- Anfang der Warengesellschaft in Griechenland - Vorwort - Buchenberg, 26.11.2006, 16:52
- Re: Anfang der Warengesellschaft in Griechenland - Vorwort - Inge, 26.11.2006, 17:55
- Sehr Interessant. Freue mich schon auf mehr. (o.Text) - Kleinanleger, 26.11.2006, 20:36
Anfang der Warengesellschaft in Griechenland - Vorwort
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Die Beschreibung von Gesellschaft und Wirtschaft der frühen Griechen ist das Projekt, das ich mir als Nächstes vorgenommen habe. Das Thema scheint nur auf den ersten Blick weit hergeholt. Den heutigen Kapitalismus halte ich für die Wurzel aller (menschengemachten) Probleme und meine daher, dass es aktuell die wichtigste Aufgabe der Menschheit ist, unsere kapitalistische Warengesellschaft erst zu begreifen und dann zu beseitigen. Um die moderne Warengesellschaft zu begreifen, mag es hilfreich sein, die Entwicklung der Warenproduktion einer längst vergangenen Zeit, der griechischen Antike, zu studieren.
In unseren Schulbüchern ist von antiker Warenproduktion wenig zu lesen, weil es kaum Historiker gibt, die Ahnung von Ã-konomie haben, ebenso wie Ã-konomen selten sind, die Sinn für Geschichte haben. Als gelernter Historiker mit humanistischer Schulbildung und als selbstgewählter Schüler von Karl Marx, bin ich auf beiden Gebieten interessierter Laie und gleich weit von Fachidiotentum entfernt. Das schützt nicht vor Dummheiten und Fehlern.
Wie die einzelnen Kapitel fertig geschrieben sind, werde ich sie in loser Folge hier publizieren. Wer sich fachlich auskennt, soll bitte inhaltliche und methodische Kritik vorbringen. Wem das Thema neu ist, der soll sich äußern, wo er meinen Analyse- und Beweisgang überzeugend findet oder nicht.
<center>Vorwort: Das kurze griechische Wirtschaftswunder</center>
[/b]Wenn im Folgenden von den"frühen Griechen" die Rede ist, dann ist nicht der Mykenische Kulturkreis gemeint, sondern der Zeitraum zwischen 1000 und 600 v. Chr., eine Epoche, die oft als"archaische Zeit" bezeichnet wird. Die Griechen selber sahen ihre Ursprünge nicht in Mykene. So schrieb z.B. Thukydides an der Wende zum 4. Jh. v. Chr.: „Denn es ist klar ersichtlich, dass das jetzt Hellas genannte Gebiet nicht von alters her fest besiedelt war, sondern dass es häufig zu Ortsveränderungen kam und alle Stämme leicht ihre Wohnsitze verließen, wenn sie von den jeweils Mächtigeren bedrängt wurden." (Thukydides, 2.1.)
Vor dieser griechischen"Völkerwanderungszeit" hat es durchaus eine sesshafte Bevölkerung auf griechischem Boden gegeben, nämlich die Mykenische Kultur, die jedoch mehr Ähnlichkeiten mit orientalischen Hochkulturen aufwies als mit der griechischen Antike. Es ist unklar, in welch ethnischem und sozialem Zusammenhang die Träger der Mykenischen Kultur mit den späteren Griechen oder Hellenen standen, wenn auch sprachliche Kontinuitäten bestehen.
Der Niedergang von Mykene seit 1600 und sein Untergang um 1150 v. Chr. war ein historischer Bruch. Die alten Griechen selber empfanden die Reste der mykenischen Hochkultur als fremd und befremdlich. Die griechische Mythologie nannte die Erbauer der monumentalen Burgen von Tyrins und Mykene"Kyklopen" - einäugige Riesenwesen, deren sagenhafter Repräsentant Polyphem von Odysseus als idealisierte Verkörperung des frühen Hellenentums besiegt wurde.
Der tiefe wirtschaftliche und gesellschaftliche Einschnitt, der Mykene von der griechischen Antike trennt, ist archäologisch an der Siedlungsdichte im griechischen Raum abzulesen. Zwischen 1250 und 1050 sank die Zahl der nachgewiesenen Siedlungen von 320 auf 40 (nach W. D. Heilmeyer). Dieser Rückgang an bewohnten Siedlungen lässt sich mit dem allgemeinen Verfall der Städte nach dem Untergang des Römischen Reiches vergleichen.
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Es folgte im 5. Jh. die erfolgreiche griechische Defensive gegen die Perser und als letzte Blüte, das"klassische Jahrhundert" Griechenlands.
In der nun einbrechenden"Dämmerung" Griechenlands des 4. Jahrhunderts entstand die Philosophie von Platon und Aristoteles, von der Hegel meinte:"die Eule der Minerva" (d. h. die Philosophie)"beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug." Scheinbar verbreitete der Siegeszug Alexanders im 4. Jahrhundert griechische Sprache und griechischen Geist über die halbe damals bekannte Welt, aber dieser Makedonenkönig benutzte Griechenland und die Hellenen nur als militärisches Instrument für seine Welteroberung. In seinem mehr orientalisch als griechisch organisierten Reich hatten selbstverwaltete griechische Stadtgemeinden keinen Platz.
Im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. befand sich das griechische Mutterland wieder in einer geopolitischen Randzone wie zwei, drei Jahrhunderte zuvor.
Mit dem Schwert in der Hand machten sich die Römer im 2. Jahrhundert v. Chr. zu Erben der griechisch beeinflussten Welt. Nachdem mehrere römische Heere, etliche Statthalter und viele Steuereintreiber Griechenland gründlich geplündert hatten, machten sich die Römer über die Griechen als „Griechlein“ (graeculi) lustig und sahen in ihnen nur noch Lieferanten von Antiquitäten, Schulbüchern und Schullehrern.
Erst wieder in der italienischen Renaissance und mit großer Verspätung auch auf deutschem Boden in der Klassik wurden die alten Griechen und ihre Kultur wieder geschätzt. Das aufkommende deutsche Bürgertum suchte während der Geburtswehen der kapitalistischen Warenproduktion des 18. und 19. Jahrhunderts Vorbild und Ermutigung in der griechischen Geschichte.
Aber auch der große Kritiker der kapitalistischen Warengesellschaft, Karl Marx, bezeichnete die griechische Antike als „die geschichtliche Kindheit der Menschheit, wo sie am schönsten entfaltet“ ist. (K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ã-konomie: 31). Tatsächlich hatte sich vor den Griechen noch keine Gesellschaft so weitgehend auf Warenproduktion und Warenzirkulation gestützt.
Die Entwicklung der kriegslüsternen Helden Homers und der sich weitgehend selbstversorgenden Bauern Hesiods zu Warenproduzenten soll im Folgenden nachgezeichnet werden. Welche Auswirkungen das auf Religion, Philosophie und Wissenschaft hatte, soll anschließend dargestellt werden. Ob und wo da eine"Schönheit" zu Tage tritt, mag dann jeder selber beurteilen.
Text von Wal Buchenberg, Illustrationen von frosch, 26.11.2006

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