- Folter oder NichtFolter? Das darf nie die Frage sein... - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 14:11
- Folter ist doch gar nicht sooo schlimm - Golden Boy, 13.01.2006, 16:47
- Folter ist doch gar nicht so schlimm. Sage ich doch ein völlig normaler Vorgang - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 18:19
- Milgram - Golden Boy, 13.01.2006, 19:31
- Na gut, ich ziehe die Daumenschraube etwas an... - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 20:13
- Hab' keine Argumente mehr, hast gewonnen (o.Text) - Golden Boy, 13.01.2006, 20:21
- Das mit dem Gewonnen, das nimmst du augenblicklich zurĂĽck:)) - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 20:42
- Das ging runter wie Butter. Gebe Kompliment zurĂĽck!:)) (o.Text) - Golden Boy, 14.01.2006, 15:13
- Das mit dem Gewonnen, das nimmst du augenblicklich zurĂĽck:)) - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 20:42
- Hab' keine Argumente mehr, hast gewonnen (o.Text) - Golden Boy, 13.01.2006, 20:21
- Na gut, ich ziehe die Daumenschraube etwas an... - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 20:13
- Milgram - Golden Boy, 13.01.2006, 19:31
- Re: Die Existenz des Bösen - Holmes, 13.01.2006, 18:24
- Folter ist doch gar nicht so schlimm. Sage ich doch ein völlig normaler Vorgang - prinz_eisenherz, 13.01.2006, 18:19
- Folter ist doch gar nicht sooo schlimm - Golden Boy, 13.01.2006, 16:47
Folter oder NichtFolter? Das darf nie die Frage sein...
-->Hallo,
ein aufrüttelnder und sehr lehrreicher Bericht, der da veröffentlicht wurde. Und wer da noch Zweifel hat, das Folter niemals ein Mittel der Wahl sein darf, der darf sich nicht wundern, wenn er eines Tages selber den ferngesteuerten Schergen auf den Polizeiwachen, in den Untersuchungsgefängnissen oder auf irgend welchen einsamen Inseln, vor der Küste der USA, ausgesetzt ist.
Ich weiß, ich weiß, als Betroffener, dessen Kind entführt worden ist, und der Verdächtige rückt das Verlies nicht heraus, kann man gut reden. Das weiß ich wohl. Nur die andere Gefahr, das nämlich solange herumgefoltert wird, bis die von der Obrigkeit selbst erschaffenen Monster, unter der Folter etwas gestehen, was die Obrigkeit hören will, diese jegliche menschliche Würde verdrängende Gefahr, die ist dabei allgegenwärtig. Ein kleiner persönlicher Hinweis zum Lesen. Man beachte bei der Schilderung die merkwürdige Lage der Täter am Ort, die die Handlungen an dem Mann, der Frau vollziehen. Ich hoffe, jeder hat soviel Fantasie, sich gedanklich in deren Rolle versetzten zu können. So gesehen sind sie zwar die Täter, die Handelnden, aber sind sie das wirklich?
Hier der Text:
Der lange Schatten der Folter
von
Vladimir Bukowski, Cambridge, England
Eines scheusslichen Morgens stellte Genosse Stalin fest, dass seine
Lieblingspfeife verschwunden war. NatĂĽrlich rief er seinen Henkersknecht
Lavrenti Beria und befahl ihm, die Pfeife zu finden. Einige Stunden
später fand Stalin die Pfeife in seinem Schreibtisch und erteilte den
Befehl, die Suche zu beenden. «Aber, Genosse Stalin», stotterte Beria,
«fünf Verdächtige haben bereits gestanden, sie gestohlen zu haben.»
Dieser Witz, den sich diejenigen, die einander vertrauten, als ich ein
Kind war, in den 50er Jahren in Moskau zuflĂĽsterten, ist vielleicht der
beste Beitrag, den ich zu der gegenwärtigen Diskussion in Washington
ĂĽber die Gesetzgebung gegen Folter und unmenschliche Behandlungsweisen
gegenüber im Ausland gefangengenommenen Terrorverdächtigen leisten kann.
Jetzt, da Präsident Bush eine öffentliche Show der Unterstützung für
Senator John McCains Verfassungszusatz veranstaltet hat, könnte man
meinen, dass die Debatte ein Ende findet. Aber dass diese Debatte
ĂĽberhaupt stattgefunden hat und dass prominente Menschen sich dafĂĽr
hergeben, eine solche Idee zu propagieren, ist fĂĽr mich verwirrend und
alarmierend zugleich. Ich habe gesehen, was aus einer Gesellschaft wird,
die sich in ihrem Streben nach mehr Sicherheit fĂĽr derartige Methoden
begeistert; es braucht mehr als Worte und politische Kompromisse, um
einen solchen Impuls zurückzudrängen.
