- OT: NZZ - Beitrag zu Polen und den Fratelli Kaczynsiki - Emerald, 15.07.2006, 07:33
- Emerald - Copyright! - chiron, 15.07.2006, 12:09
- Re: Emerald - Copyright! / Ja! (o.Text) - Elli (Boardmaster)--, 15.07.2006, 12:37
- Emerald - Copyright! - chiron, 15.07.2006, 12:09
OT: NZZ - Beitrag zu Polen und den Fratelli Kaczynsiki
-->Polen im Griff der Brüder Kaczynski
Die ehemaligen polnischen Dissidenten, die sich zur Zeit der Herrschaft der Kommunisten für demokratische Reformen und ein weltoffenes Polen eingesetzt hatten, müssen sich heute wohl ungläubig die Augen reiben. Das Familienunternehmen Kaczynski beherrscht das Land. Lech ist Präsident, sein Zwillingsbruder Jaroslaw, der Chefideologe der bei den Wahlen im Herbst siegreichen nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit, ist neuer Regierungschef. Dabei hatte dieser einst erklärt, er werde auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten, sollte sein Zwillingsbruder Staatschef werden.
VERLIERER DER WENDE
Die populistische Samoobrona (Selbstverteidigung) ist ebenso in die Regierungskoalition eingebunden wie die nationalistische und rechtsextreme Liga der Polnischen Familien. Deren Chef, Roman Giertych, der nach der Wende die antisemitisch-nationalistische Jugendorganisation der Zwischenkriegszeit mit dem Namen «Allpolnische Jugend» zu neuem Leben erweckt hatte, ist Bildungsminister. Der Führer der Samoobrona, Andrzej Lepper, steht an der Spitze des Landwirtschaftministeriums. Die beiden Populisten, mit denen sich noch bis vor kurzem kein ernsthafter polnischer Politiker eingelassen hätte und die in einer demokratischen Regierung auch nichts zu suchen haben, sind Vizeregierungschefs. Auf dem Weg nach oben war den Zwillingen jeder Mehrheitsbeschaffer recht.
Dabei waren die Kaczynskis einst Dissidenten. Sie unterstützten im August 1980 in der Danziger Lenin-Werft die streikenden Arbeiter. Später standen sie an der Seite von Lech Walesa, mit dem sie sich allerdings bald zerstritten. Dem ersten nichtkommunistischen Regierungschef Tadeusz Mazowiecki verweigerten sie 1989 die Unterstützung, denn dieser hielt wenig von einer Politik der radikalen Abrechnung. Er forderte vielmehr einen Schlussstrich unter die kommunistische Vergangenheit. Die Kaczynskis, die in den neunziger Jahren in der Versenkung verschwanden, gehörten also im Reformlager zu den politischen Verlierern der Wende.
So ist es nicht verwunderlich, dass für die Zwillingsbrüder die letzten sechzehn Jahre eher ein Greuel sind. Das gilt vor allem für die Zeit, in der die gewendeten Kommunisten an der Macht waren. Ihr Urteil über die für Polen so bedeutsame Epoche der zweifellos in vielem erfolgreichen wirtschaftlichen und politischen Transformation ist erschreckend pauschal und einseitig. Die Kaczynskis betrachten im Grunde genommen die Reformperiode insgesamt als gescheitert, weil aus ihrer Sicht in dieser Zeit die korrupten kommunistischen und postkommunistischen Seilschaften hinter demokratischen Fassaden ihre Herrschaft in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch zu festigen vermochten. Zu diesem alles durchdringenden «Machtkartell», das für alle Übel verantwortlich gemacht wird, zählen die Zwillinge inzwischen fast jeden, der sich ihrer Politik widersetzt. Diesem vielarmigen Ungeheuer haben sie den Kampf angesagt.
Die Kaczynskis sehen ihre Mission darin, die ihrer Ansicht nach zerrüttete und von Postkommunisten unterwanderte polnische Gesellschaft auf katholisch-nationaler Basis zu erneuern. Dazu wollen sie eine «moralische Revolution» in Gang setzen und durch Verfassungsänderungen eine «Vierte Republik» schaffen. Diese soll mit der ihnen verhassten «Dritten Republik», die mit dem Ende der Herrschaft der Kommunisten 1989 begann, endgültig aufräumen. Was den Kaczynskis vorschwebt, ist ein solidarischer, fürsorglicher, starker Staat. Wie dieser aussehen soll, bestimmen sie selbst.
EIN FÜRSORGLICHER STAAT
Mehr staatliche Kontrolle, lautet ihre Losung. So haben die Kaczynskis in den letzten Monaten bereits damit begonnen, Institutionen, Staatsbetriebe und die Verwaltung mit ihren Parteigängern zu durchsetzen. Mögen die Zwillinge noch so sehr gegen die Postkommunisten zu Felde ziehen, ihre unzimperlichen Methoden sowie ihre antiliberalen und kollektivistischen Reflexe wecken Erinnerungen an kommunistische Zeiten.
Bisher haben die Kaczynskis viel Wirbel verursacht, aber wenig getan. Auch traten sie von einem aussenpolitischen Fettnäpfchen ins andere. Vor allem der Regierungschef Jaroslaw Kaczynski steht nun aber unter einem gewaltigen Erfolgsdruck. Er kann nicht mehr wie bisher die Fäden im Hintergrund ziehen, sondern muss selbst die Verantwortung übernehmen. Er wird die inneren und äusseren Zwänge des Regierens im EU-Land Polen schon bald zu spüren bekommen. Der Zorn jener Polen, die sich als Verlierer der Wende empfinden und bei denen Kaczynski überzogene Erwartungen geweckt hat, könnte sich schon bald gegen ihn richten.

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