- Leveragen und (in)effiziente Märkte - Trithemius, 07.01.2007, 16:47
Leveragen und (in)effiziente Märkte
-->Schönen Sonntag!
Seit Geraumem macht in Finanzkreisen eine neue Analyse des Portfolio-Grandmasters Harry Markowitz (Nobelpreis 1990 zusammen mit Miller und Sharpe) die Runde („Market Efficiency: A Theoretical Distinction and So What?“). Im Kern geht’s um das:
1. Würden alle assets in cash bezahlt, würde sich deren (für den Anleger bzw. Verwalter) optimale Verteilung ausschließlich auf deren risk/reward-Verhältnis spitzen. Es käme zu einer üblichen Normalverteilung.
2. Können bestimmte assets gehebelt werden, bedeutet dies zunächst, dass deren Kurs/Preis steigt bzw. relativ höher wäre als sub 1.
3. Die Anleger (Vermögensverwalter, Fonds usw.) sub 2 wären gegenüber denen sub 1 im Vorteil. Wichtig: Die sub 1 lägen nicht nur gegen die sub 2 schlechter, sondern sogar unterhalb des Durchschnitts (benchmark) aller asset-Klassen (Portfolio-Mix).
4. Dieser Vorteil (alle > sub 1) hält solange an wie das Procedere sub 2 läuft. Wird es relativ geringer oder bricht es gar ab, sind massive Turbulenzen die Folge.
5. Während der Phase sub 4 werden Anleger sub 1 wohl oder übel gezwungen, sich nach sub 2 zu verhalten. Dies auch aus dem einfachen Grund, weil sie außer der Kurs- oder Preisentwicklung selbst noch aus einer weiteren Informationsquelle für ihre assets schöpfen können: der Entwicklung der Ratings der im Rahmen von sub 2 vorgenommenen Hebelungen.
6. Alle Anleger haben nun aber nicht die selben Möglichkeiten zum Leveragen ein und desselben assets in derselben Höhe und zu denselben Konditionen. Von einem „effizienten Markt“ (siehe den Titel des Markowitz-Papers) kann also schon von vorneherein keine Rede sein.
Zwischenfazit: Aus der Notwendigkeit zur Portfolio-Optimierung (Alternative: Markt-Ausscheiden wg. zu geringer returns, Attentismus o.ä.) ergibt sich der Zwang zum Leveragen. Das genau wird in fast allen asset-Klassen derzeit beobachtet. Allerdings: Belastbare Zahlen über Umfang und Struktur (z.B. Finanzierungs-Details) des Leveragen sind, so überhaupt, nur in Teilbereichen erhältlich, z.B. auf einigen Aktienmärkten oder bei Bekanntwerden einzelner Buy-Outs oder einiger anderer PE-Aktivitäten. Letztlich lässt sich überhaupt erst etwas aussagen, wenn die Leverage-Papiere vermarktet und ihrerseits geratet werden. Dabei sind seriöse Aussagen wiederum fast unmöglich, da den Papieren kaum noch anzusehen ist, was (asset) und vor allem wem KM-Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Wie geht’s weiter?
7. Geraten die assets oder die darauf gezogenen Papiere in Probleme (outside-Schock, plötzliche Kurs- und Preisveränderungen, usw.), schlägt sich das in einer Differenz (Spread) zum bisherigen Zustand nieder.
8. Dieser Spread ist eine neue Information. Diese zwingt die Anleger, sofern sie nicht die Dinge treiben lassen wollen, ihrerseits ihre asset und oder leverage-allocations zu überdenken und sich innerhalb des bisherigen Mix neu zu orientieren. Also entsprechend zu switchen. Dies hilft aber nicht dem betroffenen Sektor, sondern verschlechtert dessen Lage weiter. (Wenn es nur noch ein gehebeltes asset gäbe und nur einen, der das Risiko trägt, wird dessen Risiko nicht deshalb kleiner, weil sich die Zahl der Risikoträger minimiert hat - im Gegenteil).
9. Das Resultat ist nicht ein Hin- und Herschieben bzw. -wandern einer - siehe sub 1 - gleichen Normalverteilung auf der x-Achse. Es kommt vielmehr zu fat tail-Phänomenen, Klartext: Das Verlust-Risiko klumpt sich dort immer stärker, wo es ursprünglich am geringsten war bzw. als solches angesehen wurde.
Aus alle dem folgt:
- Da der alle assets umfassende Markt nicht effizient sein kann, sind seine Ergebnisse sowohl auf der asset-Seite (Preise, Kurse) als auch auf der Leverage-Seite (Zinssätze, Ratings, Spreads) von vorneherein falsch. Alle möglichen Schieflagen sind programmiert.
- Ändert sich diese Verfälschung (egal nach welcher Seite), kann sich das fat-tail-Risiko zwar für den einzelnen vermindern (z.B. indem er auf risk free umsteigt und dafür entsprechende reward-Minderungen in Kauf nimmt). Für alle muss es sich jedoch verstärken, weil das Aussteigen einzelner (siehe im Idealfall oben die Rückkehr sub 1) das leverage-Risiko relativ zum asset-Risiko erhöht.
- Das System wird so automatisch anfälliger, je länger es läuft. Denn je länger es läuft, umso stärker wird das Leveragen.
- Gleichzeitig sind jene Einzel-Märkte umso anfälliger für überraschende Schocks, je geringer deren Informationstiefe ist. (Der US Housing-Markt wird rauf und runter diskutiert und die Anleger in sub-prime-Mortgages können reagieren oder nicht, doch niemand kann im Nachhinein behaupten, er wäre „völlig überrascht“ worden. Bei anderen Märkten, z.B. Rohstoffe, emerging markets, dagegen liegen die leverage-Positionen weitgehend im Dunkeln).
- Der Auslöser (trigger) für die Anfälligkeit wird entsprechend immer kleiner. Schließlich genügt der sprichwörtliche Flügelschlag des Schmetterlings, um die von vorneherein systemimmanente (sub 6) tendenzielle Instabilität in eine ganz reale zu verwandeln. Spätestens zu erkennen, sobald sich die derzeit historisch einmalig niedrige Vola an den Märkten erhöht. Mutmaßlich sprunghaft.
Alles - wie immer - nur eine Frage der Zeit.
MfG - Trit

gesamter Thread: