- An Dottore und alle die es lesen wollen: Fragenkatalog 1.1 bis 1.8 - Aldibroker, 01.04.2001, 19:13
An Dottore und alle die es lesen wollen: Fragenkatalog 1.1 bis 1.8
1. Wirtschaft aktuell:
Einleitung
Dottore bat um Beantwortung diverser Fragen, um die Diskussion und Wissensvertiefung wieder anzuregen. Es besteht immer die Gefahr, wenn Gleichgesinnte zusammentreffen, daß auch immer gleiche Antworten heraus kommen. Gleiches gilt, wenn alle sich z.B. nur auf Jükü´s Forum stürzen und die „alten“ Antworten linear einsammeln. Ich will den Versuch wagen, die Diskussion wieder anzukurbeln, indem ich mich auf mein Wissen und Denken beschränke und nicht weitere Reflexionen suche. Bei 7 Seiten Fragen besteht nicht die Möglichkeit, jeder Frage die gleiche Aufmerksamkeit zu geben. Dennoch möchte ich nicht nur Glaubensbekenntnisse, sondern auch analytische Gedanken von mir geben. Es würde mir sehr gefallen, wenn kluge Köpfe hier Ihren Senf dazu geben könnten. Nun aber los:
1.1 Kommt es zu einer weltweiten Wirtschaftskrise?
Krisen hat es immer gegeben und wird es auch immer wieder geben. Je nach wirtschaftlichem Vermögen oder Unvermögen (Schulden/Verschulden) bzw. vernünftigen oder unvernünftigen Verhalten der Teilnehmer eines Wirtschaftskreislaufes wird sie sich früher oder später wieder zeigen. Selten trägt sie das Gewand eines Leichenhemdes, häufiger kommt sie im zyklischen Gewand eines kranken Patienten, der je nach rechtzeitiger oder erfolgreicher Therapie mehr oder weniger schnell wieder auf die Beine kommt. Einen Zwang zur Krise sehe ich nicht, da selbst bei hohen Schulden/Verschulden und Unvermögen Korrekturen möglich sind. Dies ist aber immer mit einer Durststrecke verbunden. In der Frage des richtigen Wirtschaftens und der Definition Krise scheiden sich die klugen Geister. Es wäre nicht unangemessen schon jetzt von der Krise an den Börsen zu sprechen, andere sehen nur eine gute Auflösung spekulativer Exzesse. Es lassen sich hieraus kausale Argumentationsketten für den wirtschaftlichen Niedergang der Realwirtschaft genauso plausibel ableiten, wie solche der schon einsetzenden Heilungskräfte. Optimismus und Pessimismus sind eigene massenpsychologische Kräfte im wirtschaftlichen Tun und Unterlassen bei Konsum, Investition, Sparen, Verschulden...
Wir haben es selbst in der Hand, ob wir uns etwas zu Schulden kommen lassen, das goldene Kalb verehren oder andere Glaubens- und Wissensfragen dogmatisch angehen. Wirtschaftliche Freiheit und Erfolg setzt freies und ungezwungenes Denken voraus. In diesem Sinne beeinflußt unser Denken unser Handeln. Die Geschichte wird auch uns beurteilen...
