- Das Israelische Paradoxon - XERXES, 10.08.2006, 14:32
- Was steckt hinter dem Libanonkrieg? - rkoenig, 10.08.2006, 15:04
- Re: Was steckt hinter dem Libanonkrieg? - prinz_eisenherz, 10.08.2006, 17:45
- Au ContrÀÀÀre, mon ami! - Golden Boy, 10.08.2006, 17:50
- Etwas genauer. Habe heute meinen schlechten Tag. - prinz_eisenherz, 10.08.2006, 18:48
- Die Amerikaner sind auf einem"guten" Weg... - Golden Boy, 11.08.2006, 10:28
- Diktatur des Kapitals? - rkoenig, 11.08.2006, 10:59
- Etwas genauer. Habe heute meinen schlechten Tag. - prinz_eisenherz, 10.08.2006, 18:48
- Au ContrÀÀÀre, mon ami! - Golden Boy, 10.08.2006, 17:50
- Re: Was steckt hinter dem Libanonkrieg? - prinz_eisenherz, 10.08.2006, 17:45
- Wo hast Du den Artikel gefunden? Auf freace ist er nicht. (o.Text) - Golden Boy, 10.08.2006, 17:53
- Hier: - XERXES, 11.08.2006, 07:42
- Danke! (o.Text) - Golden Boy, 11.08.2006, 10:31
- Hier: - XERXES, 11.08.2006, 07:42
- Was steckt hinter dem Libanonkrieg? - rkoenig, 10.08.2006, 15:04
Das Israelische Paradoxon
-->Wer? Ich?
Uri Avnery, 9.8.06
HEUTE BEGINNT die 5. Kriegswoche. Es ist kaum zu glauben: unsere mĂ€chtige Armee kĂ€mpft jetzt seit 29 Tagen gegen eine âBandeâ und eine âTerroristenorganisationâ, wie die MilitĂ€rkommandeure sie gern beschreiben, und die Schlacht wurde noch nicht entschieden.
Gestern meldeten militĂ€rische Quellen in Israel, dass von den 1200 Hisbollah-Terroristen 400 getötet worden seien. Das heiĂt also, es haben nur 1200 gegen Zehntausende unserer Soldaten gekĂ€mpft, die mit den in aller Welt am besten entwickelten Waffen ausgerĂŒstet sind - und auĂerdem sind hundert Tausende israelischer BĂŒrger noch immer unter Katjuscha-Raketenbeschuss, und unsere Soldaten werden getötet.
WER? ICH? Inzwischen gibt schon jeder zu, dass in diesem Krieg grundsĂ€tzlich etwas schief gelaufen ist. Der Beweis: der â Krieg der GenerĂ€leâ, der sonst erst nach Kriegsende begonnen hat, ist nun schon im Krieg öffentlich geworden.
Der Generalstabschef Dan Halutz hat den Schuldigen gefunden: Udi Adam, den Chef des Kommando Nord. Er hat ihn praktisch mitten in der Schlacht entlassen. Es ist das alte Spiel des Diebes, der schreit âHaltet den Dieb!â Dabei ist es klar, dass die Person, der die Hauptschuld fĂŒr die FehlschlĂ€ge des Krieges zu geben ist, allein Halutz selbst ist, der törichterweise glaubte, die Hisbollah könne mit Luftangriffen besiegt werden.
Doch fliegen nicht nur an der Armeespitze Anklagen umher. Das Armeekommando klagt die Regierung an, die in gleicher MĂŒnze zurĂŒckzahlt.
Am Abend seiner Degradierung klagte Udi Adam öffentlich die Regierung an, er habe keine freie Hand zum Handeln gehabt, also: die Regierung ist schuld. Ehud Olmert blieb nichts schuldig und erklĂ€rte, die Armee habe keinen Plan zur Erweiterung der Kampagne vorgelegt. Was wohl so viel heiĂen mag wie: wenn ihr inkompetent seid, dann beschuldigt nicht mich.
