- Die amerikanische Gefängnisindustrie - BossCube, 25.04.2001, 23:25
- kann man da Aktien von kaufen? - Bär, 26.04.2001, 15:49
- Ja, steht im Artikel. oT - BossCube, 26.04.2001, 16:26
- Re: kann man da Aktien von kaufen? - Ecki1, 26.04.2001, 16:28
- kann man da Aktien von kaufen? - Bär, 26.04.2001, 15:49
Die amerikanische Gefängnisindustrie
Wo die Strafen keinen Namen haben
Die Gefängnisindustrie in den Vereinigten Staaten ist zum neuen Wirtschaftsfaktor
geworden
Außer Gestrüpp gibt es wenig im Süden von Texas. Die meisten Einwohner des kleinen Städtchens
Beeville arbeiteten seit Mitte der fünfziger Jahre beim Luftstützpunkt der Marine. 2000 Jobs mit
insgesamt 27 Millionen Dollar an Gehaltszahlungen im Jahr schaffte der Kalte Krieg in Beeville, 30
Prozent der Wirtschaft hingen von der Marine ab. 1991 schloss der Stützpunkt. Heute stehen auf den
ehemaligen Militärarealen zwei Gefängnisse. 1500 Arbeitsplätze bringen 30 Millionen Dollar an
Gehältern. Beeville hat 13000 Einwohner - und 7200 Gefangene.
In den Vereinigten Staaten hat die Gefängnisindustrie die Funktionen des militärisch-industriellen
Komplexes übernommen. Wurden früher Militärstützpunkte als Wirtschaftshilfe in armen, ländlichen
Regionen gebaut, sind es heute Gefängnisse. Über 150 private Haftanstalten gibt es in den
Vereinigten Staaten, die Betreiber nutzen ihren Einfluss in der Politik für den eigenen Profit. Diese
These vertritt der Pulitzerpreis-Träger Joseph Hallinan in seinem jüngst erschienenen Buch „Going up
the river“. Den Begriff des prison-industrial complex prägte 1998 Eric Schlosser - Autor des eben
erschienen Buches „Fast Food Nation“ - in einem Beitrag für Atlantic Monthly. Auch er arbeitet zur
Zeit an einem Buch über die Gefängnisindustrie.
Die Parallelen zum Kalten Krieg sind nicht nur ökonomisch. Die Angst vor Kriminalität ist in den
neunziger Jahren zu einem massenpsychologischen Phänomen wie die Kommunistenfurcht in den
Sechzigern und Siebzigern geworden. In Beeville etwa, wo die Kriminalitätsrate von 1991 bis 1995 um
elf Prozent sank, hörte Hallinan immer wieder, das Verbrechen sei „eine klare, gegenwärtige
Bedrohung“ vor Ort, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war.
Dass die Kriminalitätsrate in den Vereinigten Staaten sinkt, ist mittlerweile Allgemeinwissen. Und
doch werden die Gefängnisse immer voller. Allein Kalifornien hat mehr Gefangene in seinen
Anstalten als Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, Singapur und die Niederlanden
zusammen. 1, 3 Millionen Amerikaner saßen im Jahr 2000 in Staats- oder Bundesgefängnissen. Und
jede Woche kommen 1000 hinzu. 476 von 100000 Amerikanern saßen 1999 im Gefängnis, 1939, zu
Zeiten Al Capones waren es nur 137.
Dieser Anstieg ist vor allem die Folge schärfer Gesetze, nicht steigender Kriminalität. 1983 wurde in
den Vereinigten Staaten das erste private Gefängnis von der Corrections Corporation of America
(CCA) gebaut. Ein Jahr später erließ der Kongress ein Gesetz, das vorzeitige Haftentlassung fast
gänzlich abschaffte und zugleich die Freiheit der Richter beim Festsetzen des Strafmaßes beschnitt.
Seitdem steigen die Gefangenenzahlen. 59 Prozent der Häftlinge sitzen heute wegen Drogendelikten.
