- Künstler im Kapitalismus (mit Illustrationen) Teil 1/2 - Buchenberg, 06.01.2006, 09:24
Künstler im Kapitalismus (mit Illustrationen) Teil 1/2
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[/b]<center>1. Künstler als Dienstleister und Handwerker in vorkapitalistische Zeit</center>
<p align=justify> Der"freischaffende Künstler" ist ein Produkt des modernen Kapitalismus wie Wolkenkratzer, Automobile oder die"Pille".
<p align=justify>Zwar kennen wir aus dem frühen Mittelalter künstlerische Buchillustrationen, aber ihre Schöpfer waren anonyme Klostergeistliche, die nur"nebenberuflich" künstlerisch tätig wurden.
<p align=justify>Illustrierte (früher sagte man"illuminierte") Handschriften waren die erste Form einer transportablen Malerei, aus der sich allmählich die Wandmalerei abzweigte und der man lange noch ihre Abstammung aus der Buchmalerei ansehen konnte.
<p align=justify>Auch in den mittelalterlichen Städten lebten keine Künstler im heutigen Sinn. Die Produzenten von Kunstwerken waren weder im eigenen Verständnis, noch im Verständnis ihrer Kunden und des Publikums vom Handwerk getrennt.
<p align=justify>Im 14. Jahrhundert wurden Materialien und Arbeitstechniken der städtischen Handwerkskünstler reichhaltiger. Neben die Buch- und Wandmalerei trat die Glasmalerei und die Malerei auf Holzplatten, die manchmal mit geweißter Leinwand überzogen waren. Als im Prag des Jahres 1348 die Korporation der Maler und Schildermacher gegründet wurden, gehörten zu ihr auch die Glaser, Goldschmiede, Pergamentarbeiter, Buchbinder und Holzschnitzer.
<p align=justify>Mit den vielfältigeren Möglichkeiten entwickelte sich auf dieser rein handwerklichen Grundlage ein erstes artistisches Virtuosentum. "Das Privateigentum des Produzenten an seinen Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des Produzenten selbst.... Sie blüht nur,... wo der Produzent freier Privateigentümer seiner von ihm selbst gehandhabten Arbeitsbedingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der Handwerker des Instruments, worauf er als Virtuose spielt." (Karl Marx, Das Kapital Bd. I.: 789).
<p align=justify>Die Kunstschaffenden des ausgehenden Mittelalters mögen artistische Könner gewesen sein, sie blieben Handwerker, kleine Warenproduzenten, die mit eigenen Werkzeugen in eigener Werkstatt im Erdgeschoss des eigenen Wohnhauses mit wenigen Gehilfen oder Lehrlingen arbeiteten. Ihr Handwerk war ehrbar, aber nicht ausgezeichnet. Ausnahmsweise nur kam der gelernte Goldschmied Albrecht Dürer in Nürnberg in den Rat seiner Stadt ebenso wie ein Stefan Lochner in Köln. Die Oberschicht in den Städten stellte das kaufmännische Großbürgertum, nicht das kleinbürgerliche Handwerk.
<p align=justify>Bildwerke wurden auf Bestellung angefertigt, und die Wünsche der Besteller mussten vom Künstler berücksichtigt werden. Der Handwerkerkünstler lieferte die kunstvolle Handarbeit, die Planung konnte ganz oder teilweise vom Besteller bestimmt werden. Diese künstlerische Warenproduktion unterscheidet sich nicht von der Maßanfertigung eines Anzugs, bei dem der Kunde Farbe, Schnitt und Stoff bestimmt, oder dem Hausbau eines Architekten, der seine Entwürfe den Bauherren zur Entscheidung vorlegen muss.
<p align=justify>Mit dem Aufkommen des absolutistischen Staates und dem Verlust der mittelalterlichen Städtefreiheit wurden zunehmend religiöse und weltliche Fürsten die Abnehmer der Kunst. Die Abhängigkeit der Handwerkerkünstler von ihren adeligen Auftraggebern konnte so weit gehen, dass sie neben dem Kürschner, Schuster, Waffenschmied usw. als Hofkünstler zu den Bediensteten eines Fürstenhofes gehörten.
