- Neue Besen kehren nicht besser - YIHI, 26.05.2001, 14:39
Neue Besen kehren nicht besser
© Cash; 2001-05-25; Seite 45; Nummer 21
New Economy
Neue Besen kehren nicht besser
Die neuen Technologien verursachten keine generelle Beschleunigung des Produktivitätswachstums.
Hat die Informationstechnologie die Gesamtproduktivität der westlichen Industrien tatsächlich nachhaltig verbessert? Neueste Zahlen aus den USA stellen die «New Economy» grundsätzlich in Frage.
Reto Pieth, Werner Vontobel
Nach Angaben des US-Arbeitsministeriums ist im ersten Quartal 2001 die von den amerikanischen Beschäftigten pro Arbeitsstunde erbrachte Produktionsleistung um 0,1 Prozent gegenüber dem letzten Quartal gefallen. Zum ersten Mal seit dem ersten Vierteljahr 1995 fiel damit in den USA die Arbeitsproduktivität im ganzen nichtlandwirtschaftlichen Bereich der Wirtschaft.
Für die Propheten der «Neuen Ã-konomie» ist diese Statistik ein herber Rückschlag. Immer wieder hatten sie verkündet, dass mit der weit verbreiteten Einführung computergestützter Informationstechnologien ganz neue Verhältnisse in der Wirtschaft geschaffen worden seien. Diese erlaubten ständige Produktivitätsverbesserungen ohne inflationäre Entwicklungen. Dies bewirke ein gegenüber dem historischen Durchschnitt höheres Wirtschaftswachstum, das zudem nachhaltig sei. Das Resultat: Eine bisher nie da gewesene Erhöhung des Lebensstandards.
Der Zusammenbruch im IT-Bereich bestärkt die Zweifel
Die These vom Anbruch der Neuen Ã-konomie stützte sich auf zwei Zahlenreihen. Einerseits das hohe Wirtschaftswachstum und die geringe Preissteigerung in den USA im vergangenen Jahrzehnt und andererseits die Verdoppelung der jährlichen Arbeitsproduktivitätszunahme 1996 bis 2000 gegenüber den vorangegangenen zwei Jahrzehnten von 1,4 Prozent auf über 3 Prozent. Dieser Produktivitätsschub, so die «neuen» Ã-konomen, sei durch die Einführung der Informationstechnologie und Telekommunikation in allen Bereichen der Wirtschaft ausgelöst worden. Es handle sich um ein «neues Paradigma», um nachhaltige strukturelle Verbesserungen in der Wirtschaft.
Doch bereits die markante Konjunkturabschwächung in den USA und vor allem der Zusammenbruch im Informationstechnologiebereich haben starke Zweifel an der Richtigkeit der These von der Neuen Ã-konomie aufkommen lassen. Mit der Veröffentlichung der neuesten Zahlen vom Produktivitätsfall sehen sich jetzt jene Skeptiker vollends bestätigt, die geargwöhnt hatten, der Produktivitätsschub 1996 bis 2000 sei nicht auf grundlegende Strukturverbesserungen in der Wirtschaft zurückzuführen.
Robert Gordon, Wirtschaftsprofessor an der Northwestern University und Skeptiker gegenüber der Neuen Ã-konomie, vertritt die Meinung, dass der von 1996 bis 2000 gemessene Produktivitätsfortschritt fast ausschliesslich im Hochtechnologiesektor selber stattgefunden habe. Der angeblich «paradigmatische Produktivitätssprung» beschränke sich in der Hauptsache auf die Produktion von Computern und angeschlossener Geräte, wirke sich jedoch auf die übrigen Sektoren der Wirtschaft nur geringfügig aus - obwohl diese sich mit Informationstechnologie ausrüsteten.
Dieser Ansicht ist auch Greg Jensen, ein Analyst bei Bridgewater Associates. Auffallend sei immer das Fehlen ähnlich eindrücklicher Produktivitätszahlen in anderen Bereichen der Wirtschaft gewesen, was die Anhänger der Neuen Ã-konomie nicht zur Kenntnis nehmen wollten. «Wenn es sich um ein wirkliches Produktivitätswunder handelte, warum haben wir es dann nicht auch in anderen Branchen gesehen?», fragt er.
In der Tat zeigen die Statistiken des Bureau of Labour Statistics, dass sich zwar im Zeitraum 1996 bis 1999 die Stundenproduktivität bei den elektronischen Komponenten um rund 100 Prozent und im Bereich Computer und Bürogeräte gar um 460 Prozent erhöhte, dass aber in allen anderen Industrien auch nicht annähernd so eindrückliche Zahlen verzeichnet wurden. Beispiele: Im allgemeinen Maschinenbau (General Industrial Machinery) betrug der Produktivitätsfortschritt im gleichen Zeitraum nur gerade 5 Prozent und bei den Banken 10 Prozent, während bei der Produktion von Arzneimitteln gar ein leichter Rückgang der Produktivität festzustellen war.
Die enormen Wachstumsraten der Produktion pro Arbeitsstunde im Technologiesektor erklären sich weit gehend durch den entsprechend hohen Kapitaleinsatz, der ab 1995 jährlich um 17,5 Prozent zugenommen hat - mehr als doppelt so schnell wie in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre. Die Wachstumsraten der übrigen Ausrüstungsinvestitionen hingegen sind mit jährlich plus 4 Prozent nicht über den Durchschnitt der Nachkriegsjahre hinausgekommen. Die Zunahme der Investitionen im Hoch-, Tief- und Wohnungsbau lag sogar deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt.
Neustens verlangsame gar der Internetboom das Wachstum
Alles deutet also darauf hin, dass die Computer- und Informationstechnologie dem allgemeinen Wirtschaftswachstum keinen stärkeren Schub verliehen hat, als dies der kontinuierliche Strom des technologischen Fortschritts mindestens schon seit fünfzig Jahren getan hat. Dass konjunkturelle Aufschwünge das Wachstum der Produktivität leicht beschleunigt haben, war übrigens schon immer so und lässt sich einfach dadurch erklären, dass die Arbeit in diesen Phasen knapp und teuer wird, was die Unternehmen zwingt, sie möglichst produktiv einzusetzen. Dadurch wird die bereits verfügbare Technologie besser genutzt.
Doch noch bevor die New Economy endgültig tot ist, wird bereits eine neue Legende gestrickt: Danach wird der Internetboom das Wachstum verlangsamen. Robert Barbera etwa, Chefökonom bei Hoenig & Company, macht das zögerliche Eingreifen der Fed dafür verantwortlich, dass «viel zu viele Mittel für spekulative und letztlich unproduktive Investitionen im Dotcom-Bereich vergeudet worden» seien. Dort habe sich nun nicht nur ein ungeheurer Schuldenberg in Höhe von 650 Milliarden Dollar angehäuft. «Gute Unternehmen haben jetzt Schwierigkeiten, Mittel zu beschaffen, wegen all dem Geld, das die schlechten Firmen aufsaugten», sagt Greg Jensen. Dieser Rückgang der Kapitalinvestitionen kündige ein geringeres Wirtschaftswachstum an und eine Rückkehr zum historisch gültigen Produktivitätszuwachs von bescheidenen rund 1,5 Prozent im Jahr.
Die massive Produktivitätssteigerung der letzten fünf Jahre beschränkte sich stets auf die neuen Technologien - in der Old Economy blieben die Zuwachsraten auf normalem Niveau.
Spitzenwert
Ungleiche Finanzspritzen: Die unterschiedlich hohen Wachstumsraten der Produktivitätsleistungen zwischen der neuen und der alten Technologie erklären sich weit gehend durch die Unterschiede im Kapitaleinsatz.
Foto: Livio Piatti/Remote.CH, Stone
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