- Artikel: Sinnlosigkeit des Analysten-Berufsstands - yatri, 11.06.2001, 15:35
Artikel: Sinnlosigkeit des Analysten-Berufsstands
geschrieben von: Ronald Gehrt
Strong Sell fĂŒr Pinguine und Papageien
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Der us-amerikanische Börsensender CNBC ist in vielerlei Hinsicht ein unerreichtes Vorbild fĂŒr die hiesigen Wirtschafts- und NachrichtenkanĂ€le. Was vor allem gefĂ€llt, ist die Art und Weise, wie hier mit dem Thema Börse umgegangen wird. Sachliche Informationen mĂŒssen nĂ€mlich nicht immer mit diesem miesepetrigen Bierernst prĂ€sentiert werden wie bei uns. Und so kommt CNBC auf Ideen, die durchaus auch traurige Wahrheiten so verpacken, dass der geplagte Börsianer das Ganze mit einem LĂ€cheln ertrĂ€gt. Z.B. durch Pinguine.
Pinguine neigen zu kollektiven Aktionen. Und so wird bei CNBC immer dann ein Clip mit einer Horde von Pinguinen gezeigt, die von einer Eisscholle ins Wasser springen, wenn es um Herauf- oder Herabstufungen einzelner Aktien durch Analysten geht. Einer fĂ€ngt an, die anderen ziehen mit. Gruppenzwang, wie bei den Pinguinen. Die Aussagen hingegen wĂ€ren da besser mit Papageien vergleichbar, wobei weniger dem ersten Analysten nachgeplappert wird, sondern dem Unternehmen selbst. Und da taucht sie wieder auf, diese Frage, die viele von Ihnen sicherlich schon wĂ€hrend der Baisse am Neuen Markt beschĂ€ftigte: WofĂŒr bekommen diese Analysten eigentlich ihr stattliches Gehalt?
Es lĂ€uft doch wie folgt: Ein börsennotiertes Unternehmen prĂ€sentiert dieser Tage einen Lagebericht zum Verlauf des zweiten Quartals. Dabei wird eingerĂ€umt, dass die Gewinnprognosen aller Wahrscheinlichkeit nach unterschritten werden. Kaum einen Tag spĂ€ter kommen dann die Analysten der Banken und BrokerhĂ€user und stufen die Aktien herunter. Dabei ist alleine das abenteuerlich. Denn eigentlich sind ja eben diese Einstufungen fĂŒr die Ă-ffentlichkeit bestimmt. Aber um herauszubekommen, was diese"Helden der frĂŒhen Erkenntnis" wirklich meinen, brauchen Sie ein Wörterbuch. Eines von denen, die es noch nicht gibt, so wie z.B. Klingonisch - Kardassianisch. Was meint der eine, wenn er eine Einstufung wie"Short Term Underperform" abgibt? Was meint ein anderer, wenn er"Trading Buy" sagt? Ist das besser wie"Accumulate"? Oder doch eher mit"Market Performer" zu vergleichen? Und wie passt da zusammen, wenn ein anderer zugleich der Ansicht ist, dass diese Aktie en"Long Term Buy" ist?
Andererseits: Was wollen Sie auch mit diesen ganzen Einstufungen? Immerhin haben Sie als Anleger im Internetzeitalter keine MĂŒhe, die Basis dieses Brimboriums, will meinen den ausschlaggebenden Unternehmensbericht, einzusehen und sich daraus Ihre eigene Meinung zu bilden. Denn im Gegensatz zu den Analysen sind diese Berichte meist so verfasst, dass man sie versteht. Und da die Reaktion der MĂ€rkte auf derartige Berichte immer sofort kommt, kommen die Analysten mit ihren mehrseitigen"Analysen", die den Bericht etwas umschreiben und obenstehende kryptische Einstufung daruntersetzen, immer zu spĂ€t. Tja, da taucht natĂŒrlich unwillkĂŒrlich die Frage nach der Existenzberechtigung dieses Berufsstands auf. Auch bei den Analysten selber, scheint es.
Denn die sinnen jetzt - zumindest manche von ihnen - auf Abhilfe. Einige"Findige" rechtfertigen ihr Gehalt jetzt nÀmlich, indem sie Aktien VOR Bekanntgabe von Quartalszahlen herauf- oder herunterstufen. Da kennen diese Herren die Zahlen aber selbst noch nicht. Das bedeutet, dass hier der Blinde im Nebel stochert und das Ergebnis dessen als Analyse verkauft. Da muss der Spruch einfach her, denn es passt einfach: Super, Ingo! Da kommt dann also die Kaufempfehlung am Dienstag, die Zahlen am Mittwoch und der Kurseinbruch am Donnerstag. Sich auf DIESE WEISE aus der Rolle eines Pinguins zu befreien, kann uns verÀrgerte Anleger nicht milde stimmen, Messieurs! Man muss allerdings fairerweise einrÀumen:
Wenn ein Unternehmen eine Gewinnwarnung herausgibt, werden Analysten ebenso kalt erwischt wie die Anleger. Denn selbst, wenn ein Analyst eine Wanze im Vorstandszimmer eines Unternehmens angebracht hĂ€tte - auch das Unternehmen selbst muss erst einmal alle Daten und Fakten zusammentragen, bis ein klares Bild der Lage entsteht, das sich in Umsatz- und Gewinnzahlen ausdrĂŒcken lĂ€sst - und das ist bei gröĂeren Firmen nun einmal eine aufwendige Arbeit, die Zeit kostet. Danach kommen die Informationen sofort in die Newsticker. Damit haben die Analysten gegenĂŒber Ihnen als Anleger keinen Zeitvorteil. Und zu erwarten, dass ein Analyst eine solche Meldung im Vorfeld doch erahnen mĂŒsste, ist reichlich unfair. Denn dann kommen wir wieder zum"Ingo-Prinzip". Der Analyst mĂŒsste raten und daraufhin eine Einsstufung vornehmen. Kommen die Daten auf den Tisch und sagen das Gegenteil, ist's wieder nichts.
Womit wir wieder bei der Frage wĂ€ren: WofĂŒr brauchen wir als Anleger eigentlich diese Heerscharen von Analysten? FrĂŒher, vor einigen Jahren, war es fĂŒr unsereins schwer, an die Berichte der Unternehmen heranzukommen. Die hielten meist nur"Eingeweihte" in HĂ€nden und formulierten daraus eine EinschĂ€tzung. Aber das war frĂŒher. Heute, wo jeder via Internet an jedwede Information gelangen kann, mĂŒĂte dieser Berufsstand eigentlich zu den bedrohten Arten gehören. Das tun manche Pinguin- und Papageienarten ja auch. Aber immerhin:
Wir bezahlen Analysten ja nicht mit Steuergeldern. Nur mit den GebĂŒhren bei den Banken, die sich diese Experten leisten. Und da kann man ja zu den Direktbanken ausweichen. Meine Einstufung fĂŒr all die Pinguine und Papageien: Strong Sell!
Ăbrigens: Wenn Sie sich auch zwischen dieser zweiwöchentlichen Kolumne brandaktuell ĂŒber die Lage informieren möchten: Im NewTec-Investor finden Sie jede Woche hochinteressante Fakten, HintergrĂŒnde und Empfehlungen aus dem Bereich IPOs und Wachstumswerte. Klar, komprimiert und aktuell. www.boersenverlag.de/briefe/kol_rg.php3
freundliche grĂŒĂe von yatri
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