Um sich selbst zu rechtfertigen, fĂŒgte Olmert noch einen wichtigen Satz hinzu: âVom ersten Tag des Krieges an hat die Regierung keine einzige Forderung der Armee zurĂŒckgewiesen!â In andern Worten, es ist der Generalstabschef, der die Politik macht und den Krieg fĂŒhrt, wĂ€hrend die politische FĂŒhrung routinemĂ€Ăig alles abstempelt, was die Armee âfordertâ.
Aber das ist eine sinnlose Debatte, weil sie die Hauptsache ignoriert, die von Tag zu Tag klarer wird: es ist einfach unmöglich, diesen Krieg zu gewinnen. Deshalb lÀuft nichts, wie es geplant war.
PLAN? WAS FĂR EIN PLAN? Vor vielen Jahren hatte der MilitĂ€rkommentator von Haolam Hazeh - der Zeitschrift, deren Herausgeber ich damals war - die Nase voll von der Prahlerei, mit der sich unsere Armee in Improvisationen ĂŒbertraf. âDie FĂ€higkeit zu improvisierenâ, schrieb er, â ist nur eine andere Bezeichnung fĂŒr die UnfĂ€higkeit zu planen.â
Nach authentischen Berichten hat sich die Armee lĂ€nger als drei Jahre auf den Krieg vorbereitet. Die letzte MilitĂ€rĂŒbung fand einen Monat vor Kriegsanfang statt und schloss eine Invasion in den Libanon durch die LandkrĂ€fte ein. Es ist klar, dass das Kommando nicht mit einer Kampagne rechnete, die vier Wochen oder gar lĂ€nger dauern wĂŒrde. Was zum Teufel!- es ging doch nur gegen eine kleine Gang von Terroristen. Es scheint den Spruch zu bestĂ€tigen, dass selbst der beste Kriegsplan den ersten Kriegstag nicht ĂŒberlebt.
DER KRIEG DER ARMEN. Es ist auch ziemlich klar, dass der wunderbare Plan des Armeekommandos den Schutz der Etappe nicht mit einschloss, die in der Reichweite der Raketen liegt. Es gab keinen Plan fĂŒr die hundertundeins Probleme, die durch den Angriff der Hisbollah auftauchten: von der Verteidigung der zivilen Bevölkerung gegenĂŒber den Tausenden von Raketen bis zu notwendigen wirtschaftlichen Vorkehrungen, wenn ein Drittel der Bevölkerung des Landes unter Bombardements lebt und gelĂ€hmt ist.
Nun schreit die Ă-ffentlichkeit auf - und bald werden die Minister und GenerĂ€le jemanden finden mĂŒssen, der als SĂŒndenbock dienen kann.
Denn dieser Krieg wird auf dem RĂŒcken der Schwachen ausgefochten, die es sich nicht leisten können, âsich selbst aus dem Raketengebiet zu evakuierenâ. Die Reichen und Wohlhabenden sind schon lĂ€ngst weg - in Israel genau so wie im Libanon. Die Armen, Alten und Behinderten bleiben in den SchutzrĂ€umen. Sie sind die Hauptleidtragenden. Aber das macht sie nicht zu Kriegsgegnern - im Gegenteil, sie schreien am lautesten und verlangen â macht Schluss mit ihnen!â, âzermalmt sie!â, löscht sie aus!â
Das ist keineswegs neu: die SchwĂ€chsten in der Gesellschaft wollen fĂŒhlen, dass sie zur stĂ€rksten Nation gehören. Diejenigen, die nichts haben, werden zu den gröĂten Patrioten. Und sie sind auch die Hauptopfer.
Diejenigen, die den Krieg initiiert und geplant haben, pflegen die im Norden festsitzenden Bewohner zynisch zu umschmeicheln und nennen sie âHeldenâ und loben ihre âwunderbare Standhaftigkeitâ.
VEREINIGTE ZYNIKER. Nun hÀngt das Ende des Mordens von der UN ab.