1.2 Was hat die japanische Wirtschaftskrise verursacht?
Wer hier einfache Weisheiten hat, weiß sicherlich Nichts. Wer alles auf einen Faktor reduziert, macht es sich zu einfach. Geht es den Japanern in Relation zu Afrikanern und Entwicklungsländern dieser Welt so schlecht, daß wir ohne Überlegung von Krise sprechen dürfen? War das japanische Modell nicht noch vor wenigen Jahren das erfolgreichste der Welt. Ist der Erfolg nur geschmälert oder gänzlich dahin? Kommen die Japaner in eine Krisensituation, die vergleichbar ist mit dem was in den ärmsten Ländern dieser Welt anzutreffen ist und/oder kommen die ärmsten Länder in eine Situation, die sich langsam bessert? Was ist Krise? Wer Essen hat, wer Wohnung hat, wer Kleidung hat und diese mit der täglichen Arbeit oder Rente bezahlen kann ohne sich zu verschulden ist in der Krise? Was ist unser Maßstab? Der höchste Exzess in der Spekulationsblase einer von der Realwirtschaft abgekoppelten Scheinwirtschaftswelt? Der Verlust von 1, 2, 3 oder 10 vielleicht sogar 20% der wirtschaftlichen Real-/Nominalgrößen in Produktion, Konsum....? Der Verlust von Vermögen und Erspartem? Wer alle Kultur und Menschlichkeit verloren hat, mag dies so sehen. Der Mensch hat Bedürfnisse, die ich als Urbedürfnisse bezeichne, hierzu zählen vor allem Gesundheit, Glück und Zufriedenheit. Haben die Reichen und Vermögenden diese Bedürfnisse schon/noch befriedigt? Jeder prüfe sich selbst, bevor er sich wünscht zu den 6 reichsten Menschen dieser Erde zu gehören. Was ist unser Vermögen, was unsere Schuld? Der Japaner hat stets deflatorisch gearbeitet. Er wollte immer der billigste am Weltmarkt sein und hat sich Jahrzehnte auf die billige Massenkopie amerikanischer und europäischer Produkte konzentriert. Nachdem wir diese Herausforderung z. B. nach der MIT-Studie beim Automobil angenommen haben, feiern wir in Deutschland immer neue Exportrekorde und drängen die Japaner im Weltmarkt zurück. Gleichzeitig exportieren wir aber immer mehr Arbeitsplätze des produzierenden Gewerbes in Billiglohnländer und senken die Armut im ehemaligen Ostblock. Die Zahl der Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe ist weltweit im steigen begriffen. Die Zahl der Arbeitsplätze in Japan, Europa und Amerika hat ein hohes oder das höchste Niveau der Nachkriegsgeschichte erreicht/behalten. Es bleibt also die Frage, ob wir den Wohlstand nicht nur neu und breiter auf der Welt verteilen? Darf es in Therapiephasen nicht auch mal temporär zum Abbau von 10% aller Arbeitsplätze kommen? Ist dieser Zustand in einem Land dieser Erde schon erreicht? Ist das schon Weltwirtschaftskrise, wenn insgesamt mehr Mensch denn je beschäftigt sind?
1.3 Was sind die Ursachen einer Deflation?
Ungleichgewichte im Güter- und Geldverkehr werden auch in der traditionellen VWL gern genannt. Wenn Geld knapp wird, wird es in Relation zu den Gütern wertvoller. Eine fest definierte Menge Geld reicht dann nicht nur zum Kauf eines sondern vieler Brote, Häuser, Goldbarren...
Der unangenehme Effekt der unkontrollierten Deflation ist, das Güter wie Sauerbier angeboten werden und immer mehr an Wert verlieren. Es ist aber zu bedenken, ob der Wert vorher nicht spekulativ überzeichnet war und nun wieder in normale Bahnen zurück gelenkt wird. In einigen Industriezweigen ist die deflatorische Tendenz fast Geschäfts- und Erfolgsprinzip. So werden seit vielen Jahren für 2000 DM immer leistungsstärkere Computer angeboten. Ist da die hedonische Rechenmethode nicht das richtige statistische Verfahren zur Meßung der Preisveränderung? Es ist also auch hier viel zu einfach, alles mit krisenhaften Symptomen zu beschreiben. Es ist aber immer auch möglich, daß nach spekulativen Exzessen kreditorische oder geld-/güterwirtschaftliche Disharmonien auf den Märkten liegen. Natürlich schlägt das Pendel ungebremst stärker zurück, wenn es die erste Bewegung heftiger war. Aber wurde die Bremse nicht schon erfunden?
1.4 Wie kann eine Deflation wieder beseitigt werden?
Wenn viele Wirtschaftswissenschaftler die unterschiedlichsten Antworten finden, kann hier nicht im Kurzstatement die reine Lehre definiert werden, aber sicher läßt sich formulieren, das wieder Gleichgewicht her muß. Dieses Gleichgewicht bezieht sich auf die Güter- und Geldkreisläufe genauso wie auf das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben. Schulden müssen wieder bedient werden können und Vermögen benötigen eine attraktive Realverzinsung. So nun kann sich auch der Geist der Goldbugs und Freiwirtschaftler entfalten, um gegen Zins und Zinseszins zu Felde ziehen. Gleichgewichte lassen sich finden, indem die Geldpresse angeworfen wird, ein noch bestehender Goldstandard oder andere Geldbeschränkungen aufgehoben werden, die Produktionsseite einbricht und Güterproduktion wirtschaftlich verknappt....
