- Online-Broker: Absturz mit System - Der letzte Grund, 16.05.2001, 14:11
Online-Broker: Absturz mit System
Die Online-Broker stecken in einer tiefen Krise. Anleger halten sich beim Aktienkauf zurück, Umsätze brechen ein. Die Kosten für neue Kunden sind enorm. Nun stehen die ersten Anbieter vor der Pleite.
Vorstandschefs neigen gern zu Optimismus. Nicht so Karl Matthäus Schmidt. Der Chef des Nürnberger Online-Brokers Consors malt die Lage rabenschwarz:"Wir erleben derzeit die größte Finanzmarktkrise
seit dem Crash von 1929", sagte Schmidt am Dienstag bei der Vorlage seiner Quartalszahlen. Weil am Neuen Markt die Kurse purzeln, hat es dem smarten Chef die Bilanz verhagelt: In den ersten drei Monaten
dieses Jahres machte Consors 15,6 Mio. Euro Verlust.
Der Kurssturz an den Börsen hat die Rechenwerke der deutschen Online-Broker in Schutt und Asche gelegt. Dramatisch schrumpfende Umsätze, Ertragszahlen rot wie Höllenfeuer, auf St. Nimmerlein
verschobene Renditeziele sind die Regel in den Quartalsberichten, die die virtuellen Wertpapierhändler in diesen Tagen vorlegen. Die ersten Broker stehen kurz vor dem Bankrott.
Mörderischer Preiskampf
Der Crash der New Economy ist nicht ganz unschuldig an der Misere. Tatsächlich haben die Online-Händler jedoch auch strategische Fehler begangen: Um Kunden zu gewinnen, ließen sie sich auf
selbstmörderische Preisschlachten ein. Zugleich haben viele Broker auf ihrem Expansionszug durch Europa die Kosten aus dem Auge verloren. Und bis heute ist die Produktpalette der meisten Anbieter zu
schmal, als dass sie im Wettbewerb auf den Finanzmärkten nachhaltig bestehen könnten.
Die Lage ist bedrohlich. So meldet Consors für das erste Quartal 2001 Erträge von 56,4 Mio. Euro. Das waren annähernd 20 Prozent mehr als im ersten Vierteljahr 2000. Andererseits stiegen die Aufwendungen
um rund ein Drittel: von 60,7 auf 80,7 Mio. Euro. Unterm Strich bleibt ein Millionen-Verlust. Wenn das Ordervolumen nicht zulege, befürchtet Consors-Chef Schmidt, werde auch die gesamte Jahresbilanz eine
hässliche Beule haben.
Schmidt mag sich damit trösten, dass es der Konkurrenz nicht besser geht: Comdirect, größter Online-Broker Europas, erzielte im ersten Vierteljahr 2001 einen Verlust vor Steuern von 19,8 Mio. Euro. Im
Vorjahr hatte die Commerzbank-Tochter noch 10 Mio. Euro Gewinn abgeliefert. Die Advance Bank, ein Spross der Dresdner Bank, hat den Sprung in die schwarzen Zahlen erst gar nicht geschafft.
Die Neulinge trifft es noch härter. Der finnische Broker EQ Online etwa hatte im März 2000 den deutschen Markt geentert - einen Monat, bevor der große Krach am Neuen Markt losbrach und Millionen
Kleinanleger in Depressionen stürzte. Heute handeln in Deutschland gerade einmal 3000 Kunden über die Finnen.
Sein Ziel, bis Silvester Gewinn zu machen, hat EQ-Online-Chef Petri Rutanen erstmal vertagt:"Es wird mehr als zwei Jahre dauern, bis schwarze Zahlen in Sicht sind." Er habe noch 42 Mio. Euro in der Kasse,
um die Durststrecke durchzustehen.
Das ist bei Systracom anders. Der Berliner Broker, der erst seit September auf den Markt mitmischt, musste vor kurzem beim Amtsgericht Charlottenburg Insolvenz beantragen. Binnen eines halben Jahres
hatte er 70 Mio. DM Eigenkapital verbrannt.
Die aggressive Preispolitik von Systracom hat sich nicht ausgezahlt. Mit einer einheitlichen Gebühr von 9,95 Euro je Transaktion (im Branchenjargon"Flatfee" genannt) und kostenlosen Depots wollten die
Berliner schnell 100.000 Kunden gewinnen. Tatsächlich hatte der Broker nie mehr als 9000 aktive Trader.
Vom Billiganbieter in Panik versetzt, hatte die Konkurrenz im Herbst nachgezogen. Sie verzichtete auf Depotgebühren, führte Flatfee-Modelle ein. Am radikalsten reagierte Comdirect - der Erfolg blieb indes aus:
Im vierten Quartal 2000 konnte die Direktbank lediglich 12.000 neue Kunden gewinnen."Die Preisstrategie ist ausgereizt", sagt Robert Mutschler, Marktforscher bei Forrester Deutschland.