<p align=justify>Selbst ohne direkte persönliche Abhängigkeit vom Adel war wenig Raum für"künstlerische Freiheit". Von König Ludwig von Bayern weiß man, dass sich von einem Künstler einen Entwurf anfertigen ließ, aber die Ausarbeitung des Entwurfes dann einem anderen Künstler übergab.
<center>2. Die Freiheit des Künstlers im Kapitalismus</center>
<center>2.1. Friedrich Schiller und das Ende der Kunst</center>
<p align=justify>Die Verschönerung eines Platzes, eines Raumes oder eines Gegenstandes (= Kunst) war immer schon ein Luxus, der erst jenseits des Existenznotwendigen beginnen konnte. Das galt für Höhlenzeichnungen ebenso wie für Tempelbauten. In der Frühzeit des Kapitalismus predigte das Bürgertum jedoch Sparsamkeit und Fleiß und kritisierte adelige Verschwendungssucht und Luxus. Daraus zogen Ideologen den voreiligen Schluss, dass mit der Durchsetzung des Kapitalismus und der Etablierung des Bürgertums als herrschender Klasse ein Zeitalter der fleißigen Arbeit ohne Muße und ohne überflüssigen Luxus anbrechen werde. Das späte Echo dieser frühkapitalistischen Entsagungsideologie ist noch im Klagegesang von der"Konsumgesellschaft" zu hören.
<p align=justify>Verzicht auf Luxus heißt Verzicht auf Kunst. Soweit hatte Friedrich Schiller recht, als er das"Ende der Kunst" hereinbrechen sah: "Jetzt aber herrscht das Bedürfnis und beugt die gesunkene Menschheit unter sein tyrannisches Joch. Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser groben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Gewicht, und aller Aufmunterung beraubt, verschwindet sie von dem lärmenden Markt des Jahrhunderts." (F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1793.)
<p align=justify>Es sollte sich bald herausstellen, dass der Kulturpessimismus Schillers unbegründet war. Nützlichkeitsdenken und luxusfeindlicher Geschäftssinn waren zwar typische Verhaltensweisen in der protestantischen Frühphase des Kapitalismus. Mit der zunehmenden Akkumulation von kapitalistischen Reichtümern in Europa mindestens seit 1830 wurde Verschwendung und Schaustellung des Reichtums zur Geschäftsnotwendigkeit der Kapitalisten, die damit sowohl den Erfolg ihres Geschäfts als auch ihre Kreditwürdigkeit unter Beweis stellten.
<p align=justify>Kunst fand im Bürgertum neue Abnehmer und - teilweise - auch neue Themen. Allmählich entstand ein wirklicher Markt für Kunst. Die Künstler emanzipierten sich von vielseitig beschäftigten"Verschönerungshandwerkern" oder von Luxusdienern des Adels zu spezialisierten Warenproduzenten, dem"bildenden Künstler". Er blieb zwar wie andere Handwerker ein selbständiger Warenproduzent mit eigenen Produktionsmitteln (Werkstatt, Arbeitsgeräte etc.), der seine Produkte selbständig plante und in geschickter und individueller Arbeit schuf und als sein eigener Kaufmann zu Geld machte, trotz dieser Gemeinsamkeiten mit anderen kleinbürgerlichen Handwerksberufen erhielt der Künstler eine Aura, die ihn aus allen Handwerksberufen heraushob.
<center>2.2. Kunst als bürgerliches Erfolgssymbol</center>
<p align=justify>Aus Sicht der Maler brachte der wirtschaftliche, soziale und politische Aufstieg des Bürgertums zusätzliche Abnehmer und Auftraggeber. Die traditionellen Auftraggeber waren religiöse und weltliche Fürsten, daneben trat nun das zunehmend reichere und selbstbewusstere Bürgertum. Die großen Themen der Malerei blieben dieselben: Politische Großereignisse, Porträts der staatlichen und gesellschaftlichen Elite und religiöse Auftragskunst.
