- Die Bedeutung des Schuldendrucks - Tarantoga, 01.12.2005, 19:38
- Es ist nicht nur Schuldendruck, sondern auch Gruppenzwang, der antreibt... - sensortimecom, 01.12.2005, 20:35
- Es muss doch nicht immer materieller Fortschritt sein? - Josef, 01.12.2005, 21:30
- Richtig. In einer"post-innovativen Gesellschaft" legt man Wert auf den MENSCHEN (o.Text) - sensortimecom, 01.12.2005, 21:53
- Es muss doch nicht immer materieller Fortschritt sein? - Josef, 01.12.2005, 21:30
- Re: Die Bedeutung des Schuldendrucks - dottore, 01.12.2005, 22:00
- Re: Die Bedeutung des Schuldendrucks - Tarantoga, 02.12.2005, 01:55
- Re: Die Bedeutung des Schuldendrucks - Tarantoga - moneymind, 02.12.2005, 20:26
- Es ist nicht nur Schuldendruck, sondern auch Gruppenzwang, der antreibt... - sensortimecom, 01.12.2005, 20:35
Re: Die Bedeutung des Schuldendrucks
-->Hi,
Danke für die Anmerkungen. Nur einiges dazu in Kürze:
>Einige Anmerkungen zur"Machttheorie" aus meiner Sicht:
>Wenn man die Machtteorie und ihre Vorgänger so interpretiert, dass es der Schuldendruck ist, der den Fortschritt und das Wachstum antreibt, so geht dies meiner Meinung nach fehl oder ist zumindest sehr unpräzise.
Der Schuldendruck, hergeleitet aus dem Fremdabgabendruck, ist immer die Basis. Das primum movens sozusagen. Den versucht der Gezwungene zu unterlaufen. Dann kommt die Erkentnnis, dass man mit Hilfe dieses Tuns nicht nur dem Druck von"oben" mindern, sondern ihn auch"nach unten" weitergeben kann. Dazu braucht man das Druckmittel schlechthin: Eigentum, sofern es als"asset" andere zwingen kann.
>Dottore hat hier mal sinngemäß behauptet...
Der Hobbypsychologe irrt sich da.
>Ebenso treibt keinen Unternehmer der Schuldendruck zu seinem Handeln (jedenfalls im Grunde nicht, im Tagesgeschäft mag das mal vorkommen). Den Unternehmer treibt der Wunsch in und aus Freiheit heraus etwas zu organisieren und zu schaffen.
Was, wenn er es nicht täte? Er müsste irgendwo als Unterhund dafür sorgen, dass ihn seine Urschuld nicht ins physische Off zwingt. Warum macht sich jemand selbständig? Nicht aus Freiheit heraus, sondern um"frei zu werden". Daher ja auch der schöne Ausdruck"Freiberufler".
>Diese und vergleichbare Motivationen sind stark in unserer Kultur verankert. Hierin liegt meiner Überzeugung nach die Quelle des Fortschritts, des Wachstums und auch die Stärke der abendländischen Kultur.
Kultur, Kultur... Da gab's woanders viel stärkere"Kulturen" und gibt sie heute noch oder schon wieder. Heinsohn (sinngemäß): Der erste Tigerstaat war Deutschland (nach Stein/Hardenberg). Und heute?
>Wäre der Schuldendruck die entscheidende Triebfeder, so wäre es sehr schwer zu erklären, warum es immer wieder zu so schweren und schwer behebbaren Deflationskrisen kommt.
Oft genug erklärt: Weil die Nachschuldner ausbleiben, z.B."neue Unternehmer".
>Nach dem Gedanken vom Schuldendruck müßte doch gerade in der Deflation (= Fehlen neuer Kredite=Fehlen von Investitionen) die stärkste Motivation zum Wachstum entstehen.
Verwechslung von Alt-Schuldnern (vorhanden, hilflos, da die Schulden real immer größer werden) mit Neu-Schuldnern, die ausbleiben, da sie das Schicksdal der Alt-Schuldner (Unternehmer usw.) abschreckt. Erst nachdem die Pleiten tabula rasa gemacht haben (auch eine Form von clean slates) geht's wieder weiter, und das nicht ohne Tempo aufwärts.
>Es müßte dann der (vom Schuldendruck erzwungene) Fortschritt zum Selbstregulator der Deflation werden. Die historische Erfahrung zeigt aber, dass genau das eben nicht funktioniert. Das System ist nicht in der Lage aus sich heraus eine Lösung für das Deflationsproblem zu finden, vielmehr bedarf es immer einer Art gewalttätigen Ausbruchs (entweder nach innen wie in der französischen Revolution, oder nach aussen wie im 2. Weltkrieg etwa) um dem Fortschritt überhaupt wieder Raum zu verschaffen.