FĂĽr Amerikaner ist dies eine neue Debatte, aber sie mĂĽssen das Rad nicht
neu erfinden. Die meisten Nationen können sie mit Bänden von Geschichten
über dieses Thema versorgen. Tatsächlich ist die Folter - mit Ausnahme
der Beulenpest im Mittelalter - die älteste Plage auf unserem Planeten
(daher gibt es auch so viele Konventionen gegen sie). Jeder russische
Zar nach Peter dem Grossen schaffte die Folter feierlich ab, nachdem er
den Thron bestiegen hatte, und jedesmal musste sein Nachfolger sie aufs
neue wieder abschaffen.
Diese Zaren waren keine Liberalen mit blutenden Herzen, aber lange
Erfahrung im Gebrauch dieser «Verhör»-Techniken in Russland hatte sie
gelehrt, dass die Folter, wenn sie geduldet wĂĽrde, ihren
Sicherheitsapparat zerstören würde. Sie wussten, dass die Folter die
Berufskrankheit jeder Untersuchungsmaschinerie ist.
Neben reiner Frustration und anderen Adrenalin-verwandten Emotionen
unterliegen Untersuchungsbeamte und Detektive auf einer heissen Spur
einer enormen Versuchung, Gewalt anzuwenden, um den Willen ihrer Opfer
zu brechen, weil sie glauben, um es metaphorisch auszudrĂĽcken, einen
einer Zeitbombe ähnelnden Fall in den Händen zu haben. Aber ähnlich wie
ein guter Jäger seine Hunde abrichtet, ihm die Beute zu bringen statt
sie aufzufressen, muss ein guter Herrscher seine Henkersknechte davon
abhalten, die Opfer zu vernichten, wenn er nicht mit leeren Händen
dastehen will.
Untersuchung ist ein subtiler Prozess, der Geduld und feine analytische
Fähigkeiten ebenso verlangt wie die Fähigkeit, seine Quellen zu pflegen.
Wenn Folter geduldet wird, verlassen diese seltenen befähigten Menschen
den Dienst, nachdem sie von weniger talentierten Kollegen mit ihren
Methoden der einfachen Lösungen verdrängt wurden, und der Dienst als
solcher degeneriert zu einem Spielfeld fĂĽr Sadisten. So wurde Joseph
Stalins bekannter NKWD (die sowjetische Geheimpolizei) in seiner
Blütezeit zu nichts weiter als einer Armee von Schlächtern, die das
gesamte Land terrorisierte, aber unfähig war, das einfachste Verbrechen
aufzuklären. Und als der NKWD einmal auf Touren gekommen war, konnte
nicht einmal Stalin ihn nach Belieben stoppen. Er hatte darin
schliesslich nur Erfolg, indem er die Raserei des NKWD gegen diesen
selbst wandte; er befahl, den obersten NKWD-Henkersknecht Nikolai Yezov
(den Vorgänger von Beria) zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern zu
verhaften.
Warum also sollten demokratisch gewählte Führer der Vereinigten Staaten
je etwas legalisieren wollen, um dessen Abschaffung sich eine Folge von
russischen Monarchen bemĂĽhte? Warum sollte man das Risiko eingehen, eine
Furie loszulassen, die sogar Stalin MĂĽhe hatte zu kontrollieren? Warum
sollte irgend jemand «die Fähigkeit zur Informationsbeschaffung
verbessern» wollen, indem er das, was noch davon übrig ist, auch noch
zerstört? Frustration? Unfähigkeit? Ignoranz? Oder hat ihre Freundschaft
mit einem gewissen frĂĽheren Oberstleutnant des KGB, Vladimir Putin, auf
die amerikanischen Führer abgefärbt? Ich habe keine Antwort auf diese
Fragen, aber ich weiss, dass wenn Vizepräsident Cheney recht hat und
einige «grausame, inhumane oder erniedrigende» [«cruel, inhumane or
degrading»] (CID) Behandlungsmethoden gegenüber Gefangenen ein
notwendiges Mittel sind, um den Krieg gegen den Terrorismus zu gewinnen,
dieser Krieg bereits verloren ist.
