- ARTIKEL: (Feuilleton, Nicht ganz off-topic): - Der letzte Grund, 23.04.2001, 15:54
ARTIKEL: (Feuilleton, Nicht ganz off-topic):
Hoch pokern,
tief stapeln
Aktienzocker haben das Pokern in Verruf gebracht. Zu Unrecht: Poker ist kein Glücksspiel. Vor der Weltmeisterschaft am Wochenende in Las Vegas verrät ein Profi*, wie man immer in die Gewinnzone kommt
Foto: Sven Paustian für ZEIT Leben
Herr Zipf, sind Sie nervenstark, weil Sie ein guter Pokerspieler sind? Oder sind Sie einfach ein guter Pokerspieler, weil Sie gute Nerven haben?
Ich hatte nie allzu viel mit Nervosität zu kämpfen, und ich hatte schon immer eine Spielleidenschaft. Schon als Elfjähriger in der Schule habe ich in jeder Pause mit meinen Freunden gezockt. Man kann Nervenstärke aber auch trainieren.
Wie das?
Spielen, spielen, spielen. Wer etwas oft macht, macht es irgendwann gut. Wichtig ist, dass die Einstellung stimmt. Ich sehe einem jungen Spieler an, ob er später mal richtig gut wird. Siegertypen zeigen keine Angst. Sie gehen mit dem nüchternen Ziel an den Tisch: Ich werde meinem Gegner heute Abend Geld abnehmen. Auch wenn auf der anderen Seite der Deutsche Meister oder der Weltmeister sitzt, wie jetzt bei der WM in Las Vegas.
Was macht denn einen richtig guten Pokerspieler aus?
Die beiden wichtigsten Regeln heißen: »Stelle dich auf deine Gegner ein« und »Hab deinen Körper voll im Griff!«. Du musst lernen, Zeichen zu lesen. Es gibt Spieler, die kratzen sich unweigerlich am Kopf, wenn sie eine gute Karte bekommen. Kein Witz, das geschieht selbst an Tischen mit hohen Einsätzen. Oder sie verändern unbewusst die Körperhaltung. Ein guter Pokerspieler erkennt das. Er geht dann aber noch einen Schritt weiter: Er setzt umgekehrt Körpersprache ein, indem er bewusst Veränderungen im eigenen Gestus vornimmt, die der Gegner für unbewusst hält.
Bluffen Sie auch jenseits des Pokertisches?
Klar gibt es im alltäglichen Leben auch Situationen, in denen das sinnvoll sein kann. Der Bluff spielt mit der Fantasie des Gegenübers. Deswegen muss man immer im Vagen bleiben, sodass der andere sich alles Mögliche ausmalt. Allerdings darf man dabei nie lügen. Wer das tut, könnte später als Betrüger dastehen.
Ist Pokern für Sie harte Arbeit?
Mir macht Pokern Spaß. Aber Arbeit soll ja auch Spaß machen. Beim Poker wie im Leben gilt: Nur wer hart an sich arbeitet, hat auf lange Sicht Erfolg. Ein guter Pokerspieler studiert ständig sein eigenes Spiel und führt genau Buch über Gewinne und Verluste.
Wie sieht Ihre Gewinnbilanz aus?
Ich gewinne immer - aber nur auf lange Sicht. In meinem früheren Beruf als Bereitschaftspolizist in Bruchsal habe ich 2000 Mark netto verdient. Dreimal die Woche bin ich damals nach Baden-Baden ins Kasino gefahren. An drei von zehn Abenden habe ich verloren, an sieben Abenden aber gewonnen. Das hieß 3000 bis 5000 Mark zusätzlich im Monat, steuerfrei wohlgemerkt. Damals war das für mich viel Geld. Aber jeder Pokerspieler hat Phasen, in denen einfach keine guten Karten kommen. Für die Durststrecken muss man enorm viel Ausdauer mitbringen. Dann heißt es: Geduld haben und Verluste minimieren.
Wie geht das: Verluste minimieren, Gewinne maximieren?
Ein Pokerprofi verliert mit schlechten Karten viel weniger als ein Hobbyspieler. Er steigt früh aus, verliert den Grundeinsatz und wartet auf seine nächste Chance. Selbst wenn er 15-mal hintereinander die Karten wegschmeißt - was soll's? Er hat ja Zeit. Der Hobbyspieler hat keine Zeit. Wenn er im Kasino sitzt, will er auch spielen. Montag muss er ja wieder zur Arbeit. Meine Erfahrung ist: Geduld zahlt sich immer aus.
