- Endzeitstimmung? - Ghandi, 20.07.2001, 12:11
- Re: Endzeitstimmung? - PuppetMaster, 20.07.2001, 12:29
- Re: Endzeitstimmung? - Cujo, 20.07.2001, 12:42
- Re: Endzeitstimmung? - Emerald, 20.07.2001, 18:17
- Hi Ghandi! Weißt Du in welchem Spiegel (Nr. der Ausgabe) dieser Text... - Sascha, 21.07.2001, 13:49
- Spiegel (online) vom 19.07.2001 (owt mit Link) - Uwe, 21.07.2001, 14:08
- Danke Uwe und viele Grüße -owT- - Sascha, 21.07.2001, 14:44
- Spiegel (online) vom 19.07.2001 (owt mit Link) - Uwe, 21.07.2001, 14:08
Endzeitstimmung?
Ein Text aus dem SPIEGEL - thematisch passend
zu Daniels Beitrag zur Kuh die vom Himmel fällt.
´Events´ müssen"bombastisch, megawahnsinnsgeil"
sein, dann sind sie gut?!
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R E I F E P R Ü F U N G
Von Oscar Steirer
5000 österreichische Abiturienten bevölkern zwei Wochen lang einen türkischen All-Inclusive-Club. Es ist die größte Abiturientenreise Europas. Mit viel Alkohol und schnellem Sex feiern sie ihre Reifeprüfung.
Istanbul - Der 18-Jährige wankt, als hätte ihm jemand mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Seine Augäpfel hocken regungslos in ihren Höhlen, sie sind blutrot. Der Schüler stolpert durch die Empfangshalle des Hotels, in einer Schlangenlinie torkelt er zum Ausschank.
"Chef, einen Wodka-Orange!"
Verschütteter Alkohol läuft in Pfützen auf den Marmorfliesen zusammen. Vor etwas mehr als einer Woche hat der Schüler, der jetzt ohne Socken und Schuhe an der Lobbybar der türkischen Ferienanlage lehnt, in einem Gymnasium südlich von Wien das Abitur bestanden.
"Chef, einen Wodka-Orange, aber pronto!"
Zwischen den grölenden Ã-sterreichern, die wirre Bestellungen im Dialekt über den Tresen lallen, sind Club-Angestellte emsig bei der Arbeit. Mit Gummi-Leisten, die an Besenstielen befestigt sind, wischen sie Alkohol, Wasser und Erbrochenes zur Seite. Seit acht Stunden.
Vor zwei Tagen erst hatte man einen Schüler im Amphitheater gefunden. Im Rausch war er ausgerutscht und hatte sich an einer der Stufen den Schädel aufgeschlagen. Die Ärzte im Krankenhaus hatten gemeint, er müsse wahrscheinlich an einem Auge erblinden. Der Unfall passierte an seinem Geburtstag.
"Chef, einen Wodka-Orange, jetzt aber wirklich dalli!"
Kurz darauf steht das Getränk am Tresen. Der Schüler greift sich den Becher, marschiert zu einem der"Wischer", baut sich breitbeinig vor ihm auf und langsam, ganz langsam, kippt er den Inhalt zu Boden. Während der dünne Strahl gelb zu Boden rieselt, schnauzt der zukünftige Akademiker:"Mach' sauber Mirko!" - und Mirko gehorcht.
20 Charter-Maschinen
Zwei Wochen lang bevölkern rund 5000 österreichische Abiturienten den All-Inclusive-Club"Magic Life Kiris". Mit mehr als 20 gecharterten Maschinen wurden sie in die Südtürkei geflogen. Die Ansprüche der heranwachsenden Elite: Saufen, Sex und Sonnenbaden. Magda und Sarah aus dem Körnergymnasium Linz lehnen entspannt am Beckenrand des Pools. Sie tragen Sonnenbrillen und jeans-blaue Cowboyhüte, in die seitlich"DocLX Summer Splash" eingestickt ist. Mit diesem Slogan wurde in Broschüren für das Gelage geworben. 1300 Mark haben sich die beiden die einwöchige Teilnahme an Europas größter Abiturientenreise kosten lassen.
