- Über die Apokalypse (Meilenstein) - PuppetMaster, 11.08.2001, 13:06
- Re: Über die Apokalypse (Meilenstein) - Toni, 11.08.2001, 22:01
Über die Apokalypse (Meilenstein)
<font size="-1">Auf, mein Volk! Verlast diese Stadt! Sonst werdet ihr mitschuldig an ihren Sünden und müsst eure Strafe mit ihnen teilen. Denn Gott hat ihr schändliches Tun nicht vergessen. Ihre Sünden häufen sich bis an den Himmel! Behandelt sie so, wie sie es mit euch getan hat; zahlt ihr alles zweifach heim. Giesst ein Getränk in ihren Becher, das doppelt so stark ist wie das, was sie für euch bereithielt. Gebt ihr soviel Schmerzen und Trauer, wie sie sich Glanz und Luxus geleistet hat.</font>
Apokalypse
Die Suche nach dem Paradies ist wesentlich getrieben von jenem Affekt, den Ernst Bloch als"das Prinzip Hoffnung” beschrieben hat. Es ist der grosse mythologische Impuls, der Wünschen nach Unerfülltem ständig neue Nahrung verschafft und Träume vom Glück hartnäckig am Leben erhält. Es ist die trügerische, gleichwohl tröstliche Vorstellung, dass es irgendwie gelingen werde, vergangenen"Besitzstand" der Seele in zukünftiges Vermächtnis überzuführen. Allerdings entspricht es persönlich existenzieller wie auch allgemein geschichtlicher Erfahrung, dass dieses Prinzip so heftig erschüttert, seine lebensbejahende und -erhaltende Funktion so nachhaltig geschwächt werden kann, dass der positive in einen negativen Erwartungseffekt umschlägt und Hoffnung zur Verzweiflung wird, Die Sehnsucht nach Vollkommenheit und Glückseligkeit, deren kardinales Symbol der Paradiesmythos ist, hat ihr Korrelat in der Angst vor Verderben und Untergang, deren bildhafte Formeln die apokalyptischen Visionen sind. Wo das regressive streben nach Restauration paradiesischer Unschuld hart mit dem Bewusstsein eines wachsenden Kontos geschichtlicher Schuld kollidiert, wo der Weg zurück nach Eden durch Schutthalden kollektiver Verfehlungen, lebenswichtiger Drangsale und moralischen Versagens versperrt wird, dort bricht sich die düstere Erwartung Bahn, dass das Leben auf eine Katastrophe zusteuert. Das seelische Erleben der Welt und ihrer Probleme löst sich von einer Vision einer Rückkehr in die"Heimat" des Geistes und verlagert sich auf die Antizipation einer Endzeit, welche die Erwartungshaltung umpolt und das Weltbild negativ einfärbt. Es wird eine psychische und historische (nicht selten kosmische) Nullpunktsituation imaginiert, die das gewaltsame Ende bisherigen Lebens ankündigt - mit allen Schrecknissen, die ein radikales Ende unvermeidlich heraufbeschwört. Typischerweise geschieht dies allerdings so, das sich über den Vollzug globalen Untergangs das Ende der Welt mit dem ende der bestehenden Seelenqual assoziiert, damit jenseits der fälligen Katastrophe wieder Hoffnung aufkeimen kann und nach abgegoltener Schuld die alten Bilder vom Paradies neuen Glanz ausstrahlen dürfen.