Die durchschnittliche Strafdauer für den Verkauf von Crack beträgt elf Jahre - bei einem Mord sind
es sechs. Spätestens hier wirken Drogen wie ein zweiter Kommunismus: Eine nahezu unsichtbare
Kraft, die von außen in das Land strömt und es zersetzt. Die Antwort konnte nicht Rehabilitation und
Reintegration heißen. Der antiamerikanische Einfluss von Drogendealern musste abgetrennt, verbannt,
weggesperrt werden, während die Gemeinschaft im Kampf gegen die kranken Elemente enger
zusammenrückte.
Einer repräsentativen Meinungsumfrage aus dem Jahr 1995 zufolge glaubt nur ein Viertel der
US-Bürger, dass Gefängnisse der Rehabilitation dienen sollten. Gerade mal fünf Prozent des
kalifornischen Strafvollzugsbudgets werden für Wiedereingliederungmaßnahmen ausgegeben. 70
Prozent der Gefangenen in den Vereinigten Staaten sind Analphabeten, auf einen Drogentherapieplatz
in Gefängnissen kommen im Durchschnitt zehn Bewerber. Haftanstalten werden nicht zum Nutzen
der Inhaftierten gebaut - sondern jenem der ordentlichen, amerikanischen Bürger. Mit über 600000
Beschäftigten sind die staatlichen und privaten Gefängnisse nach General Motors und Wal-Mart der
drittgrößte Arbeitgeber der Vereinigten Staaten, wie Loic Waquant in „Elend hinter Gittern“
vorrechnet. Für wirtschaftlich schwache und unattraktive Regionen sind Gefängnisse die einzige und
beste Entwicklungshilfe.
Viele Menschen in Städten wie Beeville sind Gefängniswärter. Nicht nur, weil es überhaupt ein Job ist
- es ist auch ein sehr attraktiver, gutbezahlter mit zusätzlicher Krankenversicherung und einem
Rentenanspruch. Der Journalist Ted Conover, der ein Jahr lang im New Yorker
Hochsicherheitsgefängnis Sing Sing arbeitete, beschreibt in seinem Buch „Guarding Sing Sing“ seine
Mitanwärter bei der Ausbildung: Ein Filialmanager von Burger King, ein Klempner, ein
Gebäudereiniger, ein Vertriebsmanager von Wal-Mart, ein Inhaber eines Fitness-Studios.
Nicht nur die Einwohner von Städten wie Beeville und die Aktionäre von Unternehmen wie CCA -
die Anteile gewannen Anfang der Neunziger Jahre zeitweise um 1000 Prozent an Wert - profitieren
vom amerikanischen Gefängnisboom. Die Inhaftierten bescheren auch anderen privaten Unternehmen
ansehliche Gewinne. So verlegte etwa der Möbelhersteller Kwalu 1997 seine Produktion von
Kapstadt in ein Gefängnis in South Carolina. Die Arbeitsstunde eines Gefangenen kostet ingesamt
sieben Dollar. In Kapstadt beträgt der Lohn zwar nur ein Drittel davon, doch die Produktivität der
Gefangenen gleicht das mehr als aus. Sie müssen arbeiten, obwohl ihnen nach Abzügen von dem Geld
gerade mal 1,20 Dollar bleiben. Der Großteil der Jobs qualifiziert die Gefangenen in keiner Weise. Um
Hühnerställe sauber zu machen, muss ihnen nicht einmal das Lesen beigebracht werden.
Auch bekannte Firmen wie AT&T profitieren von Gefängnissen. Für Ferngespräche geben Häftlinge
im Jahr Schätzungen zufolge eine Milliarde Dollar aus. Nur können sie nicht den billigsten Anbieter
wählen. Die Gefängnisleitung entscheidet, mit welcher Firma telefoniert wird. Deshalb gibt AT&T bis
zu 50 Prozent der Gewinne an die Gefängnisse weiter, allein in New York kamen 1997 so 21,2
Millionen Dollar zusammen. MCI gibt dem Staat Kalifornien 32 Prozent der Gewinne ab, und den
Häftlingen bleibt nicht anderes übrig, als für jeden Anruf eine obligatorische Zusatzgebühr von drei
Dollar zu zahlen.