1.5 Womit hat der IWF bisherige Krisen gelöst?
Der IWF hat Geld und Ideen. Wer welches zur Lösung von Finanzkrisen haben will, muß sich konform verhalten. Es darf dann kräftig gestritten werden, ob IWF-Ideen diese oder jede Krise lösen, weil die Ursachen und Wirkungen nicht immer monokausal sind/verlaufen. Ob das Geld geliehen, gestundet, geschenkt oder gegen andere Rechte/Handlungen abgekauft wird, hängt vom Einzelfall ab. Flexibilität ist angesagt.
1.6 Kann der IWF die japanische Krise lösen?
Der IWF könnte immer einen guten Beitrag zur Behebung internationaler Krisen beitragen, wenn sich die beteiligten Länder/Personen wie zivilisierte (juristische/natürliche) Personen auf eine zutreffende Definition der Probleme, Hilfsmöglichkeiten und Angebote verständigen würden. Ob dies mit Geld oder Ideen geschieht, sei zunächst mal dahingestellt. Paul C. Martin und andere selbst ernannte Experten unseres Forums könnten sich mit Ihren Veröffentlichungen am IWF - Ideenpool beteiligen. Warum nicht mal ein (Geld)Beitrag oder eine Publikation dort abgeben? Es mangelt doch immer nur an wenig: etwas Geld und Phantasie! Also Vermögende in diesem Board, gebt das was Ihr habt, Grips und Geld!
1.7 Wie kann das Übergreifen einer Rezession in den USA auf Europa verhindert werden?
Bitte keine Protektionisten auf den Plan rufen, sondern an Gleichgewichten im offenen Welthandel arbeiten. Deutschland würde den Protektionismus wirtschaftlich nicht überstehen. Optimistisch die Zukunft gestalten, investieren, konsumieren, sparen, verschulden... aber immer so, daß das persönliche Gleichgewicht auch ein gesellschaftliches Gleichgewicht wird, daß die ganze Welt erfassen kann. Vernünftige wirtschaftliche Verhaltensweisen an den Tag legen, zur Arbeit gehen, etwas unternehmen, sich auch mal was leisten... auf keinen Fall ein wirtschaftspolitischer Hypochonder werden. Etwas Gelassenheit und Zuversicht, selbst nach dem Fall kann man immer wieder aufstehen, wenn man will! Wollt Ihr?
1.8 Worin besteht der Unterschied zwischen einer Bekämpfung einer Wirtschaftskrise mit Hilfe von zusätzlichen Staatsausgaben und der mit Hilfe von Zinssenkungen der Notenbank?
Hier nur ein kurzes Statement: In der Fristigkeit der Wirkung und in den langfristigen Folgen. Konform zum Forum definiere ich Staatsschulden als ein Relikt aus alten Zeiten, das wir bereit sind abzulegen. Sollte uns dies heute auch Mühe und Lasten bereiten, werden wir selbst als 40-jährige noch die Früchte unser Anstrengungen ernten können. Ein Nullschuldendogma in jeder Sekunde unseres Daseins würde ich aber nicht unbedingt daraus machen, da es sein kann, das wir kurzfristig eine großartige Möglichkeit sehen, bei gesicherten Einnahmen wichtige Dinge für die Menschheit und das Volk vorzuziehen, so daß wir den Preis der Tilgung unserer Schuld und der Zinslast mit frohem Herzen, offenen Auges und wirtschaftlich vertretbar eingehen.
Die Notenbank kann über führende Zinssätze das allgemeine Zins-, Kosten und Renditeniveau für Schuldner, Gläubiger, Produzenten und Konsumenten verändern. Allgemein wird eine wirtschaftliche Stimulanz bei Senkungen und eine Kontration bei Erhöhungen angenommen. Diese Effekte breiten sich aber nicht sofort, sondern mit timelag aus und benötigen auch immer ein passendes wirtschaftliches Umfeld, um Wunscheffekte auslösen zu können. Eine nicht zutreffende Diagnose der Lage, kann wirtschaftliche Verwerfungen noch verstärken. Die Akteure des Weltwirtschaftssystems haben aber ein gutes Gespür, so daß die Diagnose mit timelag immer richtig ausfällt. Ob nun Monetaristen die Keynesianer mit Ihren Gedanken ablösen, um dann von Debitisten oder anderen abgelöst zu werden ist nicht entscheidend, wichtig ist, daß wir ohne Arroganz und Rechthaberei gute Antworten und Therapien finden und den Dialog darüber behalten.
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