- Cherchez le Shareholder Value! - YIHI, 19.05.2001, 20:55
Cherchez le Shareholder Value!
Publikations-Datum: 20010518
Zeitungs-Nummer: 20
Seite: 41
standpunkt
Cherchez le Shareholder Value!
Autor: Edmond Phelps über die Ursachen kräftiger Boomphasen
Warum gibt es diese wirtschaftlichen Aufschwünge und Pleiten, diese langen Phasen zwischen Expansion und Verlangsamung der Wirtschaft? Traditionelle Erklärungen konzentrieren sich auf eine mangelhafte Geldpolitik. Meine Untersuchung geht allerdings davon aus, dass es sich bei diesem Auf und Ab für gewöhnlich um strukturelle Erscheinungen handelt, eine Folge starker Erwartungen hinsichtlich der künftigen Produktivität und Rentabilität.
Im Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen haben sich grosse Aufschwünge durch Hyperinflation und durch eine tiefe Deflation ausgezeichnet. Deshalb ist es kein Wunder, dass es für die österreichische, die keynesianische und die monetaristische Schule immer hiess: «cherchez la monnaie». Doch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben sich die langen Aufschwungphasen fortgesetzt, und das obwohl eher moderate Preis- und Inflationsmuster zu verzeichnen waren. In den Sechzigerjahren verschwand in einigen europäischen Ländern die Arbeitslosigkeit fast vollständig, und dennoch kam es zu keiner Zunahme der Inflation. In den Neunzigerjahren nahm die Beschäftigung in verschiedenen Ländern Europas stark zu - wiederum ohne nennenswerte Inflation.
Ich sehe in diesen kräftigen Boomphasen Investitionsaufschwünge mit strukturellen Ursachen und Auswirkungen. Unternehmer haben für die mittelfristige Zukunft neue Gelegenheiten für eine rentable Verwendung von Kapital vorhergesehen. Dementsprechend haben sie die Investitionen in Einrichtungen, in neue Kundenbindungen und auf dem Gebiet der Neueinstellungen erhöht. Die meisten Geschäftsinvestitionen haben keine monetären Ursachen und haben eine höhere Beschäftigungsrate zur Folge, und das ohne jegliche inflationäre Überhitzung.
Die deutsche Schule der Jahrhundertwende, die von Arthur Spiethoff und Gustav Cassel vertreten wurde, hat die Aufschwünge vor dem Ersten Weltkrieg auf dieselbe nicht monetäre Art und Weise betrachtet. Sie haben nicht geleugnet, dass es zu einem «Exzess» an Spekulationen kommen könnte, aber sie gingen davon aus, dass strukturelle Aufschwünge durch natürliche Ursachen wieder absterben würden; sie sahen keinerlei Notwendigkeit für eine übermässige Aufbautätigkeit, eine darauf folgende Reinigung mit anschliessender Katharsis, so wie es später die österreichische Schule darstellen sollte. In der Untersuchung, die ich vor kurzem zusammen mit Gylfi Zoega durchgeführt habe, gehen wir davon aus, dass sich solche Verschiebungen in der Erwartungshaltung schon im Voraus durch Verschiebungen auf den Aktienmärkten ankündigen. Zumindest seit dem Jahr 1900 gab es in den USA und in Grossbritannien ein ausgesprochen langfristiges Verhältnis zwischen Aktienpreisen und Beschäftigungsrate; etwas später war dies auch in Frankreich zu beobachten. Seit 1960 besteht derselbe Zusammenhang in allen OECD-Ländern ausser Schweden: je höher die Preise der Aktien, desto niedriger die Arbeitslosenquote.
Diese Beziehung ist umso stärker, je kapitalistischer ein Land organisiert ist wie beispielsweise die USA, Grossbritannien, die Niederlande, Kanada und Australien. Innerhalb dieser Länder ist es für neu gegründete Unternehmen relativ einfach gewesen, Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten zu finden und ohne grössere Hindernisse Zutritt für neue Industrien zu entwickeln und durch noch neuere wieder abzulösen.
Andere Länder wie Italien, Deutschland, Ã-sterreich oder Japan waren dagegen für eine lange Zeit eher körperschaftlich organisiert. Diese Länder verfügen über ein eher geschlossenes System grosser Korporationen und mächtiger Gewerkschaften, die durch eine interventionistische Regierung in Zusammenarbeit mit grossen Banken locker beaufsichtigt werden.