An der Börse sind inzwischen viele Kleinanleger mit ihrer Geduld am Ende. Was meinen Sie: Wurde da zu hoch gepokert?
Ich bin nicht nur Pokerprofi, sondern als Investmentberater selbst auch in der Finanzbranche tätig. Wer behauptet, letztes Jahr an der Börse keine Verluste gemacht zu haben, hat entweder nicht investiert oder lügt. Auch ich habe auf die Mütze bekommen. Trotzdem bin ich 100-prozentig überzeugt: Der Bulle hat mehr Ausdauer als der Bär. Der Dax wird auf 10 000 Punkte steigen. Ich weiß nicht, ob es fünf oder zehn Jahre dauert. Fest steht: Es ist alles nur eine Frage des langen Atems.
Börsenguru Kostolany lässt grüßen.
Kostolanys »Schlaftablette« für die Baisse täte auch am Pokertisch manchmal gut, also: einschlafen und erst wieder aufwachen, wenn die Pechsträhne vorbei ist. Man sollte auf jeden Fall Verlustphasen emotional ignorieren. Vielleicht könnte da auch Valium helfen. Im Ernst: Ich kenne hervorragende Profispieler, die tatsächlich oft so wirken, als ob sie auf Valium wären. Innerlich sind sie freilich hellwach.
Und wie komme ich jetzt ans dicke Geld?
Der erste Schritt: Ziele setzen. Ich gehe nie an einen Pokertisch, ohne mir ein Ziel gesteckt zu haben. Sagen wir 10 000 Dollar an einem Abend. Bin ich bei 8000 und gewinne dann in einem Spiel 5000, lege ich die 10 000 beiseite. Mit 3000 spiele ich weiter. Verliere ich die, steige ich aus. Vorher habe ich mir aber wieder zum Ziel gesetzt, aus den 3000 Mark 10 000 zu machen. Für den Investmentberater, der Aktienfonds vertreibt, gilt das Gleiche. Nur wer Ziele hat, wird sie auch erreichen. Diese Ziele müssen realistisch sein - aber sie dürfen auch nicht zu leicht erreichbar sein. Ein Ziel muss dich fordern. Jeder will Erfolg haben, aber nicht jeder ist bereit, etwas dafür zu tun. Mein Vater war Landwirt und hat mir mit auf den Weg gegeben: Erst kommt die Saat und dann die Ernte, nicht umgekehrt. Das heißt aber auch, dass man im richtigen Moment ernten muss, also seine Chancen erkennt und nutzt.
Wie geht das?
Rupfe die Weihnachtsgans. »Weihnachtsgänse« nennt man in Las Vegas reiche Hobbyspieler. Oft sind das japanische Geschäftsleute. Eine Weihnachtsgans genügt schon, um sieben Profis am Tisch zu nähren.
Das klingt sehr selbstbewusst.
Selbstbewusstsein ist wichtig. Und trotzdem muss ein guter Pokerspieler bescheiden bleiben. Ein echter Profi wird dir nie erzählen, wie viel er im Jahr verdient. Wer will schon gegen einen spielen, der zu erfolgreich ist. Prahlerei schreckt beim Poker potenzielle Opfer ab. Die Großmäuler sind meist diejenigen, die dich nachts um drei im Kasino um 50 Mark für das Taxi anpumpen. Die haben nicht kapiert, worum es geht.
Geht es Ihnen nur ums Geld?
Geld bedeutet Freiheit. Wo kein Geld ist, sind Probleme. Wer nicht weiß, wie er seine Miete bezahlen soll, hat den Kopf nicht frei für die schönen Dinge des Lebens.
Werden Sie Weltmeister?
Ich habe es vor.
Die Fragen stellte Thomas Ramge
(c) DIE ZEIT 17/2001
FUSSNOTEN
* Robert Zipf aus Osterburken bei Heilbronn gehört zu den besten deutschen Pokerspielern. Wenn er nicht pokert, arbeitet der ehemalige Polizist als selbstständiger Investmentberater und Motivationstrainer. Vom 21. bis 25. April spielt Zipf bei den Pokerweltmeisterschaften in Las Vegas.
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