<p align=justify>Das Porträt in Ã-l blieb wichtigste Existenzgrundlage der Maler."Die Anfertigung von Porträts stellte einen stetigen Bedarf dar. Diese Bildform hatte sich als ein traditionelles Segment... seit dem späten Mittelalter entwickelt und bestand bis ins 19. Jahrhundert fort." (Ruppert: 69).
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[/b]<p align=justify>In Deutschland setzte nach dem Sieg über Frankreich 1871 mit den Gründerjahren ein ähnlicher Boom ein. Der neue kapitalistische Reichtum sollte präsentiert werden, sowohl durch luxuriöse Villen als auch durch reiche Ausstattung. Der"Eisenbahnkönig" Bethel Henry Strousberg richtete in seiner neuen Berliner Villa eine private Gemäldesammlung mit 200 Bildern ein.
<p align=justify>Der Münchner Porträtmaler Lenbach kommt in dieser Zeit zu Reichtum.
Der Maler Böcklin urteilte über den Wiener Kunstmarkt: "Wien ist eine wunderbare Stadt.... Der Reichtum und der Luxus grenzen an's Unglaubliche (etwa 450 Millionäre)... Dabei wollen alle ihren Reichtum genießen und zeigen, wozu ihnen die Künste unentbehrlich sind." (Brief Böcklins, 22.3.1872). In den USA gab es zu dieser Zeit übrigens über 4000 Dollar-Millionäre.
<p align=justify>Seit der Gründerzeit war "die Nachfrage nach Kunst insgesamt schubartig angewachsen." (Ruppert: 109). Der Sieg des Kapitalismus brachte kein"Ende der Kunst", wie Schiller befürchtet hatte. Mit der Wirtschaft hatten auch Luxus und Kunst Konjunktur. Der Maler Mowbray urteilte über die"Amerikanische Renaissance" nach dem amerikanischen Bürgerkrieg:"Es war auch eine sehr verschwenderische Zeit." Der Kunsthändler James T. Callow stellte fest: Aus der Gruppe der kapitalistischen Millionäre "kamen jene, welche Gemälde und Statuen kauften, Künstler zum Studium ins Ausland schickten, sich Häuser in griechischem oder gotischem... Stil bauten, und es schick fanden, selber Kunst in Auftrag zu geben." (Frohne: 145.)
<p align=justify>"Zu einer Zeit in den achtziger Jahren", erinnerte sich der Kunstkritiker S. Hartmann,"waren reiche New Yorker wirklich gezwungen, eine Bildergalerie zu haben."
<p align=justify>"Seit der Centennial Exhibition (1879) überschwemmten die Werke alter Meister und der zeitgenössischen Maler aus Paris den amerikanischen Markt." Frohne: 164.
<p align=justify>"Die Vanderbilts, die Wolfes, die Astors, die Morgans und andere unermesslich vermögende Familien legten in dieser Phase den Grundstock ihrer immensen Kunstsammlungen." (Frohne: 165.)
<p align=justify>Als das Metropolitan Museum of Art 1872 eröffnete, bestand seine Gemäldegalerie ausschließlich aus europäischen Werken.
<p align=justify>Mit dem Kunstgeschmack wechselten auch Preise. Als der Kunstsammler John T. Martin seinen Kunstbesitz im April 1909 in New York zum Verkauf anbot, erhielt er noch 280.000 Dollar dafür, obwohl er in den 1870ern fast eine Million Dollar für dafür bezahlt hatte.
<p align=justify>Während der kapitalistischen Millionärsschicht die kulturelle Aufwertung ihres Besitzstands maßgeblich durch Importe aus Europa gelang, war die amerikanische Mittelklasse auf die einheimische Kunstproduktion angewiesen.