Die Abkehr von der Rehabilitation hin zu Strafe und Profit hat nicht etwa ruhigere, straff organisierte
Gefängnissen geschaffen. Die Gewaltbereitschaft der Gefangenen steigt, je weniger sinnvolle
Beschäftigung sie haben. Da die meisten Inhaftierten aus Großstädten stammen und zum Teil einige
hundert Meilen entfernt von ihrer Heimat in jenen Kleinstädten inhaftiert sind, wo Wärterjobs
gebraucht werden, können ihre Familien sie nur selten besuchen. Anders, als der in den Vereinigten
Staaten gebrauchte Begriff Supermax für Hochsicherheitsgefängnisse suggeriert, ist die entstehende
Gewalt selbst hier nicht zu kontrollieren. Morde an Gefangenen werden auch in
Hochsicherheitstrakten regelmäßig verübt. Der zweifache Mörder Richard Johnson etwa hat im
Gefängnis zwei weitere Menschen umgebracht und zwei schwer verletzt. Im Hochsicherheitstrakt des
Gefängnisses Youngstown gelang es ihm 1998 bei der Rückkehr vom Hofgang in wenigen Minuten,
sich seiner Handschellen und Fußfesseln zu entledigen, ein selbstgemachtes Messer aus seiner Zelle
zu holen und dann einen gefesselten Mitgefangenen auf dem Gang zu töten, bevor die Wächter etwas
bemerkten. Conover beschreibt in „Guarding Sing Sing“, warum Wärter so selten ihre gewalttätige
Kollegen melden: Sie sind ihre einzige Chance, einen immer drohenden Angriff eines Gefangenen zu
überleben.
Nicht die Wärter kontrollieren das Leben in Gefängnissen. Die Gangs tun es. Sie entscheiden, wer
seine Zelle räumen muss, wer wieviel zu essen bekommt und wer überlebt. Wie weit ihre Macht
reicht, zeigt die Liste von Gegenständen, die binnen eines Monats in der Zelle des lebenslänglich
inhaftierten Ganganführers Ernest Wilson beschlagnahmt wurden: Ein Mobiltelefon, ein Game Boy,
ein Pager, 230 Dollar Bargeld, 15,7 Gramm Kokain, 13 Flaschen Rasierwasser, eine tragbare
Waschmaschine, ein tragbarer Farbfernseher, ein Bügeleisen, ein Jagdmesser. In Illinois sind in
manchen Gefängnissen 97 Prozent der Gefangenen in Gangs organsiert. Die Gruppen rekrutieren hier
ihre Mitglieder, die sie nach der Freilassung dann bei Straftaten einsetzen.
Das einzige Mittel gegen Gangs und Gewalt ist in amerikanischen Gefängnissen die Isolationshaft für
besonders gewalttätige Gefangene in sogenannten special housing units. Wie eine Bundesrichterin
1999 in einem Urteil feststellte, sind diese „im Grunde genommen Brutkästen für Psychosen“.
Connover hat Gefangene erlebt, die den Tag über mit Fäkalien im Mund am Sehschlitz ihrer Zelle
warten, bis ein Wächter vorbeikommt, den sie anspeien können.
Es ist wenig bekannt, warum Alexis de Tocquevilles 1831 in die Vereinigten Staaten reiste. Bekannt
ist nur sein damals entstandenes Werk „Über die Demokratie in Amerika“. Tocqueville war im
Auftrag der französischen Regierung in Amerika, um das damals in Europa bewunderte Konzept der
Besserungsanstalt kennenzulernen. Käme er heute von dieser Reise zurück - sein Werk würde
anders heißen.
KONRAD LISCHKA
Aus der SZ von gestern.
J.
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