Für die apokalyptische Vision gibt es keine Flucht, keinen eskapistischen Rückzug, keine illusionistische Abwehr, sondern nur ein rigoroses Bekenntnis zur Notwendigkeit einer dramatischen Wende. Es handelt sich, in der Grundstruktur, um eine Form der Prophetie, in der der Prohpet eine Vision von kommenden Dingen entwirft, die ein"höheres" Wissen über die Zukunft zu beinhalten beansprucht. Die apokalyptische Vision ist mehr als blosse Weltuntergangsphantasie. Obwohl gewöhnlich in Bildern des Grauens schwelgend, beansprucht sie, nichts Geringeres als eine Offenbarung"jenseitiger" Realität zu sein. Sie liefert eine Vorausschau auf den zukünftigen Gang der Welt als Manifestation schicksalsmässiger Notwendigkeit. Der Apokalyptiker figuriert als ein esoterisch Wissender, der sein Wissen von den letzten Dingen an Nichtwissende vermittelt. Er ist weniger der Mahner als ein Verkünder, denn was er"sieht" ist die Verkündigung unbezweifelten Fatums. Er wähnt sich imstande, den Weltenlauf zwischen Anfang und Ende, Schöpfung und Untergang vorauszusehen und nach dem Gesetz fortschreitender Alterung und notwendiger Erneuerung beurteilen zu können. Für den Apokalyptiker steht fest, dass die Katastrophe nicht mehr abwendbar und die radikale Ausmerzung bestehender Ordnung unvermeidbar ist, weil anders der Knoten existenzieller Irrungen und moralischer Wirrungen nicht elöst und die Seelenqual der Menschen nicht gelindert werden kann. Der korrupte Zustand der Welt verdient unbarmherzige Tilgung, will vorher die Saat neuer Hoffnung nicht gesäät und ihren Keimen nicht zum Wachstum verholfen werden kann.. Das Alte muss zugrunde gehen, bevor neues eine Chance erhält. Angst muss durchlitten, Terror erduldet, Blutzoll entrichtet werden, bevor Seelenfrieden eintritt. Für den Apokalyptiker ist die Vergangenheit effektiv so schwarz, die Entfremdung vom"heiligen" Ursprung so erschreckend, das angehäufte Schuldkonto der Menschheit so drückend, dass nur eine totale Verwerfung des Gewesenen in Frage kommt, um das Zukünftige überhaupt als vorstellbar erscheinen zu lasen.
Diese Kompromisslosigkeit leitet sich aus einer imaginären Gesetzmässigkeit der geschichtlichen Entwicklung ab. Darin entäussert sich ein mythisches Geschichtsbild, das den Lauf der Welt und das Schicksal der Menschheit unter dem Aspekt einer notwendigen Zäsur betrachtet und zu dieser Zäsur radikal dichotome Konzepte von Vergangenheit und Zukunft, Wohl und Wehe, Gut und Böse entwickelt. Ob als kosmische Geschichte, Heilsgeschichte oder Gesellschaftsgeschichte - das Weltgeschehen erfährt auf jeden Fall einen Einschnitt, der seinen Verlauf in ein wesenverschiedenes Vorher und Nachher teilt und deren Bedeutung an dieser Zeitenwende bemisst. Apokalyptische Geschichte ist danach zweiphasige Geschichte, deren qualitativer Wechsel von der ersten zur zweiten Phase durch Umwälzungen globalen Ausmasses herbeigeführt wird. Wir haben es mit einem Dualismus absolut entgegengesetzter Ordnungen zu tun, der sich durch das Drama von Vernichtung und Neubeginn, Tod und Wiedergeburt konstituiert. Vor der Katastrophe liegt die Phase der Düsternis, der Kriege, der Erniedrigung, der Qual, der Verzweiflung, der angstgeborenen Seelennot. Während der Katastrophe beginnt (für die Überlebenden) die Phase der Erneuerung, Befreiung, Tröstung, Belohnung, die als geschichtstranszendentes Paradies (oder dessen Äquivalent) in Aussicht gestellt wird. Der Apokalyptiker selbst wähnt sich meist an der Schwelle des Umbruchs, wo das drohende Unheil sich über unmissverständliche Zeichen kundzutun beginnt, aber die Kettenreaktion fataler Ereignisse noch nicht ausgelöst ist.