<p align=justify>Neben stolzen Porträts in Ã-l wurden Kopien von berühmten europäischen Gemälden immer wichtiger für den Lebensunterhalt amerikanischer Maler. Bis zur Einführung des Copyright-Gesetzes am 3. März 1891 war"die Herstellung dieser unberechtigten Kopien... schon zu einem regelrechten Gewerbe geworden, (...) und es wird weiterhin mit einer Sorgfalt und Detailtreue ausgeübt, die einen hohen Grad an Perfektion von dem Arbeiter verlangt. Die Größe des Originals und all seine Details, bis zur Signatur des Künstlers werden getreu imitiert...und es wird frech zu einer autorisierten Kopie erklärt." (Frohne: 153.) "Namhafte amerikanische Künstler stellten sogar in den Jahresausstellungen der National Academy of Design ihre Kopien von den Gemälden europäischer Kollegen aus, wofür sie nicht selten das Lob der Kritiker ernteten." (Frohne: 153.)
<p align=justify>Nach Einführung des Copyright ging der Maler Edmund C. Tarbell (1862-1938) dazu über, die von ihm angefertigten Kopien europäischer Meister in seine eigenen Bildkompositionen als artistischen Hintergrund einzubauen.
<p align=justify>Bei ihren eigenen Werken hatten die amerikanischen Maler Mühe, selbst niedrige Preise durchzusetzen. Am 27. Januar 1874 notierte der arrivierte Maler McEntee: "Mr. Hedian, ein Kunsthändler aus Baltimore, stattete mir einen Besuch ab und, nachdem er sich in sehr schmeichelhafter Art über meine Arbeit geäußert hatte, bot er mir schließlich 150 Dollar für ein Bild, für das ich 300 Dollar verlange." Weniger bekannte Maler als McEntee waren gezwungen, ihre Bilder wie Handlungsreisende von Tür zu Tür bei Trödlern, Geschäftsleuten und Kritikern anzubieten. Ralph A. Blakelock (1847-1915) erzielte auf diese Weise maximal 25 Dollar bis 35 Dollar für ein Gemälde, die wenige Jahre vor seinem Tod 1913 schon mehr als 13.000 Dollar einbrachten, ohne dass der Maler noch davon profitiert hätte. Selbst die Stars der amerikanischen Malerszene lagen weit unter dem Preisniveau ihrer europäischen Kollegen.
<p align=justify>John G. Brown bekam bestenfalls 600 Dollar für ein Gemälde, Chase bekam 750 Dollar für ein Brustbild, 1.500 Dollar für ein Halbporträt und 2000 Dollar für ein Vollporträt. Zur selben Zeit verlangte der Franzose W. Pinchot für ein Porträt 12.000 Golddollar.
<center>3. Der Status des Künstlers in der bürgerlichen Berufswelt</center>
<p align=justify>Die neuen Kunstkonsumenten stammten aus dem Besitzbürgertum (Kapitalisten) und dem Bildungsbürgertum (akademische Berufe), also aus dem sozialen Umkreis der kleinbürgerlichen Handwerkerkünstler. Hatte der Adel alle Erwerbsarbeit und erst recht die Handarbeit verachtet, so hatte sich das Besitz- und Bildungsbürgertum eben erst aus dem handwerklich geprägten Kleinbürgertum emporgearbeitet. Der Künstler gehörte"dazu". In einer bürgerlich geprägten Welt konnte auch die Rolle des Handwerkerkünstlers neu bestimmt und aufgewertet werden. Als Verkäufer seiner von ihm produzierten Ware trat der Künstler gleichberechtigt neben die Verkäufer von Anzügen, Gewehren oder Eisenbahnen.
<center>3.1. Künstler wird ein geachteter Beruf</center>
<p align=justify>Die erste Berufszählung im Deutschen Reich von 1882 erfasste 105 verschiedene künstlerische Berufsfelder und unterschied noch nicht zwischen den handwerklich orientierten"angewandten" und den"freien" Künsten.
<p align=justify>Erst die Berufsstatistik von 1897 vollzog diese Trennung von Kunsthandwerk und Kunst. Die Zahl der freien Künstlerberufe wurde reduziert. Die Berufszählung von 1925 erfasste noch 41 künstlerische Berufe, 1933 verblieben davon noch 37. Die folgenden Zahlen sind also nicht deckungsgleich und geben nur eine allgemeine Orientierung
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<p align=justify>Mit jeweils nur leichten Verschiebungen zwischen den einzelnen Schichten des Bürgertums dominieren bürgerliche Bewerber bei der Münchner Kunstakademie, obwohl für die Aufnahme keine Abiturprüfung nötig war wie bei anderen akademischen Berufen.
<p align=justify>Das Kunststudium war eine kostspielige Angelegenheit. Eine vielleicht nicht ganz realistische zeitgenössische Schätzung kommt in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts bei einem durchschnittlich sechsjährigen Studium auf Studienkosten (einschließlich der Kosten für eigenes Atelier etc.) von insgesamt 18.000 Mark oder jährlich 3000 Mark.
Zum Vergleich: 1890 wurden mit 1400 Mark jährlich die höchsten Löhne im Druckergewerbe gezahlt. Wer solche Summen nicht aufbringen konnte, konnte noch auf private Malschulen ausweichen, die vielleicht preiswerter waren, aber deren Abschlüsse weniger Prestige brachten.
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<p align=justify>Nicht nur das Kunstprodukt wurde als luxuriöse Verzierung der kapitalistischen Welt gebraucht, auch der Künstler als Person wurde für die Bourgeoisie, was der Possenreißer am Fürstenhof war - provozierender Ideenlieferant oder nur unterhaltsamer Farbtupfer.
Drey beschrieb das 1910:"Die Literatur hat diesen Typus jedermann geläufig gemacht; sie schildert den Maler mit Vorliebe als ein sonniges Menschenkind mit Humor und göttlicher Leichtlebigkeit, das anspruchslos auch bei schmalem Verdienst sich ein frohes, festliches Leben zu gestalten versteht."
<p align=justify>Die Boheme war die fröhliche Gegenwelt zum ernsten kapitalistischen Geschäftsleben. Nicht nur die Kunst als Ware wurde zum Luxusobjekt. Der Künstler als Person wurde in Gestalt der Boheme zum Luxusgegenstand.
<p align=justify>Dass Bourgeois und Boheme wenig mit der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage eines Künstlers zu tun hat, als vielmehr mit der selbstgewählten oder zugewiesenen Rolle die er spielt und spielen muss, zeigt das Foto von drei russischen Kunststudenten in München zeigt, die sich ganz ähnlicher wirtschaftlicher Lage befanden, aber ganz unterschiedlich herausstaffiert auftreten.
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<p align=justify>"Die Scheu davor, sich... mit den Elendsgestalten und namenlosen Massen der von Armut Gezeichneten über parteiergreifende Darstellungen zu assoziieren, war eines der hervorstechendsten Merkmale der amerikanischen Maler des ausgehenden 19. Jahrhunderts.... Die Würde des Berufsstandes, ihr Status und gesellschaftliches Ansehen erhöhten sich in dem Maße, wie sich die arrivierten Lebensverhältnisse in den Sujets der Malerei widerspiegelten." Frohne: 72.
<p align=justify>Nur wenig später als der Boheme taucht auch die Rede vom"Künstler-Proletariat" auf. Der Maler Schlittgen schrieb um 1900: "Neben der glänzenden Lebensführung einiger besonders Begabten und Glücklichen und der breiten Bourgeoisie des künstlerischen Mittelstands befanden sich so viele unten, als Proletariat, von denen man nicht wusste, wovon sie lebten..." zit. n. Ruppert: 194.
