- JüKüs Meldungen am Morgen............... - R1, 13.07.2001, 11:36
- Meldung am Morgen von JÜKÜ - Teil2 - ManfredF, 13.07.2001, 11:58
Meldung am Morgen von JÜKÜ - Teil2
Geschrieben von JÜKÜ am 13. Juli 2001 11:26:02:
Betreff: Interview mit Bundesbank-Chefvolkswirt Hermann Remsperger
Von jüngsten pessimistischen Konjukturprognosen für Deutschland lässt sich
die Deutsche Bundesbank offenkundig nicht anstecken. Ihr Chefvolkswirt
Hermann Remsperger machte im Gespräch mit der Börsen-Zeitung deutlich, dass
er nach wie vor mit einer bis Jahresende einsetzenden Konjunkturerholung
rechne, weil die Kaufkraft der Verbraucher wieder langsam zunehmen dürfte.
Bundesfinanzminister Hans Eichel rät Remsperger gegebenenfalls ein leicht
höheres Defizit hinzunehmen, warnt aber vor Konjunkturprogrammen.
- Die europäische Konjunktur ist im Nachgang der amerikanischen
eingebrochen. Wurden die Abhängigkeiten, die trotz Euro und Wirtschaftsunion
weiter vorhanden sind, in letzter Zeit vielleicht sogar stärker geworden
sind, von den Volkswirten unterschätzt?
Wir haben im internen Prognoseprozess immer wieder davor gewarnt, den
Einfluss der amerikanischen Konjunktur auf die europäische zu unterschätzen.
Ich konnte vor diesem Hintergrund überhaupt nicht nachvollziehen, dass
manche Ã-konomen sogar von einer möglichen Abkopplung sprachen, also von
einer immer geringeren Abhängigkeit Europas von den USA. Dagegen spricht vor
allem die zunehmende Globalisierung, die sich auch in einem beträchtlichen
Strom europäischer Direktinvestitionen in die USA zeigt. Diese Investoren
sind nun unmittelbar von der Abschlaffung der Konjunktur in den Vereinigten
Staaten betroffen. Ãœberdies muss man auch die Drittmarkteffekte
berücksichtigen und darf nicht nur auf den Warenhandel blicken, sondern auch
auf die Dienstleistungen.
- Hat man nicht auch die Folgen der Teuerung im Nahrungsmittelsektor durch
die Tierseuchen BSE und MKS unterschätzt, insbesondere die Schwächung der
Binnennachfrage?
Hier muss ich einräumen, dass auch die Bundesbank die Stärke der
Preisschocks (Ã-lpreis, Tierkrankheiten) nicht erwartet hat. Und natürlich
haben diese Preiseffekte die von Ihnen skizzierten realwirtschaftlichen
Konsequenzen. Nun sind diese dämpfende Faktoren aber eher temporärer Art, so
dass im zweiten Halbjahr damit zu rechnen ist, dass die Kaufkraft der
Verbraucher wieder zunimmt. Dann dürften auch die entlastenden Wirkungen der
Steuerreform zum Tragen kommen, die bislang durch die genannten
Preiserhöhungen großenteils kompensiert wurden. Immerhin beträgt der
Entlastungseffekt der Steuerreform für die privaten Haushalte
schätzungsweise 11/4% ihres verfügbaren Einkommens. Allein die
Energienachzahlungen in diesem Jahr dürften jedoch ein Drittel dieses
Effekts aufgezehrt haben. Unsere Hoffnung auf eine Ãœberwindung des
Konjunkturrückschlags beruht nicht zuletzt auf einer Wiederbelebung des
amerikanischen Wachstums.
- Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die für das laufende Jahr mögliche
Wachstumsrate?