1999 hatte der aus dem 900-Seelen-Nest Grafenschachen stammende Reiseveranstalter Dietmar Tunkel die Idee, einen All-Inclusive-Club ausschließlich für Schulabgänger zu mieten und dort 24 Stunden für Unterhaltung zu sorgen. Ohne Pensionisten oder Familienurlauber, die eine 60.000 Watt starke Soundanlage stören könnte.
Tunkel unterschrieb als damals 27-Jähriger einen Vertrag, der ihn verpflichtete, bei Misserfolg alle zukünftigen Einkommen pfänden zu lassen, bekam einen Kredit über 1,4 Millionen Mark - und landete das Geschäft seines Lebens. Die Erstauflage des"Summer Splash" war bis auf den letzten Platz ausgebucht. Tunkel expandierte für 2001. Er mietete eine All-Inclusive-Anlage an der türkischen Riviera, in der pro Woche knapp 2500 Gäste nächtigen können: den Magic Life Club Kiris.
10.000 Kondome und täglich 2500 Liter Bier
2500 Liter Bier, 700 Flaschen Wodka, dazu knapp 160 Flaschen Gin und Cognac schenken die 450 Bediensteten täglich aus. Die Wirtschaft hat den Wert der Zielgruppe erkannt und überhäuft die Veranstalter mit Sponsorengeldern: Acht Tonnen Werbematerial, darunter mehr als 4000 T-Shirts, 2000 Mützen und 100 Transparente, wurden auf der Ladefläche eines Lkw in die Südtürkei gekarrt. Das Gesundheitsministerium hat in Kooperation mit einem Kondomhersteller 10.000 Präservative nach Kiris geschickt.
Damit den Youngstern, die während der beiden Ferienwochen 45 Badeliegen und Hoteleigentum im Wert von 15.000 Mark zerstört haben werden, nicht langweilig wird, hat Tunkel den Wiener Alexander Knechtsberger engagiert. Der Jurist und Agenturchef inszeniert jährlich 150 Studentenfeste. Er ist der geschätzte Gastgeber der 18- bis 30-jährigen Clubfans.
"Ihr seid die Besten!
Das Frühstück wird am späten Vormittag serviert, später gibt's Chill out, Animation und Poolspiele, ab 20.30 Uhr wartet das Freiluftkino und ab zehn Uhr abends wird richtig gefeiert. Bis sechs Uhr früh."Ihr seid die Besten!", brüllt Knechtsberger jeden Abend von der Bühne. Die Masse brüllt zurück - und feiert sich selbst, bis der Magen oder die Beine oder beide aufgeben.
Studium oder Beruf interessieren hier niemanden. Jetzt ist erst mal"Fun" angesagt - das sagen auch Knechtsberger und Tunkel, die die Jugendlichen im Club zwischen Büffet, Indoordisco, Freiluftkino und Strand umherlotsen. Der Hotelchef und das halbe dutzend Lehrer verkommen zu Statisten. Bei Konflikten werden sie geduzt, bedroht - oder einfach ignoriert.
Autorität hat, wer es einer auf dem Laufsteg besorgt
Im Fun-Ferienclub wird Autorität anders verteilt: Autorität hat, wer trinken kann. Wer um zwei Uhr nachmittags im knietiefen Wasser des Kinderpools sitzt und durch einen Schnorchel drei Becher Bier kippt. Autorität hat, wer Mädels schnell rumkriegt. Wer sich um zehn Uhr vormittags dabei filmen lässt, wie er es einer Abiturientin auf dem Badesteg besorgt. Und Autorität hat auch, wer Stimmung macht. Wer wie Alex Knechtsberger den Augenblick, den"Fun" beschwört und, wie Daniel aus Wien klarstellt,"für diese absolut bombastische, megawahnsinnsgeile Superfete verantwortlich ist."
In Kiris zählt allein die schnelle Befriedigung. 40-mal verschreibt der Clubarzt die Pille danach."Den Mädels geht's nur um einen One Night Stand", erklärt ein 18-Jähriger.
Er grinst, dann dreht er sich zum Kellner:"Chef, zwei Wodka-Orange, aber ein bisschen plötzlich!"
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