- Ungebaute und gebaute Mahnmale - MI, 02.09.2006, 09:30
- Re: Ungebaute und gebaute Mahnmale - albert, 02.09.2006, 19:58
- Re: Buch bestellt (o.Text) - MI, 02.09.2006, 22:19
- Re: Ungebaute und gebaute Mahnmale - albert, 02.09.2006, 19:58
Ungebaute und gebaute Mahnmale
-->Hallo,
habe vorhin dieses Interview der Tagesschau mit Samuel Salzborn gelesen. Darin steht:
tagesschau.de: Trotzdem sind im Zuge der Vertreibung doch unzweifelhaft Verbrechen an zahlreichen unschuldigen Angehörigen der deutschen Minderheiten verübt worden. Wie sollte aus Ihrer Sicht damit umgegangen werden?
Salzborn: Ich glaube, hier ist es wichtig zu unterscheiden zwischen Verbrechen, die im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung stehen und der pauschalen Einordnung des gesamten Geschehens als Verbrechen. Natürlich ist es wichtig zu betonen, dass es zu Verbrechen kam und dass viele unschuldige Menschen Opfer von willkürlichen Vergeltungsakten wurden. Für diese Menschen spielt die historische Gesamtsituation in Bezug auf das ihnen angetane Unrecht natürlich keine Rolle. Es ist aber sinnvoll, zwischen einem politisch-historischen Blick auf Flucht und Vertreibung und einem moralischen Blick zu trennen. Dass diese für den Einzelnen schrecklichen Ereignisse einen legitimen Ort in der Erinnerung der Menschen haben, steht außer Frage. Davon zeugen in der Bundesrepublik nahezu flächendeckend in jedem Ort Mahnmale und Denkmäler. Meiner Auffassung nach sind diese die legitimen Orte der Erinnerung - und nicht ein politisch instrumentalisiertes Zentrum gegen Vertreibungen unter der Schirmherrschaft des BdV."
Ich wußte gar nicht, daß es diese Mahnmale gegen Vertreibung gibt. Im Grunde habe ich schon ziemlich viel von Deutschland gesehen, aber"flächendeckende Mahnmale zum Gedenken der Vertriebenen" sind mir nicht aufgefallen. Wohl einige Menschen und deren Familien. Die meiner Frau zum Beispiel, es gibt da einen erschütternden Bericht ihrer Großmutter, was sie alles auf ihrer Flucht aus Schlesien bis nach Württemberg erlebt hat (und ihre Familie leider auch dort noch erlebt hat, bis sie endlich eine neue Existenz bekam).
In meinem Chor hatte ich vor einiger Zeit einmal ein Gespräch mit auch einem Vertreibungsopfer der zweiten Generation. Diese Menschen kommen mir nicht anders vor als die Hinterbliebenen des H.... Sie tragen etwas sehr schweres mit sich herum, das im Grunde nicht zu vermitteln ist. Aber wie gesagt, andere Mahnmale als solche noch lebende Zeitzeugen (wenn sie denn überhaupt drüber sprechen), kenne ich nicht. Aber es gibt ja genug ungebaute Mahnmale
Nur: warum werden die einen gebaut, die anderen aber nicht? Ich fühle mich da gerade an ein Buch erinnert, über das ich kürzlich gestolpert bin und das sicher lesenswert ist Warum Hohmann geht und Friedman bleibt (muß ich mir noch besorgen, kennt das jemand?) Klar, so wie es aussieht, haben offenbar auch die Vertriebenenverbände immer noch einiges (Selbstkritisches) aufzuarbeiten, andererseits kann es doch nicht sein, daß die einen andauernd"aufarbeiten" sollen, während die anderen einfach nur"sind".
Speziell fällt mir an der Formulierung der Antwort auf, daß alle Argumente gg. ein Vertriebenenzentrum ebenso gegen bereits gebaute Mahnmale hätten gelten können. Insbesonder weil es da nun tatsächlich bereits flächendeckend Mahnmale gibt. Während ich nun wirklich keines zum Gedenken der Vertreibungsopfer nennen kann.
Und noch so ein immer wieder (still) angeführtes Argument: die Vertriebenen seien ja in Wahrheit Opfer anderer (eigener) Gruppen, die mit der Sch... angefangen haben (s.a. im Interview). Nur, wenn ich die russische Revolutionsgeschichte richte sehe (ich weiß leider noch viel zu wenig), dann war die andere Opfergruppe doch wohl auch Opfer ihrer eigenen Leute. Ist aber noch sehr apodiktisch, da ich zu wenig darüber weiß, nur Ahnungen.
Eigentlich ist dies ein grauenhaftes Aufrechnen, was eigentlich nichts bringt. Dennoch ist es bei mir so, daß der H... omnipräsent ist, während ich mir (wie mir erst langsam bewußt wurde und wird) genauso schlimme Verbrechen buchstäblich erarbeiten muß. In der Schule - damals - war jedenfalls von einem Verbrechen nie die Rede. Und je mehr ich davon höre, desto schlimmer wird's. Ich empfinde das als Diskrepanz.
Grüße,
MI

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