- Die Sache mit der Verfassung - MI, 18.04.2007, 12:30
- OT: Das sollst Du doch auch gar nicht verstehen! (Ich natürlich auch nicht) - MausS, 18.04.2007, 12:45
- Re: Begriffe - Fremdwort, 18.04.2007, 14:04
- Wer hat das GG in seiner letzten Fassung abgenommen? - kosh, 18.04.2007, 17:03
- Re: BRD-*Verfassung* wurde den Besatzern zur Genehmigung vorgelegt - Tempranillo, 18.04.2007, 17:57
- Das Grundgesetz selbst verneint den Verfassungsstatus - kosh, 18.04.2007, 20:48
- Re: BRD-*Verfassung* wurde den Besatzern zur Genehmigung vorgelegt - Tempranillo, 18.04.2007, 17:57
- Wer hat das GG in seiner letzten Fassung abgenommen? - kosh, 18.04.2007, 17:03
- Re: Die Sache mit der Verfassung - Divinum, 19.04.2007, 00:21
- Re: Die Sache mit der Verfassung - Tassie Devil, 19.04.2007, 06:10
- Re: Danke @Divinum, @TD, @kosh, @Tempranillo u.a. für eure Antworten! (o.Text) - MI, 19.04.2007, 14:24
- Danke, inkl. Korrektur und Überlegungen zum Wert der Verfassung - kosh, 19.04.2007, 15:24
Re: Die Sache mit der Verfassung
-->>Hallo,
>ein Verständnisproblem meinerseits. Könnte hier mal jemand klare Worte dazu sagen, was da Sache ist: immer wieder lese ich von"Das ist verfassungsfeindlich" oder ich höre Entscheidungen des"Bundesverfassungsgerichts" oder höre von einer"Verfassungsklage", von"Verfassungsverstößen" usw. usf.
>Jedoch nach meinem Kenntnisstand hat die BRDeutschland keine Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz. Wo aber keine Verfassung ist, da kann auch nicht etwas gegen die Verfassung sein. Wie kann es ein"Bundesverfassungsgericht" ohne Verfassung geben? Sind das alles die berühmten Nebelkerzen ("Wir haben zwar keine Verfassung, sind also gar kein staatliches Gebilde. Aber wir tun so als ob wir eine hätten, damit es keiner merkt")? Oder wird Verfassung und Grundgesetz einfach synonym behandelt?
>Ich verstehe da wohl was nicht.
>Danke und Grüße,
>MI
Hallo MI,
Eines vorweg: Es ist auf jeden Fall richtig, dass das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland keine Verfassung ist.
Man kann auf deine Frage mehrere Antworten geben:
1. Gibt es viele Leute, die keine Ahnung haben - auch viele Politiker und Juristen, und deshalb das Grundgesetz mit einer Verfassung gleichsetzen.
2. Gibt es viele Leute, die Ahnung haben - vor allem diejenigen, die in den Landesregierungen bzw. der Bundesregierung sitzen, und so tun als ob das Grundgesetz einer Verfassung gleichkäme und letztlich Nebelkerzen werfen.
3. Gibt es auch solche, die wissen, dass das Grundgesetz keine Verfassung ist, sondern nur eine Art"Organisationsstatut", die aber dazu schweigen.
4. Ist es meiner Meinung nach nicht falsch zu sagen, dass die BRD"staatlich" ist oder das Grundgesetz"verfassungsmäßig". Von einem gewissen Standpunkt aus betrachtet handelt die BRD"staatlich" auch wenn sie kein Staat in vollwertigem Sinne ist. Das Grundgesetz ist auch"verfassungsmäßig" auch wenn es keine Verfassung ist. Genauso ist ein gefälschtes Gemälde von Albrecht Dürer ein"dürermäßiges" Gemälde, auch wenn es kein echtes Gemälde von Albrecht Dürer ist.
5. Dass das Grundgesetz keine Verfassung ist, heißt nicht, dass wir keine Verfassung haben. Prof. Dr. Carlo Schmid drückte sich im Parlamentarischen Rat dazu folgendermaßen aus:
"Um einen Staat im Vollsinne zu organisieren, muß die Volkssouveränität sich in ihrer ganzen Fülle auswirken können. Wo nur eine fragmentarische Ausübung möglich ist, kann auch nur ein Staatsfragment organisiert werden. Mehr können wir nicht zuwege bringen, es sei denn, daß wir den Besatzungsmächten gegenüber - was aber eine ernste politische Entscheidung voraussetzen würde - Rechte geltend machen, die sie uns heute noch nicht einräumen wollen. Das müßte dann ihnen gegenüber eben durchgekämpft werden. Solange das nicht geschehen ist, können wir, wenn Worte überhaupt einen Sinn haben sollen, keine Verfassung machen, auch keine vorläufige Verfassung, wenn vorläufig lediglich eine zeitliche Bestimmung sein soll. Sondern was wir machen können, ist ausschließlich das Grundgesetz für ein Staatsfragment. Die eigentliche Verfassung, die wir haben, ist auch heute noch das geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut. Die Art und Weise, wie die Besatzungsmächte die Besatzungshoheit ausüben, bestimmt darüber, wie die Hoheitsbefugnisse auf deutschem Boden verteilt sein sollen. Sie bestimmt auch darüber, was an den Grundrechten unserer Länderverfassungen effektiv und was nur Literatur ist. Diesem Besatzungsstatut gegenüber ist alles andere sekundär, solange man in Anerkennung seiner Wirklichkeit handelt. Nichts ist für diesen Zustand kennzeichnender als der Schlußsatz in Dokument Nr. III, worin ausdrücklich gesagt ist, daß nach dem Beschluß des Parlamentarischen Rates und vor der Ratifikation dieses Beschlusses in den Ländern die Besatzungsmächte das Besatzungsstatut verkünden werden, damit das deutsche Volk weiß, in welchem Rahmen seine Verfassung gilt. Wenn man einen solchen Zustand nicht will, dann muß man dagegen handeln wollen. Aber das wäre dann Sache des deutschen Volkes selbst und nicht Sache staatlicher Organe, die ihre Akte jeweils vorher genehmigen lassen müssen." (Quelle)
Ich wiederhole noch einmal den markierten Satz: "Die eigentliche Verfassung, die wir haben, ist auch heute noch das geschriebene oder ungeschriebene Besatzungsstatut." Damit ist klargestellt, dass Deutschland eine Verfassung hat, nämlich das Besatzungsstatut. Da es eine Verfassung gibt, kann man auch gegenüber dieser Verfassung"verfassungsfeindlich" sein bzw. gegen sie verstossen. Verfassungsmäßig ist, was"in Anerkennung der besatzungsstatutlichen Wirklichkeit handelt". Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich nicht nur mit dem Grundgesetz bzw. mit den Landesverfassungen, sondern auch mit besatzungsrechtlichen Fragen. Von daher ist der Name"Bundesverfassungsgericht" schon gerechtfertigt. Man muss einfach nur mal in die Suchmaske der Internetseite des Bundesverfassungsgerichts Begriffe wie"Besatzung" eingeben, da erhält man genug Treffer:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/suche.html
Des Weiteren kann man auch davon ausgehen, dass die Weimarer Verfassung noch bis heute fortbesteht. Zumindest besagt Artikel 140 Grundgesetz, dass diverse Artikel der Weimarer Reichsverfassung Bestandteil des Grundgesetzes sind. Es sprechen also auch in bezug auf die Weimarer Reichsverfassung Gründe dafür, dass Deutschland eine Verfassung hat, nämlich die Weimarer Reichsverfassung, nur ist diese größtenteils solange außer Kraft gesetzt, wie die Besatzungsmächte ihr die Rechtskraft absprechen oder bis gem. Art. 146 GG eine neue Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung (also idealerweise nach Abzug der Besatzungsmächte) beschlossen worden ist.
<hr>
Nochwas zu den anderen Beiträgen in diesem Thread:
@Temparillo zitiert Carlo Schmid: "Die erste Einschränkung ist, dass uns für das Grundgesetz bestimmte Inhalte auferlegt worden sind;"
Hierzu sei folgendes angemerkt: Die Westmächte haben den"Vätern des Grundgesetzes" nicht nur bestimmte Inhalte auferlegt, sondern genauso umgekehrt bestimmt, welche Inhalte nicht Teil des Grundgesetzes werden sollen. So heißt es bspw. in den Frankfurter Dokumenten (Dokument III):"Die Beobachtung, Beratung und Unterstützung der föderativen Regierung und der Länderregierungen bezüglich der Demokratisierung des politischen Lebens, der sozialen Beziehungen und der Erziehung werden eine besondere Verantwortlichkeit der Militärgouverneure sein." (Quelle)
Und weiter erklärten die Militärgouverneure am 22. November 1948 gegenüber dem Parlamentarischen Rat ausdrücklich:"...daß die Befugnisse der Bundesregierung auf diejenigen beschränkt sind, die in der Verfassung ausdrücklich aufgezählt sind und auf jeden Fall sich nicht erstrecken auf Erziehungswesen, kulturelle und kirchliche Angelegenheiten" usw. (Quelle)
Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum es in der BRD das komische Konstrukt des"Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien" gibt. Der heutige Bundesbeauftragte und sog."Staatsminister" Michael Naumann ist übrigens gleichzeitig Ehrenvorsitzender der RIAS Berlin Commission (RIAS = Rundfunk im amerikanischen Sektor) (siehe Annual Report of the RIAS Berlin Commission 2006 PDF)
@Kosh schreibt: "Wie das GG juristenzynisch festhält, wurde mit der Deutschland-"Fusion" auch der DDR westliches Besatzungsrecht verpasst."
Ja das ist richtig. Dass die"DDR westliches Besatzungsrecht verpasst bekommen hat" wird im"Abkommen" zwischen der BRD und den Drei Mächten vom 27./28. September 1990 auch ausdrücklich festgehalten. Dort steht unter Punkt 4a: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass sie sämtliche angemessenen Massnahmen ergreifen wird, um sicherzustellen, dass die weiterhin gültigen Bestimmungen des Überleitungsvertrags auf dem Gebiet der gegenwärtigen Deutschen Demokratischen Republik und in Berlin nicht umgangen werden."
Ich hatte dieses Abkommen hier schon einmal reingestellt, aber ein zweites Mal kann sicherlich nicht schaden:
MfG - Divinum

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