- Das Sparschwein droht zu platzen [@Haydn] - YIHI, 19.05.2001, 20:47
Das Sparschwein droht zu platzen [@Haydn]
Das Sparschwein droht zu platzen
Schuld an der japanischen Krise ist die Sparwut der Unternehmen.
Japan hat seine Wirtschaft jahrzehntelang kaputtgespart. Die Aktien- und Immobiliensparer sind dafür schon hart bestraft worden. Jetzt wären die Banksparer dran.
Autor: Werner Vontobel
Japan steckt zurzeit im zehnten Jahr seiner Wirtschaftskrise - und noch immer ist kein Aufschwung in Sicht. Dafür hat sich wieder einmal eine neue Diagnose durchgesetzt. Schuld an der Misere sind neuerdings die auf 13 Billionen Yen (rund 175 Mrd Fr.) geschätzten faulen Bankkredite. Der neue Premierminister Junichiro Koizumi will dieses Problem jetzt beherzt angehen, und das Wirtschaftsblatt «Nihon Keizai» hat vorgerechnet, was dabei passieren wird: Zunächst werden in einem mutigen Schritt alle faulen Kredite abgeschrieben. Durch die so ausgelösten Firmenkonkurse würden zunächst einmal gut eine Million Leute zusätzlich arbeitslos, die Einkommen der Haushalte gingen entsprechend zurück, ebenso das Bruttosozialprodukt. Doch die Banken würden mit Hilfe der Steuerzahler saniert und könnten mit neuen Krediten die Grundlage für neues Wachstum schaffen.
Koizumis Rosskur geht von der Annahme aus, dass Japans Wirtschaft unter dem Ballast einer Million «überflüssiger» Arbeitskräfte leide, die nur dank einem verfilzten Bankensystem noch einer nutzlosen Arbeit nachgingen. Nur durch eine brutale Konkurswelle, durch Entlassungen und Lohndruck könnten diese Leute endlich einer produktiven Arbeit zugeführt werden.
Doch diese These ist umstritten. Gemäss den Ã-konomen Richard Katz* und Albert Ando** leidet Japan nicht daran, dass die Unternehmen zu viele Leute beschäftigen, sondern dass sie jahrzehntelang viel zu hohe Gewinne gemacht und diese weder reinvestiert noch ausgeschüttet haben. Gemäss Ando beanspruchen die Bruttorenditen der japanischen Unternehmen mit 31 Prozent nicht nur einen wesentlich grösseren Anteil des Bruttoinlandprodukts als jene der US-Firmen (26 Prozent), sondern die Unternehmen schütten auch einen rund zehnmal geringeren Teil des Gewinns aus.
Katz kommt mit einer anderen Analyse zum selben Schluss. Er verglich im Zeitraum 1970 bis 1997 die leicht sinkenden Nettoersparnisse der Haushalte mit dem Nettokapitalbedarf (Investitionen abzüglich Cashflow) der Unternehmen, der ab etwa 1990 stark zurückging und Mitte der Neunzigerjahre sogar unter null sank. Der Grund? Siehe oben: Die Unternehmen machen zu viel Gewinn und behalten diesen zurück. Die Folgen dieses Spareifers waren voraussehbar: Die Unternehmen haben im Verhältnis zum schleppenden Konsum zu viele (und deshalb wertlose) Investitionen getätigt. Um die Ersparnisse zu «entsorgen», haben sich die Haushalte gegenseitig die Aktien und Immobilien abgekauft und die Preise hochgetrieben - bis Ende der Achtzigerjahre der Börsen- und Immobilienboom platzte.
Albert Ando hat ausgerechnet, dass Japans Haushalte seit 1970 durch die Aktien- und Immobilienbaisse und durch die Abwertung des Dollars (bzw. ihrer Auslandguthaben) umgerechnet rund 6000 Milliarden Franken verloren haben. Einzig das Banksparen wurde durch diese Werterosion nicht betroffen. Die Bank of Japan tat zwar, indem sie die Zinsen auf null senkte, alles, um auch diese Sparer zur Kasse zu bitten. Doch wegen der Deflation verdienen Japans Banksparer (darunter auch viele Grossunternehmen) dennoch einen Realzins von etwa 2 Prozent - umgekehrt müssen vor allem Japans Kleinunternehmer angesichts des Nullwachstums viel zu hohe Realzinsen bezahlen und ersticken unter der Last ihrer Schulden.
Die Lösung dieses Problems kann aber nicht darin bestehen, dass man - wie dies Premier Koizumi vorschwebt - die Schuldner jetzt alle Bankrott gehen lässt und ihre Produktionsanlagen einmottet. Vielmehr muss man ihnen die Schulden erlassen in der Hoffnung, dass sie ohne die alte Schuldenlast wieder profitabel produzieren und neue Kredite aufnehmen können. Vielmehr muss nach dem Verursacherprinzip die Zeche nicht von den Schuldnern bezahlt werden, sondern von den Gläubigern, die durch ihr übertriebenes Sparen die Krise ausgelöst und ihre Ersparnisse entwertet haben.
Siehe dazu auch: * Richard Katz, «The Rise and Fall of the Japanese Economic Miracle», M. E. Sharpe, 1998.
** Albert Ando, «On the Japanese Economy and Japanese National Account», NBER Working Paper, Dez. 2000.
Bildlegende: Wer zuviel spart, den bestraft die Volkswirtschaft: In Japan haben sich Ersparnisse im Wert von rund 6000 Milliarden Franken in Luft aufgelöst - durch (v. l.) den Börsen- und den Immobiliencrash und durch die Entwertung der Auslandguthaben bzw. durch den Anstieg des Yens. Einzig die Bankguthaben blieben (bisher) verschont.
Die wege aus der krise für Japans Wirtschaft
Budgetdefizit: Japan fährt seit 1996 Haushaltdefizite von 5 bis 7 Prozent des BIP ein. Die Staatsschulden liegen heute bei 120 Prozent des BIP.
CASH-Urteil: Bloss schmerzlindernd.
Inflation: Paul Krugman (Harvard) fordert die Bank of Japan auf, Inflation zu erzeugen, damit die Sparer mit negativen Realzinsen bestraft werden können.
CASH-Urteil: Teil der Lösung. Gewinne kappen: Katz und Ando fordern hohe Besteuerung nicht ausgeschütteter Gewinne, tiefere Abschreibungssätze, Verbot von Kreuzbeteiligungen, schärfere Kartellgesetze.
CASH-Urteil: Zentraler Teil der Lösung.
Modell Schweiz: Jeffrey Sachs (Harvard) und die «Financial Times» wollen Japan erlauben, sich (wie die Schweiz) mit riesigen Leistungsbilanzüberschüssen aus der Krise herauszuexportieren.
CASH-Urteil: Unrealistisch, schädlich für die Weltwirtschaft.
Restrukturieren 1: Überschuldete Firmen Pleite gehen lassen. Banken mit Staatsgeldern sanieren.
CASH-Urteil: Verschärft die Nachfragekrise. Restrukturieren 2: Den überlebensfähigen Unternehmen die Schulden erlassen, Banken mit Staatsgeldern sanieren.
CASH-Urteil: Teil der Lösung.
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