- Weil Sonntag ist... Bibel, Kirche, Massenwahn - dottore, 23.07.2000, 11:48
- Re: Weil Sonntag ist... Bibel, Kirche, Massenwahn - Zet, 23.07.2000, 21:17
Weil Sonntag ist... Bibel, Kirche, Massenwahn
Liebe Freunde -
ich habe mich zwei Tage lang intensiv mit der Zeit um 800 n. Chr. beschäftigt und dabei speziell mit der Frage, was denn damals so gelesen wurde (im Zusammenhang mit Forschungen zum Thema"Gab es Karl den Großen?" - was von Heribert Illig u.a. heftig bestritten wird, von mir als Numismatiker ebenfalls).
Dabei bin ich auf eine jüngst veröffentliche Untersuchung zur Bibliotheksgeschichte des Klosters Fulda (damals dem größten diesseits der Alpen) gestoßen, die in einem Bibliotheksverzeichnis, entstanden um oder kurz nach 800 auch eine"Apokalypse des Hl. Paulus" aufführt, von der im biblischen Kanon nirgends die Rede ist.
Der Kanon, also, was wir heute die Bibel nennen mit AT und NT, wurde mit und nach dem Konzil von Ephesos 325 in seine endgültige bis heute gültige Form gegossen und dann vom Hl. Hieronymus übersetzt ("Vulgata"; er lebte 347-420). Zur Entstehung des NT übrigens exzellent und eines der besten Bücher, die ich je gelesen hab: Mack, Wer schrieb das Neue Testament? (auch soeben erschienen).
Nun gab es allerdings 1945 eine wissenschaftliche Sensation: im oberäpyptischen Nag Hammadi wurden alte"biblische" Texte gefunden, darunter auch die besagte"Apokalypse des Hl. Paulus", die allerdings weithin unbeachtet blieb, wenn nicht gar absichtlich unterdrückt wurde.
Inzwischen ist aber auch dieser Text veröffentlicht, in einer vorzüglichen Edition zusammen mit den"kanonischen" Texten und den sog."apokryphen" (also verborgenen, die nicht in die Bibel Eigang gefunden haben).
Soweit so gut. Und was hat das jetzt mit diesem Board zu tun (außer dass sich der Herr"dottore" wieder mal als Mega-Crack geoutet hat...;-):-))?
Da es lt. Fuldaer Verzeichnis um 800 (oder später, es geht hier nicht um Datierungsprobleme, das ist ein ganz anderer Schnack) noch einen nichtkanonischen, also nicht-biblischen Text gegeben hat, ist die endgültige Zusammenstellung der Bibel also erheblich später anzusetzen als von den Kirchen bisher gelehrt.
Die Bibel, bekanntlich das"Buch der Bücher" und daher ein massenbeeinflussendes Phänomen par excellence, ist in seiner Endfassung also erheblich später zu datieren als bisher geschehen, vermutlich erst im 10./11. Jh., in dem auch die bekannten kirchlich beeinflussten Massenphänomene auftauchen, wie Fegefeuer-Angst, Gier nach Ablass (um den Qualen zu entgehen) - von den Kreuzzügen und den mit ihnen verbundenen Kollektivhalluzinationen (siehe Le Bon täglich 5; die Story vom Hl. Georg) ganz zu schweigen.
Die"Bibeln", nach denen die heutige Wirtschaftswissenschaft vorgeht, tragen die Namen von Samuelson, Mankiw, Friedman, Wöhe usw. Sie haben freilich so wenig einen Bezug zur Realität (Gleichgewichtstheorie, Tauschtheorem usw.) wie die nicht-existente kanonische Bibel einen Bezug zur Realität ante 1000 n. Chr. haben konnte.
Im übrigen ist der Gag der"Paulus-Apokalypse" in der Tatsache zu sehen, dass darin steht: der Apostel und die anderen Zwölf seien nach ihrem Tode im Himmel gleich auf die Stufe 10 gekommen - und lagen damit um einige Stufen über dem Schöpfergott selbst! So etwas heute zu behaupten, wäre platte Blasphemie.
Ich bleibe dabei: Die Geschichte selbst ist das interessanteste Buch, in dem wir blättern können. Nicht nur zur eigenen Erbauung, sondern vor allem auch, um daraus zu lernen. Und das Gelernte mitzuteilen, womit wir wieder ins Board zurückgekehrt wären und die dort verfügbaren zahlreichen historischen Beiträge speziell zum Börsengeschehen früherer Perioden. Lesen, lesen, lesen!
Schönen Sonntag wünscht
d. (selbst praktizierender Katholik, und jetzt wieder einmal sehr verwirrt).
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