, Urbanist und Kulturtheoretiker, Begründer der"Dromologie" (Wissenschaft der Geschwindigkeit, von griechisch"Dromos" für Rennbahn), die er seit 30 Jahren als verhängnisvollstes Phänomen des 20. Jahrhunderts studiert. Vor vier Jahren hat er sich nach La Rochelle zurückgezogen, wo das Leben beschaulicher verläuft. Besinnung braucht Zeit, während die Geschwindigkeit den Raum vernichtet und die Zeit verdichtet - ein sicherer Weg in die Katastrophe.
Wie ein Tsunami-Warnsystem registriert Virilio die Vorboten des großen Bebens, der"integralen Katastrophe", die er als Kehrseite des Fortschritts für unvermeidlich hält. Das letzte Grollen, das den kommenden Unfall ankündigt, erreichte La Rochelle nur am Rande, wie die Ausläufer einer mächtigen Dünung: die Jugendunruhen der vergangenen Wochen in den französischen Vorstädten.
Virilio schlägt vor, in die Mediathek zu gehen, einen modernen Glasbau an der Esplanade François Mitterrand. Der Forscher, nun Pensionär, kann das Forschen nicht lassen. Er breitet in der winzigen Lesekabine mehrfarbige Notizzettel aus, deren Gliederung so kompliziert scheint wie das elliptische Denken ihres Verfassers. Das Seminar beginnt.
Die gängigen Ursachen der Krawalle - Armut, Arbeitslosigkeit, fehlgeschlagene Integration, islamischer Fundamentalismus, unbehausbare Mietskasernen - interessieren den Katastrophendenker nur mäßig: Das sei ja alles richtig, aber seit Jahrzehnten bekannt! Virilio, Sohn eines italienischen Kommunisten, der vor Mussolini nach Frankreich floh, ist selbst arm in der Banlieue von Saint-Denis bei Paris aufgewachsen, dort, wo die Unruhen ihren Anfang nahmen und die Autos brannten. Er gehörte als Wissenschaftler dem"Hohen Ausschuss für Wohnraum für benachteiligte Menschen" an und leitete bis zur Emeritierung die Pariser"École Spéciale d'Architecture".
Wohntürme hält Virilio für"vertikale Sackgassen". Er mag Hochhäuser, von denen alle bekannten Architekten träumen, so wenig wie Mohammed Atta, Kopf der Attentäter auf das World Trade Center vom 11. September 2001, der in den Wolkenkratzern moderne Zwingtürme sah. Die äußerst heftige Kritik an der trostlosen Architektur der französischen Vorstädte führt jetzt zu einer systematischen Zerstörung der gewaltigen Wohnriegel und Türme im Großraum Paris - ein symbolischer Selbstmord des kollektiven Lebens in der Kosmopolis.
>> weiter
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,385895,00.html

gesamter Thread: