- vwd Kommentar/Viel Lärm um (fragwürdige) Wachstumsvergleiche - NEWS-SERVICE, 22.05.2001, 14:44
vwd Kommentar/Viel Lärm um (fragwürdige) Wachstumsvergleiche
vwd Kommentar/Viel Lärm um (fragwürdige) Wachstumsvergleiche
Von vwd Finanzkorrespondent Hans Hutter
Frankfurt (vwd) - Wer heute starr auf Märkte und Medien blickt, hat den
Eindruck, das Ansehen Deutschlands in Europa und der Welt hängt davon ab, ob
das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2001 eine Eins oder eine Zwei
vor dem Komma haben wird, ob der IWF mit der Prognose 1,9 Prozent oder die
Wirtschaftsforschungsinstitute mit bisher 2,1 Prozent richtig liegen.
Erstens sind Prognosen nur Schätzungen mit Annahmen: Ob die Exportmärkte in
den USA boomen oder einbrechen, ob Ã-lexportstaaten über den Ã-lpreis deutsche
Kaufkraft absaugen oder nicht. Zweitens sind auch endgültigen BIP-Daten mit
Bedacht zu werten, zumal im internationalen Wettbewerbsvergleich.
Fragezeichen hat die Deutsche Bundesbank schon im August 2000 hinter den
unreflektierten Vergleich des US- und des deutschen Wirtschaftswachstums
gesetzt, und nun im Mai-Monatsbericht unterstrichen. Die Fragezeichen sind
klein und beseitigen nicht den Wachstumsrückstand Deutschlands zu den USA in
der zweiten Hälfte der 90er Jahre von durchschnittlich 2-3/4 Prozentpunkten,
auch wenn man nun jene 0,4 Prozentpunkte für unterschiedliche Messmethoden
im EDV-Bereich abzieht, die man nun zu sehen glaubt. Nachdem inzwischen
schon Frankreich ähnlich wie die USA misst, will es nun auch Deutschland
tun.
Aber die Zweifel melden sich, ob die amerikanische"hedonische
Preismessung bei EDV-Gütern" und das dortige Deflationierungskonzept die
Fortschritte der"New Economy" in den USA und den Rückstand in Deutschland
und Europa aufzeigen kann. Das ist die spannende Frage auch im Streit um das
Wachtumspotenzial in den USA und im Euroland, auch aus der Sicht von Fed-
und EZB-Geldpolitik."Hedonismus" war bei den alten Griechen die"Lehre vom
Streben nach Sinneslust", demnach will die"hedonische Preismessung" die
Qualitätsänderung - konkret auf dem EDV-Sektor, aber auch bei Automobilen
und Bekleidung (Mode?) - quantifizieren.
Es verwundert nicht, dass die Franzosen in der Statistik schon lange im
Lager der"Hedoniker" sind, also ähnlich wie die Amerikaner die Änderung von
EDV-Qualität messen, während die sachlichen Deutschen an alten Methoden
länger festhalten. Wenn aber das deutsche Wirtschaftswachstum - aktuell und
beklagt Schlusslicht im Euroland - aus diesem Grunde auch unterzeichnet ist
zum Frankreich-BIP (methodische Differenz aber wohl nur 0,1 Prozentpunkt),
dann wird daraus keine deutsch-amerikanische Frage, sondern eine für die EU
und das Euroland: Wo bleibt Eurostat?
Hedoniker im Euroland vereinigt Euch! Es ist ja möglich, dass nicht nur
der EDV-Sektor den BIP-Vergleich verzerrt, möglicherweise gibt es auch in
anderen Sektoren (Gesundheitswesen) Statistik-Löcher. Und das ist ja kein
akademisches Spiel, das mit dem alten Studentenspruch abgetan werden kann:
"Lüge, Notlüge, Statistik". Es geht um Verzerrungen von zentralen geld- und
wirtschaftspolitischen Benchmarks wie inflationsfreies Wachstumspotenzial
und die zu quantifizierende Preisstabilität. Hier muss Amerika nach dem
Wachstumsrausch der 90er Jahre jetzt in der Ernüchterung den Beweis bringen,
wie dauerhaft die Produktivitätssteigerung dank der New Economy ist und
wieviel nun dem nach unten schwankenden Zyklus zum Opfer fällt.
vwd/22.5.2001/hu/cv
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