- gar nicht dumm: hedonistischer Preisdeflator.... - Baldur der Ketzer, 05.07.2000, 14:02
- Die Kehrseite: - ufi, 05.07.2000, 17:23
gar nicht dumm: hedonistischer Preisdeflator....
Bernd Niquet: Der hedonistische Preisdeflator
von Redaktion WO [W:O] 28.06.00 11:30:10 1183359
Bernd Niquet: Der hedonistische Preisdeflator
- Wunder gibt es immer wieder -
In den USA läuft gegenwärtig eine heftige Auseinandersetzung um ein sprachliches Monstrum, nämlich um den
„hedonistischen Preisdeflator“. Der sittsame Leser dieser Kolumne wird sich jetzt natürlich sofort fragen: Verbirgt sich hier etwa
irgendein Schweinkram dahinter?
Auch auf die Gefahr hin, lieber sittsamer Leser, dass Sie nun vielleicht nicht mehr weiter lesen werden, muss ich Ihnen leider
antworten: Doch, ein bisschen Schweinkram steckt schon dahinter, denn letztlich geht es hierbei um nichts anderes als um
die Defloration unserer Preisvorstellungen.
Doch der Reihe nach: Das „Bureau of Labor Statistics“, welches in den USA für die offiziellen Inflationszahlen verantwortlich ist,
versucht mit seiner „hedonistischen Komponente“ auch im Preisdeflator die heutige Spaßgesellschaft widerzuspiegeln. Und
zwar dadurch, dass nicht nur der einfache Preis von Gütern berücksichtigt wird, sondern zudem auch der Nutzen, den diese für
den Hedonisten, also sprich für den Nachfrager, bringen.
Soll heißen: Der Preis eines alten 286er Computer vor zehn Jahren wird in etwa so hoch gelegen haben wie derjenige eines
modernen Computer mit Pentium-Chip heute. Doch da der Nutzwert des heutigen Computers wesentlich höher ist als der des
286er, muss dies dadurch berücksichtigt werden, indem der Preis des heutigen Computers in der offiziellen Preisstatistik
dramatisch nach unten korrigiert wird.
So weit, so logisch. Die Konsequenzen hieraus sind jedoch bizarr. Denn nun befinden wir uns in der paradoxen Situation, dass
einerseits in diesem Segment die Preise zwar offiziell fallen, die Kaufkraft dadurch andererseits jedoch nicht zunimmt. Und da
wundert sich der Konsument denn doch schon etwas, oder?
Übertragen wir dies nun auch auf andere Bereiche, dann können wir durchaus sagen: Durch Integration hedonistischer
Komponenten in die Preisindikatoren wird die Inflation im Vergleich zur effektiven Kaufkraft bewusst und manipulativ niedrig
angesetzt.
Das Resultat ist allerdings überzeugend: Eine Boom-Ã-konomie ohne relevante Preissteigerungen. Vielleicht schaffen es die
USA damit sogar, dass Wundermodell der Japaner aus den späten 80er Jahren zu kopieren. Denn auch hier gab es einen
ungeheuren Boom bei vollkommener Preisstabilität.
Ein näherer Blick auf den Warenkorb, welcher der Berechnung der Preissteigerungsrate zu Grunde liegt, ergab jedoch, dass
dieser hauptsächlich aus dem staatlich festgesetzten Reispreis, aus Holzschuhen und aus Schwarz-Weiß-Fernsehern
bestand. Doch was nicht nachgefragt wird, kann natürlich auch nicht steigen im Preis.
Ã-konomische Wunder sind also stets mit etwas Vorsicht zu genießen. Vor allem dann, wenn sich im eigenen Geldbeutel
etwas ganz anders zeigt als das, was in der Zeitung steht. Es bleibt indes ein Trost. Doch den kennen nur die Schlagersänger:
"Wunder gibt es immer wieder..."
Bernd Niquet, Mittwoch, 28. Juni 2000
b.niquet@wallstreet-online.de
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