Mit welchen besonderen Einrichtungen der Arbeits- und Kapitalmärkte ist nun die Reaktion auf die Aktienpreise verknüpft? Es wurde behauptet, dass Schutzvorkehrungen für die Beschäftigung von Arbeitnehmern sowie zentrale Lohnverhandlungen die Unternehmer davor abschreckten, neue Firmen zu gründen. Unsere Untersuchungen belegen, dass die kapitalistischen Länder in dieser Beziehung tatsächlich besser abschneiden. Kapitalistische Ã-konomien werden zudem weit weniger durch das Auferlegen bürokratischer Restriktionen belastet, die die Kosten der Gründung und der Entwicklung einer Firma ins Unermessliche wachsen lassen. Darüber hinaus sind diese Ã-konomien mit einem gut entwickelten Aktienmarkt ausgestattet, da Aktienoptionen dazu beitragen, Unternehmer bei der Gründung neuer Geschäfte zu motivieren. Und schliesslich weisen die Länder, deren Beschäftigung stark auf die Aktienpreise reagiert, einen grossen Bevölkerungsanteil mit abgeschlossenem Universitätsstudium auf.
Wir haben in unserer Untersuchung den Fortschritt des Aktienmarkts eines jeden Landes an der Höhe der Aktienmarktkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt des Jahres 1988 gemessen, also ein Jahrzehnt vor dem Beginn des Investitionsbooms Ende der Neunzigerjahre. Dabei haben wir Folgendes herausgefunden: Je grösser der Grad der Kapitalisierung war, desto grösser war auch die Empfänglichkeit der Beschäftigungsrate für die Situation der Aktienpreise. Mit ausschliesslich diesen Zahlen und Informationen über die Kapitalisierungsrate hätte man vorhersagen können, welche der OECD-Ã-konomien in den späten Neunzigerjahren einen Aufschwung erleben würden.
Sollte sich meine These, dass die Ursache für grosse Aufschwünge in einer strukturellen Verschiebung der zu erwartenden künftigen Rentabilität zu suchen ist, als richtig erweisen, so muss man sich die Frage stellen, was dies für die Wahl eines Wirtschaftssystems und für die wirtschaftliche Stabilisierung bedeuten kann.
Zahlreiche westliche Nationen reagieren auf wahrgenommene Mängel mit dem Rückzug aus dem Kapitalismus, was sich in einer zunehmenden Einstellung von Beschäftigten im öffentlichen Sektor, in erhöhten öffentlichen Ausgaben und einer wachsenden Steuerung des privaten Sektors durch die öffentliche Hand äussert. Zu den Ländern, die in der Vergangenheit eine solche Politik verfolgt haben, gehören Norwegen, Ã-sterreich, Deutschland, Schweden und Frankreich. Es scheint plausibel - wenn auch nicht hundertprozentig sicher -, dass eine Wirtschaft, die von weit reichenden öffentlichen Ausgaben und einer hohen öffentlichen Beschäftigungsrate dominiert wird, zu einer grösseren Stabilität fähig ist. Aber Länder, die diese Politik auch noch in den Neunzigerjahren vertreten haben, konnten nicht von dem einmaligen Investitionsboom profitieren, der den etwas kapitalistischer gesinnten Staaten zugute kam.
Gegenwärtig kommt es in zahlreichen dieser Ã-konomien zu einer unterschwelligen kulturellen Verschiebung. Der Shareholder Value hat an Macht gewonnen; die Zugangsmöglichkeiten zu einem organisierten Aktienmarkt haben sich ausgeweitet. Damit steigt auch in diesen Ländern die Wahrscheinlichkeit langer Boomphasen.
Andererseits nimmt auch die Gefahr der Arbeitslosigkeit zu. Eine Möglichkeit wäre es, die Beschäftigungsrate mit Hilfe der staatlichen Ausgabenpolitik zu stabilisieren. Besser wäre jedoch, wenn die Regierungen spekulative Exzesse im Keime erstickten, etwa durch die Einrichtung von Systemen zur Überwachung der Märkte, durch Regeln zu Gunsten der Sicherheit für die Investoren, durch die Gewährleistung von Transparenz und durch die Förderung guter körperschaftlicher Regierungstätigkeit. Zwar bliebe immer noch ein Rest an Arbeitsmarktunsicherheit, doch dies wäre ein nur geringer Preis, den man für den Anreiz, die Aufregung und den Fortschritt zu entrichten hätte, die ein gut gestalteter Kapitalismus mit sich bringt.
--------------------------------------------------------------------------------
In Ländern mit einem starken Shareholder Value steigt die Wahrscheinlichkeit langer Boomphasen.
--------------------------------------------------------------------------------
Siehe dazu auch: · Edmond Phelps ist Professor für politische Ã-konomie an der Columbia University. © Project Syndicate, Mai 2001.
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: