- Der niederländische Fernsehbluff um eine Organspende-Show - certina, 02.06.2007, 13:51
Der niederländische Fernsehbluff um eine Organspende-Show
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Niederländische Minister loben die Organspende-Show
Der Fernsehbluff um eine Organspende-Show sei auf Überraschung und viel Verständnis gestoßen. Zwar werde Art und Weise, wie der Sender BNN die Aufmerksamkeit auf den Mangel von Spenderorganen gelenkt habe, kritisiert. Doch das Lob überwiege.
Der niederländische Fernsehbluff um eine Organspende-Show sei auf Überraschung und viel Verständnis gestoßen. Der Gesundheitsminister des Landes, Ab Klink, kritisierte zwar die Art und Weise, wie der Sender BNN die Aufmerksamkeit auf den Mangel von Spenderorganen gelenkt habe. Gleichzeitig begrüßte der konservative Politiker, dass das Thema Organspende nun diskutiert werde.
Die von dem öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal BNN ausgestrahlte Show habe sich kurz vor Schluss als Inszenierung mit einer Schauspielerin als angeblich todkranker Nierenspenderin entpuppt.. Den Angaben zufolge sahen mehr als 1,2 Millionen Menschen die „Spender-Show“ am Freitagabend. Es sei die zweitbeste Einschaltquote aller Zeiten in den Niederlanden gewesen.
Die drei Kandidaten und Bewerber um das Organ sind tatsächlich nierenkrank und wussten, dass es nur ein Spiel war, sagte der Moderator Patrick Lodier. Mit der im Vorfeld heiß diskutierten Show sollte auf die Problematik fehlender Spenderorgane aufmerksam gemacht werden. In den Niederlanden warten 1400 Patienten auf eine Spenderniere. Während der Show hätten etwa 12.000 Menschen eine SMS an eine Sondernummer geschickt, um sich als Spender anzumelden, hieß es.
Der Minister für Erziehung, Kultur und Wissenschaft, Ronald Plasterk, haqbe die Sendung gelobt. Laut Medienberichten habe er sie „sehr intelligent“ genannt. Es sei „fantastische Arbeit“, das Thema Organspende auf die Tagesordnung zu setzen. Der Verbandder niederländischen Nierenpatienten erklärte: „Wir sind alle auf den Arm genommen worden. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass das Problem nun ein Gesicht hat.“ Finanzminister Wouter Bos sagte, er überlege, niederländischen Bürgern Pässe kostenlos oder günstiger ausstellen zu lassen, wenn sich jemand als Organspender registrieren lasse.
Der Pressesprecher der konservativen Regierungspartei CDA, Joop Atsma, habe die Sendung hingegen als geschmacklosen Werbegag kritisiert. „Ich glaube nicht, dass die Show zur Lösung des Problems beiträgt“, sagte der Politiker.
Dennoch hoffe er, dass die Sendung ihr Ziel erreiche, die Zahl der Organspender zu erhöhen. Auch im Internet debattierten Nutzer: Ein Leser der Zeitung „Algemeen Dagblad“ sprach von einem tollen Scherz des Senders BNN. Produzent der Show ist die Firma Endemol, die auch die Containersendung „Big Brother“ entwickelt hat.
Die drei tatsächlich kranken Kandidaten spielten bis zum Schluss überzeugend mit und gaben sich bei der „Enttarnung“ sehr erleichtert. Ihre in kurzen Filmen dargestellte Geschichten, in denen sie ihre Einschränkungen im Leben beschrieben, ihre Wünsche und Hoffnungen, seien echt gewesen, sagten alle drei zum Schluss. Auch engste Angehörige und Freunde kamen zu Wort
Kandidaten waren die 36-jährige Esther-Claire, der 19 Jahre alte Vincent und die 29-jährige Charlotte. Charlotte erklärte, sie hoffe, dass die Sendung der guten Sache diene. Ende April habe sie erfahren, dass die Spenderin keine wirklich nierenkranke Frau sei. „Aber ich bin dabei geblieben, weil ich hoffe, dass die Politik etwas damit anfangen wird und alles nicht bloß große Aufregung verursacht hat.“
Mit 1,2 Million Zuschauern spielte die „Big Donor Show“ die zweitbeste Quote der niederländischen Fernsehgeschichte ein. Der Direktor des Verbands der niederländischen Nierenpatienten, Chel Mertens, sagte: „Wir sind alle auf den Arm genommen worden. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass das Problem nun ein Gesicht hat.“
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In Deutschland sei die Bereitschaft zur Organspende weit geringer als in den meisten Nachbarstaaten. Laut einer Eurobarometer-Umfrage würden nur 46 Prozent der Deutschen nach ihrem Tod ein Organ spenden. In Schweden wären dazu 81 Prozent bereit, im EU-Durchschnitt 56 Prozent. Der Organentnahme bei einem toten Angehörigen würden ebenfalls unterdurchschnittlich nur 46 Prozent der Deutschen zustimmen, aber mehr als 70 Prozent der Schweden und Finnen.
Aus der Umfrage gehe hervor, dass die Spendebereitschaft höher sei, wenn man sich mit dem Thema bereits befasst habe. Weil somit Information als wichtiger Faktor erkennbar wird, liefere die Studie Stoff für einen in Deutschland entflammten Streit über die Gründe für den hiesigen Organ-Mangel: Gegenseitig würedn sich die an Transplantationen beteiligten Stellen vorwerfen, die Bürger nicht genug in das System einzubinden.
In der Kritik stünden vor allem die Krankenhäuser. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Organverteilung koordiniere, und die Bundesärztekammer beklagten, dass Kliniken die Patienten und Angehörigen nur unzureichend auf Organspenden hinweisen würden. Sie scheuten das Angehörigen-Gespräch über Organentnahmen bei Verstorbenen, gingen nicht auf potenzielle Spender zu und meldeten diese zu selten.
12.000 Menschen auf Wartelisten
In dieser Woche habe die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit einer Studie gekontert, wonach jedenfalls Kliniken mit größeren Intensivstationen das Spendesystem sehr wohl engagiert unterstützen würden. Schwierig jedoch werde es, wenn die DSO die Krankenhäuser nicht genügend unterstütze und die Politik nicht die Kostendeckung gewährleiste. Doch auch in der Politik werde gekontert: In Nordrhein-Westfalen wolle die CDU den Kliniken vorschreiben, nach dem Vorbild von Mecklenburg-Vorpommern Transplantationsbeauftragte zu benennen, die sich um Verbesserungen kümmern sollen.
Den Handlungsbedarf als solchen bestreite niemand. Denn Deutschland rangiere bei den Organspenden im unteren europäischen Drittel. Laut DSO sterben in Deutschland täglich drei Menschen, die vergeblich auf ein Organ warten. Auf den Wartelisten stünden rund 12.000 Menschen. Zuletzt aber sei die Zahl der Transplantationen gestiegen, von 3910 im Jahr 2005 auf den neuen Höchststand von 4032 im Jahr 2006.
Gleichwohl regen sich Forderungen nach einer Änderung des Transplantationsgesetzes. Bayerns Sozialministerin Christa Stewens (CSU) plädiere für das vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagene Stufenmodell, bei dem die Bevölkerung erst aufgeklärt werden soll und man sich dann für oder gegen eine Spende entscheiden soll. Das käme der Widerspruchsregelung nahe, bei der davon ausgegangen werde, dass jeder zur Spende bereit sei - sofern er nicht widerspreche. In Deutschland hingegen gelte eine Zustimmungsregelung, nach der man einer Spende ausdrücklich zustimmen müsse. Stewens: „Wir müssen bei Organspenden über grundlegende Änderungen nachdenken.“ Und EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou fordere einen einheitlichen EU-Spenderausweis sowie eine Harmonisierung nationaler Regeln.

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