- Bürgerarbeit - Golden Boy, 24.12.2006, 18:15
- Re: B�rgerarbeit - imperator, 24.12.2006, 21:25
- Re: B�rgerarbeit - Golden Boy, 25.12.2006, 20:58
- Re: B�rgerarbeit - imperator, 24.12.2006, 21:25
Bürgerarbeit
-->Voll beschäftigt
Hartz IV abgeschafft, Arbeitslosenquote halbiert: Bad Schmiedeberg stellt seine Erwerbslosen nun selbst an - zu Dumpinglöhnen
Rainer Bomba, dunkler Anzug, rote Krawatte, schwere Armbanduhr, dicker Siegelring, sitzt im Ratssaal von Bad Schmiedeberg und erklärt, wie er die Arbeitslosenquote halbierte, ohne einen einzigen Investor in den Ort gelockt zu haben. Alles begann Anfang November. Da teilte die regionale Arbeitsagentur den 331 Erwerbslosen des Ortes mit, dass sie zum 1. Dezember einen Job bekämen.
Seitdem erledigen selbst schwer vermittelbare Hartz-IV-Empfänger Arbeiten, die sonst keiner machen will. Sie säubern städtische Grünanlagen, sie üben das Krippenspiel mit Kindern in der Kirche ein, sie lesen Altenheimbewohnern Geschichten vor, sie bringen den Fuhrpark der freiwilligen Feuerwehr in Schuss. Und sie bekommen dafür Geld - im Schnitt monatlich 825 Euro brutto.
Statt Wohnungszuschüsse, Eingliederungshilfen und Arbeitslosengeld II jeweils direkt an die Betroffenen auszuzahlen, fließt das Geld in eine kommunale Gesellschaft. Sie stellt die Erwerbslosen dafür an, „marktfern“, „wettbewerbsneutral“ und „sozialversicherungspflichtig“, sagt Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haselhoff. Seiner Idee hat er einen wohl klingenden Namen gegeben: Bürgerarbeit.
Bevor Haseloff Wirtschaftsminister wurde, leitete er zehn Jahre das Arbeitsamt Wittenberg. Er meint, dass die Krux darin bestehe, dass der Staat die Folgen von Arbeitslosigkeit lediglich lindere, anstatt selbst Arbeitsplätze zu schaffen.
Das klingt nach ABM-Maßnahme oder Ein-Euro-Job. Reiner Haseloff widerspricht. Er sagt, eine ABM-Maßnahme koste den Staat 30 Prozent mehr. Ihr Erfolg sei aber fragwürdig, wie eine Bilanz der Arbeitsmarktreformen gerade ergeben habe. In der Tat bekommen die Leute bei der Bürgerarbeit weniger als bei einer ABM-Stelle. Ausgeglichen wird das möglicherweise durch einen psychologischen Faktor: Im Gegensatz zu ABMlern und Ein-Euro-Jobbern zahlen Bürgerarbeiter ihre Sozialabgaben selbst.
Von der Bürgerarbeit profitierten trotzdem alle Beteiligten, verkündet Rainer Bomba im Rathaus. Bad Schmiedeberg, eine Stadt, in der die Pro-Kopf-Verschuldung mit 2600 Euro doppelt so hoch ist wie im bundesweiten Durchschnitt, bekomme saubere Straßen und Grünanlagen, glücklichere Altenheimbewohner und reparierte Löschfahrzeuge. Und die Bewohner hätten endlich wieder das Gefühl, gebraucht zu werden.
Vorerst jedenfalls. Der Laborversuch ist auf ein Jahr befristet. Er soll von einem unabhängigen Forschungsinstitut evaluiert werden. Die Wissenschaftler sollen herausfinden, wie wichtig Arbeit für das Wohlbefinden der Menschen ist. Und was das für die Demokratie bedeutet.
In Bad Schmiedeberg will der Minister beweisen, dass der Staat an seinen Arbeitslosen sparen und das zugleich als Wohltat deklarieren kann. Wenn die Rechnung aufgeht, soll das Modell Bad Schmiedeberg flächendeckend eingeführt werden. Sachsen-Anhalt will dann 2007 eine entsprechende Initiative im Bundesrat starten.
Im Landkreis Wittenberg kommen auf 300 offene Stellen 10 000 Bewerber. Darunter sind wohl auch jene acht Bad Schmiedeberger, die noch vor zwei Jahren als Angestellte der städtischen Gärtnerei öffentliche Grünanlagen in Schuss gehalten haben. Der Betrieb wurde geschlossen, die Arbeit erledigen jetzt Ein-Euro-Jobber.
Demnächst sollen die auch in das Programm „Bürgerarbeit“ aufgenommen werden. „Eine schöne Aussicht“, murrt eine 56 Jahre alte Ein-Euro-Jobberin, die vor dem Bahnhof die letzte Zigarettenkippe aufliest. Mit ihrem Job kommt sie auf 465 Euro im Monat, das Sozialamt zahlt zudem 300 Euro für die Miete. Macht unterm Strich 765 Euro. „Vom Bürgerlohn würden mir nur 600 Euro netto übrig bleiben“, rechnet die Frau vor. „Und davon müsste ich auch noch die Miete selber bezahlen.“
<ul> ~ http://www.tagesspiegel.de/dritte-seite/archiv/22.12.2006/2979622.asp</ul>

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