David Ben Gurion nannte sie verĂ€chtlich âUNO-SHMUNOâ ( UM-Shmum auf hebrĂ€isch). Im Krieg von 1948 verletzte er ihre Resolutionen ĂŒber Waffenpausen, wann immer es ihm passte (als Soldat nahm ich an etlichen solcher Aktionen teil). Er und alle seine Nachfolger seitdem haben alle UN-Resolutionen, die uns betreffen, verletzt. Sie behaupteten ( nicht unberechtigt), dass die Organisation, die aus dem Sowjetblock und aus Dritte-Welt-LĂ€ndern bestand, von einer automatisch anti-israelischen Mehrheit beherrscht sei.
Seitdem hat sich die Situation verĂ€ndert. Der Sowjetblock brach zusammen, die UN ist zu einem verlĂ€ngerten Arm der US-Regierung und Kofi Annan zu ihrem Hausmeister geworden. Der wirkliche Boss ist der US-Abgesandte John Bolton, ein rasender Neo-Con und deshalb ein groĂer Freund Israels. Er will, dass der Krieg weitergeht.
Der Name des amerikanischen Spieles: der israelischen Armee noch mehr Tage, vielleicht noch Wochen geben, um mit dem Krieg weiter zu machen, um das Wunder des Sieges zu erlangen - gleichzeitig aber vorgeben, alles zu tun, um den Krieg zu beenden. Anscheinend habe Olmert Bush versprochen, den Krieg zu gewinnen, wenn ihm nur genĂŒgend Zeit gegeben werde.
Die neuen VorschlĂ€ge der Regierung in Beirut lieĂen die Lichter in Jerusalem rot aufleuchten. Die libanesische Regierung schlĂ€gt vor, entlang der Grenze 15 000 libanesische Soldaten aufzustellen, eine Waffenruhe zu erklĂ€ren und den Abzug der israelischen Soldaten aus dem Libanon; es ist genau das, was die israelische Regierung zu Beginn des Krieges gefordert hat. Aber jetzt sieht dies wie eine Gefahr aus. Es könnte den Krieg stoppen - ohne einen israelischen Sieg.
So wurde eine paradoxe Situation geschaffen: die israelische Regierung weist einen Vorschlag zurĂŒck, der ihr ursprĂŒngliches Kriegsziel reflektiert, und fordert stattdessen, die Aufstellung einer internationalen Truppe, gegen die sie bei Kriegsbeginn strikt war. Das geschieht, wenn man einen Krieg ohne klares und erreichbares Ziel beginnt. Alles gerĂ€t durch einander.
GENERĂLE UND KOMMENTATOREN. Ich mache einen Vorschlag, der alle durch diesen Krieg verursachten Probleme löst: die GenerĂ€le mit den Kommentatoren auszutauschen.
Die GenerĂ€le haben sich bei der KriegsfĂŒhrung nicht ausgezeichnet. Aber sie und ihre Kollegen, die Ex-GenerĂ€le, haben sich als ausgezeichnete Kommentatoren bewiesen. Sie haben alle andern aus den Studios gedrĂ€ngt, einen nationalen Konsens geschaffen und alle Kritik zum Schweigen gebracht (auĂer einer Art von Kritik: warum wir nicht tiefer in den Libanon eindringen? Warum wir noch nicht den Litani erreicht haben? Warum gehen wir nicht ĂŒber den Litani? Warum wischen wir nicht die libanesischen Dörfer von der ErdoberflĂ€che? )
Andrerseits beweisen die Sendungen, dass die MilitĂ€rkommentatoren genau wissen, wie man einen Krieg fĂŒhrt. Sie haben ĂŒberzeugende Meinungen und eine Menge RatschlĂ€ge - sie wissen, wann man voranschreiten muss und wo, welche Truppen eingesetzt und welche Waffen benĂŒtzt werden sollen
Warum sollte man nicht sie den Krieg fĂŒhren lassen?
MACHOSTAN. Die Batterie der GenerĂ€le, die jeden Abend auf allen TV-KanĂ€len erscheint, um der Nation eine âBerichterstattungâ ( d.h. Propaganda) zu geben, sind alle mĂ€nnlich. Bei ihnen ist eine Quoten-Frau, eine wirkliche Schönheit, die den Titel âArmeesprecherinâ trĂ€gt. Sie soll Abwechslung ins Programm bringen. Die Kommentatoren beim Fernsehen sind natĂŒrlich harte Jungs, und dies trifft auch fĂŒr die andern Sprecher zu.
Die Herrschaft der MĂ€nner wird dadurch noch unterstrichen, dass das AuĂenministerium von einer Frau gefĂŒhrt wird. Seit der GrĂŒndung Israels war das Verteidigungsministerium der Bereich der MĂ€nner, die mit Verachtung auf das AuĂenministerium schauen, was immer als schwach und kraftlos angesehen wird. Auch jetzt ist das AuĂenministerium ein krĂ€nkliches Glied des Verteidigungsestablishments. Tsipi Livni, auf die einmal Hoffnungen gesetzt worden sind, ist der Papagei der Armee - so wie Condoleezza Rice Bushs Papagei ist.
NatĂŒrlich ist der Krieg Sache der MĂ€nner. So war es von Anbeginn der menschlichen Rasse an und vielleicht sogar noch frĂŒher. Ein Stamm von Affen bildete, wenn eine Gefahr auftauchte, automatisch eine Verteidigungsordnung: die Alten, die weiblichen Tiere mit ihren Jungen in der Mitte, die mĂ€nnliche Jugend bildete einen Kreis um sie. Da gibt es nur einen Unterschied zwischen ihnen und uns: ihr FĂŒhrer ist immer der weiseste und erfahrenste des Stammes.
Die Vorliebe der MĂ€nner fĂŒr den Krieg ist ein PhĂ€nomen, das wir jetzt aus der NĂ€he beobachten können, und hat nicht nur etwas mit dem biologischen Erbe zu tun. Der Krieg sichert die totale Vorherrschaft des MĂ€nnlichen innerhalb der Gesellschaft. Dies sichert auch die totale Vorherrschaft der GenerĂ€le im Staat ab.
Falls wir geglaubt hatten, dass sich dies Ă€ndern wĂŒrde, wenn die Regierung von Zivilisten gefĂŒhrt wird, so hat sich dies offensichtlich als falsch erwiesen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zivilisten, die sich wie KriegsfĂŒhrer benehmen, sind nicht besser als GenerĂ€le. Ein alter General mag sogar etwas aus seinen Erfahrungen gelernt haben.
Ich werde jetzt etwas sagen, von dem ich nie gedacht hĂ€tte, ich wĂŒrde es einmal Ă€uĂern. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir nicht in diesen dummen Krieg geschliddert wĂ€ren, wenn Sharon noch im Amt gewesen wĂ€re. Tatsache ist: er hat die Hisbollah nach dem Abzug im Jahre 2000 nicht angegriffen. Ein Versuch genĂŒgte ihm. Das beweist noch einmal, dass es nichts Schlimmes gibt, dem nicht noch Schlimmeres folgen kann.
Die Kriegslust erklĂ€rt auch den Chor der Hunderte von Ex-GenerĂ€len, die Unisono zugunsten den Krieges denken und reden. Ein Zyniker wĂŒrde sagen: Na und? Es ist eben die Armee, die ihnen ihren herausragenden Platz in der Gesellschaft gibt. Sie sind dort nur so lange wichtig, solange es einen Konflikt zwischen Israel und der arabischen Welt gibt. Der Konflikt garantiert ihren Status. Sie haben gar kein Interesse an seiner Eliminierung.
Doch das PhĂ€nomen liegt tiefer. Die Armee ist der Schmelztiegel der hochrangigen Offiziere. Dieser prĂ€gt ihre Weltanschauung, ihre Haltung und ihren Stil. Von den Siedlern abgesehen, ist das hochrangige Offiziers-Corps - mit und ohne Uniform - heute die einzige ideologische Partei in Israel und hat deshalb groĂen Einfluss. Es kann leicht tausend kleine FunktionĂ€re wie Amir Peretz vor dem FrĂŒhstĂŒck verschlingen.
Deshalb gibt es keine wirkliche Selbstkritik. Zu Beginn der fĂŒnften Kriegswoche hört man wieder die Slogans: VorwĂ€rts! Auf zum Litani! Weiter! StĂ€rker! Tiefer!

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