Ãœber viele Monate hatte die Bundesbank das deutsche Wachstum zwischen 1,5
und 2% angesiedelt; und zwar auch schon in einer Zeit, in der noch über die
2%-Schwelle hinausgehende Prognosen weit verbreitet gehandelt wurden. Wenn
ich aus der heutigen Perspektive noch eine Bewertung abgeben müsste, würde
ich dieses Prognoseband nun etwas tiefer hängen. Das aber bedeutet, und das
muss ich betonen, keine vollkommene Neueinschätzung der Konjunktur und deren
Perspektiven. Grund für diese Korrektur sind vor allem die enttäuschenden
Daten für das erste Halbjahr 2001. Nach wie vor halten wir an der
Einschätzung fest, dass sich die konjunkturelle Lage allmählich verbessern
wird.
- Und wo liegen die Risiken?
Sollte sich die Aufhellung des internationalen Umfelds verzögern und ziehen
die Ã-lpreise - möglicherweise wegen starker spekulativer Einflüsse - wieder
an, so würden wieder Abstriche am Bild der Konjunkturverbesserung notwendig.
Dies gilt auch, wenn es an den internationalen Finanzmärkten zu stärkeren
Spannungen käme.
- Was halten Sie von der Nutzung der"automatischen Stabilisatoren" in
dieser Phase der Konjunktur oder von zinsverbilligten Kreditprogrammen zur
Ankurbelung der Wirtschaft?
Die Nutzung der automatischen Stabilisatoren ist ein grundsätzlich
sinnvoller Ansatz, um unerwünschte konjunkturelle Ausschläge zu glätten.
Nach unseren Untersuchungen sollte man ihre Wirkung aber auch nicht
überschätzen. Berücksichtigen muss man auch, dass wir in Deutschland noch
deutlich von einem ausgeglichenen Budget entfernt sind. Die Finanzpolitik
wirkt in diesem Jahr expansiv. Der IWF geht davon aus, dass sich die
Defizitquote durch die Nutzung der Stabilisatoren auf 2% erhöhen wird. Wenn
man jetzt noch zusätzliche Konjunkturprogramme auflegen oder einen Teil der
Steuerreform vorziehen würde, wäre die Gefahr groß, dass diese Defizitquote,
die ohnehin über dem im Stabilitätsprogramm der Bundesregierung vereinbarten
Schwellenwert von 1,5 % liegt, noch darüber hinausgeht. Dies hätte dann
negative Konsequenzen für den Konsolidierungsprozess in den Ländern der
Europäischen Union.
Kurz: Man sollte die automatischen Stabilisatoren wirken lassen und das
dadurch entstehende etwas höhere Defizit hinnehmen, aber zugleich konsequent
an der Ausgabenkonsolidierung festhalten. Zusätzliche Maßnahmen könnten
hingegen letztlich prozyklisch wirken, also gerade dann ihre Effekte
entfalten, wenn die Konjunktur ohnehin wieder anzieht. Sie sind außerdem mit
der Gefahr von Mitnahmeeffekten sowie von Fehlallokationen auf den
Kreditmärkten verbunden. Schließlich sind die monetären Bedingungen in
Euroland derzeit günstig, so dass sie einer wachstumsgerechten
Investitionsfinanzierung nicht im Wege stehen.
- Die Prognosen wurden in letzter Zeit oft und markant geändert. Hat dies
neben konjunkturellen vielleicht auch strukturelle Gründe, die im Wesen der
Finanzmarktakteure liegen?
Was ich in der Tat beobachte, ist eine gewisse Verhaltensänderung bei
Prognostikern. Früher neigten sie dazu, ihre Prognosen möglichst selten und
eher sanft anzupassen. Inzwischen ändern sie ihre Prognosen häufig und -
wenn nötig - heftig. Das haben wir erlebt bei Banken, bei einigen
Forschungsinstituten und auch bei öffentlichen Institutionen. Grund dafür
könnte zum einen die Erfahrung sein, dass man früher eher zu vorsichtig
adjustierte und daraus nun seine Lehren gezogen hat, zum anderen könnte es
aber auch am stärkeren Wettbewerb unter den Prognostikern selbst liegen. Bei
alldem könnte die Bereitschaft zu einem veränderten Prognoseverhalten aber
auch durch die erhöhte Geschwindigkeit wirtschaftlicher Abläufe beflügelt
worden sein. Noch ist unklar, wie dieses Verhalten auf die Konjunktur
zurückwirkt. Wenn viele Prognoseanpassungen nacheinander aus
unterschiedlichen Quellen über einen langen Zeitraum erfolgen, könnte das
vielleicht sogar prozyklisch wirken. Damit will ich den Prognostikern um
Gottes Willen keinen Vorwurf machen. Ich weiß, wie schwer ihr Geschäft ist.
