- Nomen est omen: Wurm &"Siehdichum"./. wenn sich Geschichte wiederholt - Nachtigel, 27.01.2007, 23:51
Nomen est omen: Wurm &"Siehdichum"./. wenn sich Geschichte wiederholt
--><font size=6>Herr Wurm im Goldrausch</font>
Thomas Schade
Gaunerei. In den 70er Jahren schaffte ein Oberstleutnant der Stasi 20 Millionen Mark beiseite. Der schwerste Korruptionsfall der DDR blieb streng geheim.
So redet normalerweise keiner mit Günter Wurm. Immerhin ist der Oberstleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) 1980 so etwas wie die graue Eminenz im Finanzadel der DDR - unter den Verwaltern von Aluchips und Ostmark im Ministerium der Finanzen und in der Staatsbank. Selbst im MfS begegnet man dem gedienten Tschekisten mit höchstem Respekt. Denn in der Mangelwirtschaft ist Wurm einer, der auf wundersame Weise fast alles aus dem Westen beschaffen kann-der Einzige außer Alexander Schalck-Golodkowski.
Und nun das: Am 18.September 1980 wird der 45-jährige Stasi-Obrist gemaßregelt. In der Chefetage der Hauptabteilung XVIII in Berlin sitzt er vor General Alfred Kleine, seinem Vorgesetzten, und dem Parteisekretär. Er muss sich peinlichste Fragen gefallen lassen.
Seine Sauferei im Dienst kann er selbst mit Pillen kaum noch kaschieren. Dass er als Familienvater mit seiner engsten Mitarbeiterin Uschi seit Langem ungeniert fremdgeht, ist ein offenes Geheimnis. Und dass er als Leiter der Abteilung 4 kaum für seine Mitarbeiter da ist, sondern nur mit der Beziehungspflege zu hohen Partei- und Staatsfunktionären zu tun hat, ist seinen Neidern ein Dorn im Auge. Auch die Sache mit den Doppelflinten und dem Trommelrevolver weiß sein Chef schon. Jäger Wurm hat sich die Waffen von einem Einsatz in Angola „mitbringen lassen“. Illegal natürlich.
Eindringlich fordert der General seinen Abteilungsleiter zur „konsequenten Wende“ auf. Aber dafür ist es zu spät. Wurm spürt: Es ist nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf. Sein eigenes kleines Finanz-Imperium wankt. Seit Sommer muss er die „Industrievertretung“ auflösen: seine Scheinfirma, über die er unzählige Embargo-Geschäfte abgewickelt hat, die ihn groß gemacht hat und mächtig. Einigen in der Firma wohl zu mächtig. Die wollten ihn vernichten, so schreibt er später.
Kapitel 1: Gelegenheit macht Diebe
Mit der „Aktion Licht“ hat 1962 alles begonnen. Damals verkaufte Wurm im Ausland, was das MfS zuvor aus angeblich herrenlosen Tresoren und Schließfächern geholt hatte - Gold, Schmuck und andere Wertsachen. Da knüpfte er seine West-Kontakte, die ihm all die Jahre halfen. Um den Handel mit dem Klassenfeind professionell zu organisieren, gründete Günter Wurm 1966 die Scheinfirma „Industrievertretung“. Deren Existenz war der Stasi-Spitze immer bekannt. Über seine geheimen Geschäfte wusste kaum jemand Bescheid, kontrolliert hat ihn 16J ahre lang niemand.
Embargo-Händler Wurm erkannte schnell, wie seine Geschäftspartner im Westen zu Geld kamen. Schon bald verlangte er Provisionen von denen, die mit der DDR Geschäfte machen wollten. Davon soll er bis 1970 jährlich 600.000 D-Mark dem damaligen DDR-Finanzminister Siegfried Böhm in bar und ohne Quittung in die Hand gedrückt haben. Keiner ahnte: Das waren längst nicht alle Provisionen, die Wurm einnahm. Unbemerkt sammelten sich auf den Konten der „Industrievertretung“ beträchtliche Geldbeträge in harter Währung und in DDR-Mark an, und nur Günter Wurm hatte Konto-Zugang - unter dem Decknamen „Dr. Berger“.
Bald kassierte Wurm nicht nur bei Westfirmen Provisionen von fünf bis zehn Prozent des Geschäftsvolumens. Auch seine Auftraggeber aus DDR-Staatsbetrieben mussten zahlen. Rücklagen für riskante Auslandsgeschäfte seien das, sagte er, wenn einer fragte.
Betriebsleitern und Kombinatsdirektoren besorgte Wurm dafür modernste Schreibmaschinen, Kopierer und Computer, die auf der Embargoliste des Westens standen. Für die Staatliche Münze und die Leipziger Wertpapierdruckerei beschaffte er Geldtransporter und modernste Maschinen. Damit druckte und prägte die DDR das Geld für zahlreiche Entwicklungsländer. Die Mongolei, Burma, Angola, Vietnam und andere Staaten bezogen ihre Währung aus der DDR, so steht es in den Akten. Günter Wurm wickelte die lukrativen Staatsaufträge über die „Industrievertretung“ ab. Seine MfS-Abteilung lieferte die Währungen aus. Seine Scheinfirma kassierte. Lediglich der Finanzminister sah seit 1970 von den Provisionen nichts mehr.
Kapitel 2: Im Größenwahn
Stattdessen zog Wurm selbst fortan regelmäßig Geld von den Konten der „Industrievertretung“ ab und deponierte es im Panzerschrank seines Büros oder zu Hause. Als die DDR in den 70er Jahren Gold kaufte, um ihre Währungsreserve zu stabilisieren, erwarb auch Wurm mit den abgezweigten Geldern das Edelmetall. Und er wurde dreister.
1976 tauchten in der DDR Tausende 20-Mark-Scheine mit Hitlerkopf auf. Eiligst wurden sie von der Stasi eingesammelt. Rund 26000 Scheine landeten schließlich in Wurms Abteilung. Persönlich schaffte er die Scheine im Wert von 581960 Mark zur Staatsbank, um sie vernichten zu lassen. Im Austausch verlangte er frisches Geld. Gutgläubig und mit „vollem Vertrauen zum MfS“, wie es später heißt, gaben ihm die Staatsbanker eine halbe Million in bar. Auch die floss in seine „schwarzen Kassen“.
Irgendwann ist er wohl dem Geld- und Goldrausch verfallen und später auch dem Größenwahn. Denn Wurm konnte anderen in ungeahnter Weise auch persönliche Wünsche erfüllen. Wohl deshalb nannte er die schwarzen Kassen selbst seinen „Reptilienfonds“.
Spurensuche im Schlaubetal, dem östlichsten Naturpark Deutschlands bei Eisenhüttenstadt. Umgeben von Wäldern, kleinen Seen und Mooren liegt das Forsthaus Siehdichum, heute ein kleines Landhotel mit weißer Fassade. Der Zahn der Zeit nagt am einstigen Luxus.
Als Mehrzweckobjekt „Siehdichum“ geistert die idyllische Immobilie durch die MfS-Akten. Der überdurchschnittliche Luxus hatte Stasi-Chef Mielke im Sommer 1980 misstrauisch gemacht. Eine Revision zeigte, dass Wurm die feine Herberge für 800000 Mark hatte sanieren lassen, aber Belege konnte er dafür keine vorweisen. Das war wenige Tag, bevor Wurm von seinem General maßgenommen wurde. Deshalb entzog man ihm auch die Verfügungsgewalt über seinen größten „Schwarzbau“, der mit Möbeln aus dem Westen eingerichtet war, und wo der Schnaps und die Zigaretten aus dem Westen nie ausgingen.
„Hier stiegen Minister ab und Geschäftsfreunde, die Wurm zur Jagd mitbrachte, aber hier machten auch einfache MfS-Mitarbeiter Urlaub“, sagt Norbert Krause. Er bewirtschaftet heute das Forsthaus Siehdichum und muss es wissen. Früher gehörte er zu Wurms Untergebenen im MfS. Das ist bekannt im Schlaubetal. Krause redet nicht gern über die „alte Geschichte“, wie er sie nennt. Kein gutes Wort hat er heute für seinen Ex-Chef übrig. In der Zeitung möchte er das aber nicht lesen.
Dabei war es Krause, der Wurm wohl endgültig das Genick brach. Ungewollt. „Nur zufällig“ sei er Ende Januar 1981 in Wurms konspirativer Wohnung in die Berliner Niederbarnimstraße geschickt worden, um das Inventar zu registrieren. Als er in die Röhre des Kachelofens schaute, entdeckte Krause hinter einem Paket Zellstoff eine Stahlkassette. Sie enthielt 160000 D-Mark und 11,9 Kilo Gold. „Wurm hat die Kassette in der Hektik damals sicher vergessen“, sagt Krause heute. Denn Wurm und seine Freundin Uschi hatten schon Wochen vorher das Vermögen ihrer Scheinfirma „Industrievertretung“ offiziell abgegeben und erklärt, dass sie über keine Mittel mehr verfügten.
Kapitel 3: Alles fliegt auf
.
.
.
.
.
Auf 86 Kilo Gold im Wert von fast 20 Millionen DDR-Mark und mehrere Millionen D-Mark bezifferte das MfS schließlich in einem streng geheimen Bericht Wurms „Reptilienfonds“. Der Stasi-Obrist hatte zu Beginn der 80er Jahre ein Vermögen angehäuft, als im DDR-Staatshaushalt jede Mark zusammengekratzt wurde - erst recht jede Westmark. Ein öffentlicher Skandal ersten Ranges drohte, wenn der unglaubliche Fall von Korruption und Wirtschaftskriminalität bekannt würde. „Nicht mal in Wurms Abteilung wussten alle, was da eigentlich lief“, erinnert sich Norbert Krause. Vom ganzen Ausmaß der Sache habe nur die MfS-Spitze gewusst.
„Aus politisch-operativem Gründen und um dem Ansehen des MfS in der Ã-ffentlichkeit keinen Schaden zuzufügen“, wollte die Stasi den größten Wirtschaftskrimi der DDR-Geschichte still zu den Akten legen. Wurm wurde lediglich degradiert und als Offizier im besonderen Einsatz in die Provinz geschickt. Im Dresdner Möbelkombinat wunderten sich vielleich einige über den neuen Sicherheitsinspektor aus Berlin, der 1981 für ein paar Monate auftauchte und kaum Interesse für den Betrieb zeigte.
.
.
.
.
.
"Aktion Licht"
1961/62
öffnete die Stasi in einer Nacht- und Nebelaktion alle ungenutzten Tresore und Bankschließfächer der DDR.
Gesucht wurden
„vergessene“ Werte von vor 1945. Der Erlös: 4,1 Millionen D-Mark
<ul> ~ Nicht mal zwei Jahre später starb er an einem Herzleiden. </ul>

gesamter Thread: