- Das Wiedeking-System - monopoly, 04.02.2006, 13:55
- Da hat aber einer ekligen Schaum vorm Mund... - LenzHannover, 04.02.2006, 19:30
Das Wiedeking-System
-->PRODUKTION / Wie viel âDeutschlandâ steckt in einem Porsche?
Das Wiedeking-System
Der Ă-konom Hans-Werner Sinn behauptet: Wir sind zwar Exportweltmeister, kaufen dafĂŒr aber krĂ€ftig ein. Stimmt das? Unser Autor hat nachgerechnet.
FERDINAND DUDENHĂ-FFER
PORSCHE CAYENNE: Gute deutsche Wertarbeit? Von wegen.
Foto: Porsche
KrĂ€ftiges Wachstum, satte Gewinne: Seit Jahren fĂ€hrt das Unternehmen Porsche auf der Ăberholspur. Gerne schwimmt Firmenlenker Wendelin Wiedeking dabei gegen den Strom. WĂ€hrend Opel, VW oder Mercedes in Deutschland BeschĂ€ftigte abbauen, betont Wiedeking immer wieder, dass er kein Problem mit den deutschen Löhnen habe. Stattdessen stockt Porsche die Belegschaft auf, verzichtet auf Subventionen (âLuxus braucht keine StĂŒtzeâ) und hat sich dennoch zu einer Gewinnmaschine entwickelt: Von 100 Euro Umsatz bleiben 18Euro Gewinn vor Steuern in der Kasse. Was machen die Stuttgarter besser als Toyota oder BMW?
Mit seinen Modellen Cayenne und Boxster ist es Porsche gelungen, einen groĂen Umsatz- und Ertragssprung zu machen, ohne KapazitĂ€tsrisiken in Kauf zu nehmen. Denn in Wahrheit werden beide Fahrzeuge zu wesentlichen Teilen von Produktionsdienstleistern im Ausland gebaut. Beim Cayenne fertigt Porsche nach eigenen Angaben noch zwölf Prozent in seinen deutschen Werken, und auch beim Boxster betrĂ€gt der Eigenfertigungsanteil weniger als 20 Prozent.
WĂ€hrend der Cayenne nahezu fix und fertig aus dem VW-Werk in Bratislava kommt, dient beim Boxster der finnische Partner Valmet als âatmenderâ KapazitĂ€tsteil: Sinkt die Nachfrage nach dem Boxster, stehen nicht in Deutschland, sondern bei Valmet in Finnland die BĂ€nder still. So wurden nur 13Prozent aller in den Jahren 2000 bis 2004 hergestellten Boxster in Deutschland produziert. Der groĂe Rest kommt aus Finnland.
Vergleicht man die Fertigung des Cayenne und des Boxster mit anderen Premium-Fahrzeugen, wie der Mercedes-S-Klasse oder dem BMW-7er, ist der bei Porsche zu notierende Deutschlandanteil an der Fertigung sogar sehr gering. Die Ă€uĂerst hohe Gewinnspanne bei seinen Fahrzeugen resultiert bei Porsche vor allem aus der Nutzung seiner Markenwerte. Der Mehrwert beim Porsche Cayenne besteht also in groĂen Teilen aus einer Marketingleistung. Das Produkt selbst wird nahezu komplett zugekauft.
Das bedeutet auch: Ein Porsche Cayenne wie Boxster enthĂ€lt wesentlich weniger deutsche Wertschöpfung als die Mercedes-S-Klasse oder der BMW-7er. Der in Deutschland erzeugte Fertigungskostenanteil differiert bei Porsche enorm von dem anderer Hersteller. Dies zeigt der Vergleich der Werke von Porsche und BMW in Leipzig. WĂ€hrend BMW einen eigenen Karosserierohbau, eine eigene Lackieranlage und eine eigene hochmoderne Komplettmontage betreibt, sind die Stuttgarter lediglich mit einer manufakturorientierten Teilmontage in Leipzig dabei. Das in Bratislava vorgefertigte Fahrzeug wird in Sachsen lediglich in kleinen Teilen âveredeltâ.
Der Cayenne illustriert eine neue Ausrichtung bei Porsche. Das Unternehmen kauft zunehmend im preisgĂŒnstigen Ausland ein, das Fahrzeug wird dort komplettiert und dann in Deutschland âaufgebautâ. Die Strategie besteht darin, mit sehr niedrigen Wertschöpfungstiefen und KapazitĂ€tsrisiken gewaltige Renditen - vor allem durch die Nutzung des Markennamens - zu erzielen. Ein sehr stringentes Kosten-Management tut sein Ăbriges zu der hohen Gewinnmarge dazu. Und das bedeutet konkret: den Einkauf wesentlicher Teile und Komponenten im billigeren Ausland.