- Nun ist Deutschland wieder einmal das Wachstumsschlusslicht in Europa. Hat
dies strukturelle Gründe?
Der Rückstand bei den Strukturreformen in Deutschland im Vergleich zu den
angelsächsischen Ländern kann die schwache Entwicklung im Verhältnis zu den
anderen Ländern des Eurosystems nicht erklären, auch wenn es natürlich
genügend Gründe gibt, den Weg der Reformen nicht zu verlassen. Ich erinnere
hier daran, dass wir vor allem das Potenzialwachstum erhöhen müssen. Und das
ist durch Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchaus möglich.
Hauptgrund für den Wachstumsrückstand sind meines Erachtens nach wie vor die
Folgelasten der Wiedervereinigung, die Deutschland zu tragen hat. Dies zeigt
sich besonders in der Baubranche. Dieser Wirtschaftsbereich bewegt sich nach
dem auch durch massive fiskalische Anreize unterstützten Boom zu Beginn der
neunziger Jahre seit einigen Jahren im Rückwärtsgang, was nicht ohne
Rückwirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität bleiben konnte. Rein
rechnerisch haben die Bauinvestitionen das Wachstum in Deutschland im
vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte gedämpft. Für dieses Jahr gehen viele
sogar von einem noch stärkeren negativen Impuls aus. Wenn Sie dies in
Rechnung stellen, so vermindert sich der Abstand zu anderen Ländern, in
denen die Bauinvestitionen im Gegensatz zu Deutschland dem normalen
Bewegungsmuster folgen, doch erheblich.
- Die EZB hat mit ihrer zögerlichen Haltung im Hinblick auf Zinssenkungen
deutlich gemacht, dass von ihr keine nennenswerten geldpolitischen Impulse
für die Konjunktur zu erwarten sind. Bedeutet dies, dass bis zum Ende der
Sommerpause mit einer Fortsetzung der derzeitigen"Politik der ruhigen Hand"
zu rechnen ist?
Der EZB-Rat hat die Zinsen im Mai gesenkt und damit an den auf mittlere
Sicht etwas geringeren Inflationsdruck angepasst. Seither sah er keinen
weiteren Handlungsbedarf. Die Zinsen befinden sich aus heutiger Sicht auf
einem angemessenen Niveau. Die Finanzierungsbedingungen für Investitionen
sind günstig. Die Geldpolitik steht einer Konjunkturbelebung nicht im Wege.
Auf der anderen Seite ist die aktuelle Inflationsrate weiterhin zu hoch,
auch wenn sie sich zuletzt etwas abgeschwächt hat. Außerdem hat sich das
Geldmengenwachstum wieder verstärkt. Schließlich tendierte der Wechselkurs
des Euro bislang weiterhin zur Schwäche, wobei die Erholung in den letzten
Tagen sehr zu begrüßen ist. Die Lage an den Ã-lmärkten bleibt unsicher. In
dieser schwierigen Situation ist eine vorsichtige geldpolitische Haltung
angezeigt. Es dürfen keine Zweifel an der Stabilitätsorientierung des
EZB-Rats aufkommen. Sonst drohten Zweitrundeneffekte, insbesondere bei den
Löhnen. Der EZB-Rat wird wie bisher laufend alle neuen Informationen im
Hinblick darauf prüfen, ob sie eine Neueinschätzung der Lage erfordern.
- Gibt es einen Konsens im EZB-Rat, dass man im Zweifelsfall für die
Erreichung des Stabilitätsziels notfalls auch Wachstumsverluste in Kauf
nimmt?