Nur schon die Rede von der Möglichkeit, CID anzuwenden, sendet falsche
Signale und stärkt niedrige Instinkte bei denen, die durch ihre
Vorgesetzten ständig vor dieser Versuchung geschützt werden sollten. Als
jemand, der zu den Opfern der Anwendung der fraglichen
Behandlungsmethoden gehört hat, kann ich Ihnen sagen, dass der Versuch
der Unterscheidung zwischen Folter und CID-Techniken lächerlich ist. Die
Zeiten, in denen ein Folterer die hässlich anzuschauenden Werkzeuge
angewendet hat, die im Tower von London ausgestellt sind, sind lange
vorbei. Ein einfaches Gefängnisbett ist tödlich, wenn man die Matratze
entfernt und einen Gefangenen zwingt, Nacht fĂĽr Nacht auf dem eisernen
Rahmen zu schlafen. Oder was ist mit dem «Handschlag der Tschekisten»,
der unter Stalin so weit verbreitet war - ein fester Druck auf den
Handballen des Opfers, dem zuvor ein einfacher Bleistift zwischen die
Finger gesteckt worden ist? Sehr zweckmässig, sehr einfach. Oder wie
wĂĽrden sie es nennen, wenn 2000 Insassen eines Arbeitslagers ĂĽber Monate
ohne zahnärztliche Behandlungsmöglichkeit gelassen werden? Ist es CID,
einen besonders schmerzhaften Zahnschmerz nicht zu behandeln, oder ist
das Folter?
Derzeit wird Schlafentzug offenbar lediglich als CID betrachtet und bei
den Gefangenen auf Guantanamo Bay angewandt. Nun, Gratulation, Genossen!
Es war exakt diese Methode, mit welcher der NKWD in Stalins
Schauprozessen der 30er Jahre die spektakulären Geständnisse produziert
hat. Die Henkersknechte nannten es «Förderband», wenn ein Gefangener
nonstop während einer Woche oder 10 Tagen ohne jeden Schlaf verhört
wurde. Am Schluss unterschrieb das Opfer jedes Geständnis, ohne
ĂĽberhaupt zu verstehen, was es unterzeichnet hatte.
Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass ein Verhör eine intensive
persönliche Konfrontation ist, ein Duell der Willenskräfte. Es geht
dabei nicht um das Verraten von Geheimnissen oder um Geständnisse, es
geht um Selbstachtung und menschliche WĂĽrde. Wenn ich zusammenbreche,
werde ich nicht mehr in der Lage sein, in den Spiegel zu schauen. Aber
wenn ich nicht zusammenbreche, wird es dem Verhörenden genauso ergehen.
Versuchen Sie einmal, in der Hitze eines solchen Gefechts Ihre GefĂĽhle
zu kontrollieren. Das ist genau der Grund, warum Folter stattfindet,
auch wenn sie ausdrĂĽcklich verboten ist. Wer soll dann aber garantieren,
dass selbst die genaueste Definition von CID unter solchen Umständen
noch beachtet wird?
Aber wenn wir das nicht garantieren können, wie können wir dann die
Offiziere und die jungen Männer in der CIA dazu zwingen, Dinge zu tun,
die ihnen fĂĽr immer Narben zufĂĽgen werden? Denn Narben werden sie
davontragen, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.
1971, im Lefortovo Gefängnis in Moskau (dem zentralen KGB-Gefängnis für
Verhöre), begann ich einen Hungerstreik, um einen Verteidiger meiner
Wahl zu erhalten (der KGB wollte mir statt dessen den eigenen Anwalt,
dem er vertraute, zuteilen). Der Zeitpunkt kam meinen EntfĂĽhrern
ziemlich ungelegen, weil mein Fall zur Verhandlung vor Gericht anstand
und sie keine Zeit zu verlieren hatten. Also begannen sie, um mich zu
brechen, mich auf eine sehr ungewöhnliche Weise gewaltsam zu ernähren -
durch meine Nasenlöcher. Ungefähr ein Dutzend Wachleute führten mich von
meiner Zelle zu der medizinischen Abteilung. Dort steckten sie mich in
eine Zwangsjacke, banden mich an einem Bett fest, setzten sich auf meine
Beine, so dass ich mich nicht bewegen konnte. Die anderen hielten meine
Schultern und meinen Kopf, während eine Ärztin einen Nahrungsschlauch in
mein Nasenloch steckte.
Der Nahrungsschlauch war dick, dicker als mein Nasenloch und ging nicht
hinein. Blut schoss aus meiner Nase und Tränen über meine Wangen, aber
sie schoben weiter, bis die Knorpel brachen. Ich glaube, ich hätte
geschrien, wenn ich gekonnt hätte, aber ich konnte nicht, mit dem
Schlauch in meiner Kehle. Zuerst konnte ich weder ein- noch ausatmen;
ich keuchte wie ein Ertrinkender - meine Lungen schienen zu bersten. Die
Ärztin schien kurz davor, in Tränen auszubrechen, aber sie schob den
Schlauch tiefer und tiefer hinein. Erst als er meinen Magen erreichte,
konnte ich vorsichtig wieder atmen.
Dann schĂĽtteten sie irgendeinen Schlabber durch einen Trichter in den
Schlauch, an dem ich erstickt wäre, wenn er wieder hochgekommen wäre.
Sie hielten mich noch eine halbe Stunde fest, damit die FlĂĽssigkeit von
meinem Magen absorbiert wurde und nicht wieder erbrochen werden konnte,
und zogen dann den Schlauch Stück für Stück wieder heraus … Es war
gerade genug Zeit vergangen, damit alles während der Nacht beginnen
konnte zu heilen, als sie am Morgen zurĂĽckkamen und alles wieder von
vorn begannen, zehn Tage lang, bis die Wärter es nicht mehr aushielten.
Zufällig war Sonntag, und es waren keine Vorgesetzten da. Sie umringten
die Ärztin: «He, hören Sie, lassen Sie es ihn direkt aus der Schüssel
trinken, lassen Sie es ihn schlĂĽrfen. Es wĂĽrde auch fĂĽr Sie schneller
gehen, Sie alter Dummkopf.» Die Ärztin fing an zu weinen: «Denken Sie,
ich will wegen Ihnen ins Gefängnis gehen? Nein, ich kann das nicht tun.»
Also stellten sie sich ĂĽber mich, fluchten sich gegenseitig an, und aus
meiner Nase kamen blutige Blasen. Am 12. Tag ergaben sich die Behörden;
ihnen war die Zeit ausgegangen. Ich hatte meinen Anwalt bekommen, aber
weder die Ärztin noch die Wärter konnten mir je wieder in die Augen
sehen.
Wenn die Anwälte des Weissen Hauses heute damit beschäftigt sind, sich
einen Weg auszudenken, wie sie die Flut möglicher Gerichtsverfahren
früherer Gefangener eindämmen könnten, empfehle ich ihnen dringend, über
eine weitere Flut möglicher Gerichtsverfahren nachzudenken, die Männer
und Frauen aus den Streitkräften oder CIA-Agenten anstrengen könnten,
die mit CID-Praktiken befasst waren oder sind. Unsere reiche Erfahrung
in Russland hat gezeigt, dass viele alkohol- oder drogenabhängig,
Gewaltverbrecher oder zumindest despotische Väter oder Mütter werden,
die ihre Kinder missbrauchen.
Wenn Amerikas Führer Terroristen jagen wollen, während sie Diktaturen in
Demokratien umwandeln, mĂĽssen sie einsehen, dass Folter einschliesslich
CID historisch ein Instrument der UnterdrĂĽckung ist - und keineswegs ein
Mittel zur DurchfĂĽhrung von Ermittlungen oder zur Beschaffung von
Informationen. Kein Land muss einen Weg finden, wie Folter «legalisiert»
werden kann; das Problem besteht vielmehr darin, wie man verhindern
kann, dass sie stattfindet. Wenn sie nicht gestoppt wird, wird die
Folter die wichtige Strategie Amerikas zur Entwicklung von Demokratie im
Mittleren Osten zerstören.
Und wenn man zynischerweise Folter von Vertragsfirmen und ausländischen
Agenten durchführen lässt, wie kann man da überrascht sein, wenn ein
18jähriger im Mittleren Osten den amerikanischen Reformbemühungen dort
misstrauisch gegenĂĽbersteht?
Schliesslich sollte man daran denken, welchen Effekt die amerikanische
Haltung auf den Rest der Welt hat, besonders auf diejenigen Länder, wo
die Folter noch immer verbreitet ist, wie in Russland, und wo ihre
Bürger sich noch immer darum bemühen, sie zu bekämpfen. Herr Putin wird
der erste sein, der sagt: «Sehen Sie, auch Ihre gefeierte amerikanische
Demokratie kann sich nicht verteidigen, ohne auf Folter
zurückzugreifen.»
Wir sind auf dem Weg zurück in die Höhlen
von hier:
<ul> ~ http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_137c/T03.HTM </ul>

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