<p align=justify>Beim wirklichen Proletariat weiß allerdings jeder, wovon es lebt: von der Lohnarbeit.
<p align=justify>Das wirkliche Proletariat ist notwendiger Existenzgrund unabdingbare Quelle des Kapitals. Versiegt die Lohnarbeit, dann versiegt das Kapital. Ohne Ausbeutung von Lohnarbeit kann kein Kapitalist existieren und sein Kapital vermehren. Da ist es für das Bürgertum eine angenehme Vorstellung, dass die missliche Lage der Lohnarbeiter nur vorübergehend sei, und sich durch persönlichen Fleiß und Geschick überwinden lasse.
<p align=justify>Der arme"Künstlerprolet" kann diese tröstliche Bürgermeinung auf angenehme Weise bestätigen. Das"Künstlerproletariat" verkörpert für die oberen Klassen den Beweis für die Wirklichkeit des"amerikanischen Traums". Die elende Lage jedes Künstlerproleten ist durch gnädige Almosen eines Mäzens oder durch geschäftlichen Erfolg jederzeit aus der Welt zu schaffen. Von diesen"Proleten" hätte tatsächlich jeder Einzelne die Chance, zum reichen Bourgeois aufzusteigen. Wenn er es dann doch nicht schafft, hat selber schuld oder halt einfach nur Pech.
<p align=justify>Künstlerische Leitbilder auch für die"Kunstproletarier" blieben die Erfolgreichen, die es zu Wohlstand mit luxuriöser Villa gebracht hatten: In München Franz Lenbach, Friedrich August Kaulbach, Franz Defregger, Eduard von Grützner, Franz von Seitz oder Franz Stuck.
<p align=justify>Für die"Hungerleider" unter den Künstlern wurde schon früh versucht, staatliche Versorgungsanstalten einzurichten. In München gab es seit 1863 einen"Künstler-Unterstützungsverein", der aus der Stadtkasse Zuschüsse erhielt. Um 1910 verfügte dieser Verein über das "beachtliche Vermögen von 1,5 Millionen Mark, so dass aus dessen Erträgen jährlich 60.000 Mark an Unterstützungsgeldern verteilt werden konnten." (Ruppert: 200.)
<p align=justify>Weimarer Künstler gründeten 1893 eine"Renten- und Pensionsanstalt für deutsche bildende Künstler", die nicht lange überlebte.
<p align=justify>In der Bundesrepublik wird heute eine halbstaatliche"Künstlersozialkasse" als Kranken- und Rentenversicherung unterhalten, die teils aus den kapitalistischen Gewinnen der Kunst- und Kulturindustrie teils aus Steuergeldern subventioniert wird.
<p align=justify>Wer malt, was die Reichen lieben, der wird reich, Wer malt, was die Armen lieben, der bleibt arm. Das ist das Grundgesetz des freien Kunstmarkts. Politische Zensur macht der Kunstmarkt überflüssig.
<center>4.2. Das Atelier als Kunstraum und Traumwelt</center>
<p align=justify>Egal, ob ein Künstler als Boheme auftritt oder als Bourgeois, er produziert nicht nur Kunstwerke, er muss auch gleichzeitig Schauspieler, Regisseur und Kulissenschieber seines Werks spielen. Er kann das aufdringlich machen wie ein Salvadore Dali oder würdevoll-großbürgerlich wie ein Franz Lenbach. Die eigene Kunst wird vom Künstler nicht nur gemalt, sondern auch inszeniert. Zur ersten Bühne dieser Inszenierung wurde aber das Künstleratelier.
<p align=justify>Ursprünglich war das Atelier in der Tradition des Handwerks eine bloße Werkstatt gewesen.
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<p align=justify>Für Künstler wurde das Atelier zum wichtigen Produktions- und Werbemittel, das gleichzeitig die größte Einzelsumme verschlang.
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[b]<center> Es folgt Teil II.

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