1. In der Defla fällt vielen eine Menge ein - aber sie warten ab. 2. Der Ausbruch muss nicht gewalttätig sein, auch wenn er's meistens war. Der Ausbruch ist dann das üble Finale und wie's nach Abwicklung der Revolution in Frankreich weiterging (post Napoleon) oder nach WKII ist deutlich. 3. Ein mit sich steigernden Abgaben operierendes Zwangssystem führt immer in eine Deflation, was auch für vertagte Abgaben (Staatsverschuldung) gilt. Für die erst recht.
>Selbiges gilt auf der individuellen Ebene. Wenn dottore mal tatsächlich kurz vor der Pleite stünde und finanziell nicht mehr ein oder aus wüßte, dann würde ich doch gerne erleben, wie er dann noch eine vernünftige und auch lesenswerte Seite schreiben will.
Schreiben nicht, aber eine Schaufel hilft auch weiter.
>Der aus Profitgier gedrehte Teil 2 eines Films ist wie wir alle sicher wissen meist Zeitverschwendung. So ist auch das immer wieder verherrlichte Prinzip vom"Fordern und Fördern" schlichter Quatsch der nie funktionieren kann. So funktionieren einfach weder Menschen, noch Gesellschaften.
Und Harry Potter? Das Marketing (= Nachschuldnerfindung) muss halt gut sein.
>Ich bin daher der Ansicht, dass der Schuldendruck eine etwas andere Bedeutung hat:
>Es ist der Schuldendruck, der die oben beschriebenen menschlichen Motivationen in geordnete Bahnen lenkt. Der Schuldendruck treibt das Handeln nicht an, er blockiert vielleicht sogar. Aber er weißt dem einzelnen Wirtschaftsakteur den Weg dahin, wo er seine Motivation und Tätigkeit am besten anbringen kann.
Motivation ist nicht der plumpe Schuldendruck, sondern die Vermeidung der Überschuldung. Um diese Finesse geht es.
>Um ein blödes konkretes Beispiel zu nennen: Vielleicht würde dottore in seinem inneren viel lieber seltsame Liebesgedichte oder bizarre Abhandlungen zur höheren Mathematik schreiben, aber anders als im 13. Jahrhundert hält sich der gesellschaftliche Bedarf nach derartiger Lyrik in engen Grenzen, dottores Feder und Talent wäre aus gesellschaftlicher Sicht verschwendet und innerhalb des Schuldendrucksystems sein Konto böse im Minus.
Bisher hat die Überschuldungs-Vermeidung noch funktioniert.
>Daraus folgt, dass der simple Export des Schuldendrucks und des Eigentumsprinzips einem Entwicklungsland sicher nicht hilft. Was dort eher fehlt ist ein vergleichbarer innerer Antrieb der Menschen und der Kultur und vielleicht auch eine vergleichbare Wertung und Zielsetzung einer möglichen Fortentwicklung. (Dies bedeutet bitte keinerlei Wertung! Tolles BIP und technischer Schnickschnack ist nicht alles auf der Welt.)
"Antrieb"? Ohne Eigentum, Verschuldungs-(Investitions-)Möglichkeiten? Ohne besicherte Kontrakte? Der Ex-DDR hätte nichts mehr geholfen als die Platten den Mietern direkt zu übertragen. Von den VEBs an die Belegschaften in Form von Aktien ganz zu schweigen. Denen wäre mehr für sich eingefallen als der Treuhand oder sich einen anderen Feudalherrn zu suchen, der"hilft".
>Daraus folgt auch eine andere Interpretation von Deflationskrisen. In der Deflationskrise läßt der Ordnungsmechanismus Schuldendruck den Menschen nicht mehr die Freiheit Neues zu schaffen, weil er an zu vielen Stellen den gesellschaftlichen Bedarf verneint.
Was ist"gesellschaftlicher Bedarf"?
>Das System ist an seine immanente Grenze gestossen, die herzustellende Ordnung der Tätigkeiten ist gewissermaßen eingetreten und kann aus sich heraus nichtmehr das Entwicklungsbedürfnis und -Potential erfassen und steuern. Das ist der Punkt, wo der kreativen Unordnung wieder Raum gegeben werden muss, wo auch entgegen vermeintlicher Rationalität und Effektivität den Akteueren Freiraum zu Neuem gegeben werden muss. Man darf dann zuversichtlich sein, dass sich neue Räume der Betätigung und Motivation ergeben werden, die dann gegebenenfalls wieder geordnet werden können.
>So weit erstmal meine Ansicht.
Gut. Und wie eine"kreative Unordnung" schaffen bei 16 laufenden Regalmetern Gesetzen, einer Bürokratie (korrupt obendrein), die ins Aschgraue ufert? Und die ca. 16.000 (oder so) EU-Verordnungen nicht vergessen.
"Neue Räume" - jawoll, Tarantoga. Genau diese fehlen. Und die vorhandenen sind heute kleiner denn je. Und werden täglich noch enger.
Gruß zurück!

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