Schwierige Kundengewinnung
Nach dem Aktiencrash haben viele Kleinanleger das Interesse an der Börse verloren. Es wird immer aufwändiger, Kunden für das Onlinegeschäft zu fangen, wie eine Untersuchung der Kölner Privatbank Sal.
Oppenheim zeigt. Der Studie zufolge muss Consors heute rund 540 Euro ausgeben, um einen neuen Anleger buchen zu können."Kleinen Anbietern fehlt die Kraft für derart aufwändiges Marketing", sagt
Johannes Thormann, Analyst bei WestLB Panmure.
Zugleich sinken die Umsätze pro Konto. Die Kunden sind vorsichtiger geworden und kaufen weniger Aktien. Die Papiere, von denen sie sich heute trennen, sind oft nur noch einen Bruchteil dessen wert, was sie
beim Kauf einmal gekostet haben.
Die Broker stehen unter Zeitdruck. Bis zu 200 Mio. DM haben sie in die Abwicklungstechnik gesteckt. Die hohen Fixkosten müssen auf möglichst viele Konten umgelegt werden.
Fast alle Anbieter expandieren deshalb ins europäische Ausland. So hat die Direkt Anlage Bank den französischen Broker Self Trade übernommen. Maxblue, die Online-Tochter der Deutschen Bank, soll
schon bald eine Schwester in Spanien bekommen. Consors griff sich einige kleine Broker in Frankreich, Spanien und der Schweiz.
Teure Experimente. Denn der Markteintritt pro Land kostet nach Berechnungen von Metehan Sen, Analyst bei Sal. Oppenheim, mindestens 20 Mio. Euro. Der Erfolg ist ungewiss. Vergangenes Jahr hat
Comdirect insgesamt 41 Mio. Euro in ihr Auslandsengagement gesteckt."Die Erträge hieraus stehen jedoch in keiner Relation zu den Risiken", so eine Studie von Sal. Oppenheim.
Anleger wollen Service
Broker, die im Inland auf Kundenfang gehen wollen, müssen ihren Service ausbauen."Die reinen Trader sind versorgt", sagt Analyst Thormann."Wer weiter wachsen will, muss zusätzliche Produkte anbieten."
Die lukrativste Zielgruppe ist zwischen 40 und 60 Jahre alt. Diese Anleger interessieren sich nicht nur für Aktien, sondern auch für konservative Produkte wie Investmentfonds und Lebensversicherungen.
Diese Strategie kann durchaus profitabel sein. Die Allgemeine Deutsche Direktbank (Diba) hat nur 70.000 Kunden, die mit Aktien handeln. An denen verdient sie keinen Pfennig. Rund zehnmal so viele fragen
Leistungen vom Girokonto bis zum Konsumentenkredit nach. Mit diesem Mix erwirtschaftet die Diba seit Jahren ordentliche Erträge.
Um solche Kunden zu gewinnen, agieren einige Anbieter nun auch offline. Die US-Firma Charles Schwab gilt als Pionier der so genannten Multikanal-Strategie, bei der die Anleger per Internet, Telefon oder auch
in einer ganz konventionellen Filiale in Kontakt mit ihrem Broker treten können. Fast drei Viertel der Neukunden gewinnt Charles Schwab über seine Investment-Center.
In Deutschland ist die Direkt Anlage Bank mit zwölf Filialen, meist in Kaufhäusern, dem Schwab-Modell gefolgt. Die Advance Bank will ebenfalls ein bundesweites Netz von bis zu 25 Beratungszentren aufbauen;
die erste Filiale hat vergangene Woche in Berlin eröffnet. Geboten wird allerdings nicht mehr als eine Einführung ins Internetangebot und eine Erstberatung über Anlageformen.
Die kleinen Broker können selbst da nicht mithalten."Spezialisten wie EQ Online werden allenfalls in Nischen überleben", sagt Forrester-Experte Mutschler. Andere Broker könnten seiner Ansicht nach über kurz
oder lang bei ihren Mutterhäusern Unterschlupf suchen: Comdirect bei der Commerzbank, DAB bei der HypoVereinsbank, die Advance Bank bei der Dresdner. Oder sie werden von großen angelsächsischen
Firmen wie Charles Schwab geschluckt, die auf den europäischen Markt drängen.
So könnte auch Systracom einen zweiten Frühling erleben. Die Berliner hoffen, dass die Investmentbank Merrill Lynch ihr angeschlagenes Geschäft übernimmt.
Quelle: http://www.ftd.de/ub/fi/FTDK5ZYHBMC.html?nv=hptn
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