Das Ziel der Preisstabilität dient zugleich dem Wirtschaftswachstum. Gerade
in diesen Monaten konnten wir doch wieder sehen, wie sehr die Teuerung über
den Kaufkraftschwund auf dem Wirtschaftswachstum lastet. Dass wir das Ausmaß
der jüngsten Teuerungswelle letztlich unterschätzt haben, muss uns lehren,
die kurzfristigen Preisentwicklungen noch genauer zu analysieren. Für die
längerfristige Analyse ziehen wir natürlich die Geldmengenentwicklung heran.
- Doch gerade hier kann man zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als es die
Preisentwicklung nahe legt. Trauen die Notenbanker etwa der Geldmenge nicht?
In der Tat muss man die Geldmenge sehr genau analysieren und interpretieren.
Gerade weil das aber so ist, muss man etwa auch sorgfältig überprüfen, warum
die Geldmenge in den letzten Monaten wieder gestiegen ist. Für mich ist der
primäre Faktor die Unsicherheit an den Finanzmärkten, die dazu beigetragen
hat, dass die Wirtschaftsakteure ihr Geld wieder verstärkt am kurzen Ende
der Märkte geparkt haben.
- Nun hat die Fed eine andere Aufgabenstellung als die EZB. Aber ist der
allgegenwärtige Optimismus in den USA hinsichtlich der Wirkung von
Zinssenkungen auf die Konjunktur womöglich auch Ergebnis einer Analyse, dass
die Geldpolitik - über die Kapitalmärkte - doch viel stärker auf die
Realwirtschaft wirken kann, als bislang angenommen wurde?
Mir scheint, dass die New Economy auch im Abschwung als eine Art Katalysator
wirkt. Die Wirtschaftsakteure reagieren sehr schnell, Gewinnwarnungen erhält
der Markt viel früher als bisher. Deshalb muss sehr rasch gehandelt werden.
Und wenn es Überkapazitäten gibt wie derzeit in den USA, ist man offenbar
geneigt, noch aggressiver heranzugehen.
- Sind New-Economy-Effekte auch in Deutschland spürbar?
Im Kern verbinden sich für mich mit dem Stichwort"New Economy" die Umbrüche
im amerikanischen IT-Sektor, die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre
zu einer signifikanten Beschleunigung des amerikanischen
Produktivitätszuwachses geführt haben. Mancher Beobachter mag gehofft haben,
dass es sich dabei um eine permanente Verbesserung des Wachstumstempos
handelt, während es nun doch eher nach einem Niveaueffekt aussieht, dem noch
Potenzial zugetraut werden kann. In jedem Fall aber haben sich
Produktivitätszuwächse ergeben, und insofern hat die New Economy eine reale
Verankerung.
Im Euroraum und insbesondere in Deutschland ist die Evidenz für die Elemente
einer New Economy über die letzten Jahre viel weniger ausgeprägt gewesen.
Insofern ist die Frage zu stellen, warum wir uns so schwer damit tun, eine
vergleichbare Entwicklung zu entfachen: schließlich sind die IT-Technologien
prinzipiell weltweit verfügbar. Sicherlich sind die vielfältigen
Unzulänglichkeiten an den Güter- und Faktormärkten einer raschen Verbreitung
der New Economy hierzulande nicht förderlich. Insbesondere halte ich es für
dringend geboten, dass wir unseren Arbeitsmarkt ebenso wie unsere
Ausbildungssysteme in der Konkurrenz um die besten Köpfe reformieren. Trotz
bestehender Defizite bleibe ich jedoch optimistisch. Wir wissen aus der
amerikanischen Erfahrung, dass die umfassende Einführung neuer Technologien
zunächst mit erheblichen Anpassungskosten verbunden ist. Die
gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsgewinne stellen sich erst ein, wenn
eine kritische Masse an IT-Investitionen überschritten ist. Und wir sollten
schließlich auch nicht übersehen, dass es zumindest in Teilbereichen der
Wirtschaftspolitik Reformen gegeben hat.
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