Wie hoch aber ist der Auslandsanteil an den Fertigungskosten beim Cayenne nun tatsĂ€chlich? Diese Frage lĂ€sst sich auch von Porsche selbst nicht exakt beantworten. Der Grund liegt in der international weit verĂ€stelten Zulieferpyramide. Die fix und fertig lackierte und innen ausgestattete Cayenne-Rohkarosse wird bei VW in Bratislava gefertigt und zur Komplettierung nach Leipzig transportiert. Zugeliefert werden in Bratislava Pressteile von Magna, Stoff und Leder vom Zulieferer Eissmann, Holzzierteile von Novem, Alu-Zierteile von Erbslöh, Sitze von Johnson Controls, Sitzverstellungen von Brose, Armaturen von Faurecia und so weiter und so fort. Man kommt schnell auf mehr als 30 Zulieferer, die ihrerseits zirka 50Prozent des eingesetzten Materials von Unterlieferanten erhalten. Und natĂŒrlich haben auch die Unterlieferanten ihre Werkstoff-Lieferanten.
Ein verschlungenes Gebilde, dass es schier unmöglich macht, jede Bezugquelle nach Inland und Ausland prĂ€zise zu unterscheiden. Bei der Berechnung des Deutschland-Anteils beim Cayenne hilft auch die Tatsache nicht weiter, dass ein GroĂteil der Zulieferer ihren Firmensitz in Deutschland hat. Denn gut die HĂ€lfte der BeschĂ€ftigten der deutschen Zulieferer werkeln wiederum im Ausland: Bei Bosch sind es 54 Prozent, bei Continental ĂŒber 60 Prozent, beim KĂŒhlungsspezialist Behr 61 Prozent und beim MittelstĂ€ndler Kostal gar 67 Prozent. Ein deutscher Name auf der Zuliefererliste bedeutet also noch lange nicht, dass auch in Deutschland gefertigt wird.
Versuchen wir also, die Frage nach dem Deutschland-Anteil mit einer Beispielrechnung zu beantworten: Ein Porsche Cayenne kostet im Mittel ungefÀhr 61000 Euro. Nach gÀngigen Kalkulationsmethoden kann man dabei von Produktionskosten in Höhe von 34000 Euro ausgehen. Da Porsche einen deutschen Fertigungsanteil von zwölf Prozent nennt, kann man also rund 30000 Euro der Cayenne-Produktionskosten dem Werk in Bratislava zurechnen und etwa 4000 Euro dem Werk in Leipzig.
Wie setzt sich nun zum Ersten der Bratislava-Teil von 30000 Euro zusammen? Nach gĂ€ngiger Praxis entstehen 25 Prozent im VW-Werk in Bratislava und 75 Prozent bei Zulieferern, also 22500 Euro. Unterstellen wir weiter, dass zwei Drittel der in Bratislava verbauten Zulieferteile nicht aus Deutschland kommen. Auch diese Annahme ist realistisch, wenn wir uns die BeschĂ€ftigtenzahlen der deutschen Zulieferer vor Augen halten. Die Teile werden stattdessen rund um die Welt zugekauft - etwa Platinen fĂŒr elektrische Steuerungen in China, Schalter aus Ungarn oder der Ukraine. Als Zwischenergebnis unserer Rechnung erhalten wir dann: Ein Anteil von 22500 Euro des Cayenne-Preises (7500 Euro plus 15000 Euro aus Zulierungen) wird aus TĂ€tigkeiten auĂerhalb Deutschlands in Bratislava zugesteuert.
Zum Zweiten bleibt die Porsche-Wertschöpfung in Leipzig zu berĂŒcksichtigen. Hier ist zu beachten, dass ein GroĂteil der Wertschöpfung von 4000 Euro, nĂ€mlich 75 Prozent oder 3000 Euro, aus der Motormontage in Zuffenhausen kommt. Davon kauft Porsche in Zuffenhausen zu etwa drei Vierteln Motorkomponenten zu: SteuergerĂ€t, Kurbelwelle, Nockenwelle, Kolben, Pleuel, Motorblock - insgesamt: 2250 Euro. Unterstellen wir, dass ein Drittel dieser Zulieferwertschöpfung jenseits deutscher Grenzen erfolgt. Dies entsprĂ€che dann 750 Euro in der Beispielrechnung. Damit ergibt sich im Beispiel insgesamt eine Auslandssumme von 23250 Euro. Mit anderen Worten: Gut 68 Prozent des Produktionswertes einesCayenne entstehen im Ausland.
Fazit: Wendelin Wiedeking hat ein Ă€uĂerst erfolgreiches System aufgebaut, das mit relativ wenig deutscher Arbeit ein HöchstmaĂ an Gewinnen erzielt. Eine Meisterleistung in der Kunst des Managements: Das Wiedeking-System verlagert die KapazitĂ€tsrisiken ins Ausland und hĂ€lt die eigenen Fertigungstiefen niedrig. Das bedeutet aber gleichzeitig:Auch Porsche setzt aufgrund der hohen Kosten hierzulande nur wenig âDeutschlandâ in der Wertschöpfung ein - auch wenn Porsche-Lenker Wiedeking das noch so vehement bestreitet. Zwei Drittel eines Porsche Cayenne kommen aus dem Ausland. Das Unternehmen bietet sich damit als bestes Beispiel an fĂŒr die Basarökonomie-These des Ifo-PrĂ€sidenten Hans-Werner Sinn: Die Deutschen sind zwar Exportweltmeister, kaufen bei der Produktion aber krĂ€ftig dazu.
Unser Autor ist GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Prognose-Instituts B & D Forecast in Leverkusen sowie Direktor des Center Automotive Research (CAR) an der FH Gelsenkirchen.

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