Es ist klar, dass mit solcher Sicht alle historische Kontinuität verworfen, alle evolutionäre Handlung des Menschen für nichtig erklärt wird. Und in der Tat ist das apokalyptische Weltbild ein deterministisches Bild, das den Menchen als selbstbestimmtes und selbstbestimmendes Subjekt nicht kennt und ihm die Rolle eines Zuschauers, eines zwischen Angst und Hoffnung zitternden Dulders zudiktiert. Apokalyptik ist eine Formel für welthistorischen Fatalismus; das wirken übermenschlichem Fatums nimmt keine Rücksicht mehr auf menschliches Wehklagen aus Reue oder Zerknirschung. Was sein soll, wird sein: transzendental wichtig und unbarmherzig folgerichtig; denn entweder hat der Mensch bestehende Chancen zur Umkehr verpasst, oder er wird in ein o gigantisches Geschehen involviert, dass dessen Ausmasse seine bescheidenen Kräfte von vornherein Übersteigen.
Besonders in der judäo-christlichen Tradition verraten die Apokalyptiker eine bemerkenswerte Gleichförmigkeit in der Problembehandlung, die wir durchaus als Reflex einer Gleichstrukturiertheit der psycho-religiösen Erwartungseffekte auffassen dürfen. Ob wir Daniel, Jeremia, Joel, Hosea oder Johannes betrachten - die Schilderungen der Endzeit spiegeln durchgängig die gleiche Schrecklichkeit geschichtliche Erwartung der Folie der gleichen erlösungsbedürftigkeit der Seele. Buchstäblich erschütternde Dinge spielen sich ab: Die Erde bebt, Gestirne werden aus ihrer Bahn geschleudert, Sonne und Mond verfinstern sich, Stürme zerfetzen Städte und Dörfer, Feuersbrünste verzehren die Natur, Heuschreckenplagen verwüsten das Land, Drachen und Dämonen toben über die Erde, Heere treffen in knirschendem Zorn aufeinander, die schrecklichsten Schlachtfeste spielen sich ab, Ströme von Blut tränken den Boden, Panik erfasst die gesamte Schöpfung. Solche Szenarien werden ausgemalt, ihre Schrecklichkeiten ausgekostet - bis nach den Tagen des Zorns und der Düsternis die Morgenröte ausbricht und die neue Zeit ihren tröstlich-triumphalen Einzug hält.
Das primum movens apokalyptischer Weltdeutung ist der Affekt der Angst - einer Angst die nicht bloss aus einem diffusen Leiden an der Welt, aus generellen Labilität des Seelischen erwächst, sondern aus einer spezifischen Unfähigkeit resultiert, aktiv die Offenheit der Zukunft zu wagen und geduldig deren Unabwägbarkeiten zu ertragen. Es handelt sich, tiefenstrukturell betrachtet, um einen Abwehrmechanismus; der auf Angstsicherung gegen eine als unerträglich bedrohlich empfundene Gegenwarts-Zukunftsrelation gerichtet ist und diese Sicherung so zu bewerkstelligen trachtet, dass über ein gnadenloses Ende ein radikaler Neuanfang imaginiert wird. Apokalyptisch droht das Bewusstsein dann zu werden, wenn sein Glaube an die Leistungs- und Gestaltungsfähigkeit der eigenen Gattung so stark erschüttert, seine Betroffenheit durch Gefühle der Schuld so stark drückend ist, dass er sich einer besonderen Phantasie überantwortet, um einer explosiven Gefühlslage symbolisch Herr zu werden."Das Mass der faktischen Angst und Verzweiflung ist...so gross", bemerkt Eugen Drewermann,"dass die Hoffnung auf eine bessere Zukunft einer absoluten Gewissheit bedarf, um die Gegenwart noch zu ertragen. Nicht eine intellektuelle Hybris, sondern die Kraft der Verzweiflung treibt den Determinismus der apokalyptischen Weltuntergangsphantasie hervor".
aus:
Hartmut Heuermann
Medienkultur und Mythen
Regressive Tendenzen im Fortschritt der Moderne
rororo, 1994
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