- Hongkong steckt in der Wachstumsfalle - Sascha, 22.08.2001, 11:03
Hongkong steckt in der Wachstumsfalle
Stadt verliert Dienstleistungsmonopol - Konkurrenz aus China setzt Kosten und Kartelle unter Druck
<font size=5>Hongkong steckt in der Wachstumsfalle</font>
Neue Wolkenkratzer schießen in Hongkong nach wie vor aus dem Boden, aber die Träume wachsen nicht mehr in den Himmel. Chinas Wandel verschärft die Standortkonkurrenz, <font color="#FF0000">der Konjunktureinbruch bringt Strukturschwächen zu Tage</font>: Kartelle, Kosten und ein Mangel an hellen Köpfen setzen dem Wachstum Grenzen.
OLIVER MÜLLER
HANDELSBLATT, 22.8.2001
HONGKONG. Die weit gehend autonome Ex-Kolonie an Chinas Südzipfel steht vor schmerzlichen Entscheidungen. Ohne den Mut zu umfassender Liberalisierung könnte die legendäre Wirtschaftsdynamik der Stadt erlahmen.
Mit Hilfe boomender Exporte hatte sich Hongkong vor einem Jahr stolz aus der Asienkrise zurückgemeldet. Die Regierung präsentierte 10 % Wirtschaftswachstum als Glück des Tüchtigen. <font color="#FF0000">Nun brechen die Ausfuhren weg, eine Entlassungswelle schwappt durch die Unternehmen, und die meisten Bankvolkswirte haben ihre BIP-Prognosen für dieses Jahr auf unter 2% korrigiert</font>."Langfristig hat Hongkong ein Wachstumsproblem", ahnt Morgan-Stanley-Volkswirt Andy Xie.
Im wirtschaftlichen Herz der Handelsstadt wird das Dilemma deutlich: Der größte Containerhafen der Welt wickelt den Löwenanteil der chinesischen Exporte ab; <font color="#FF0000">der Umschlag brach im Juli um nie da gewesene 9,3 % ein</font>. Dabei gingen Chinas Ausfuhren nur minimal zurück. Und die benachbarten Häfen in der Volksrepublik, die massiv ausgebaut werden, konnten ihren Umschlag steigern. An der Börse, dem zweiten Lebensnerv der Stadt, bietet sich ein ähnliches Bild: Blue-Chips wie Sinopec oder Petrochina haben dieses Jahr darauf verzichtet, die traditionelle Kapitaltankstelle chinesischer Konzerne anzufahren. Stattdessen haben sie Milliarden in Schanghai aufgenommen, wo hohe KGV Kapital billiger machen.
Die Volksrepublik und ihr"Fenster zur Welt" ergänzen sich nicht länger perfekt. <font color="#FF0000">"China mausert sich zu Hongkongs Konkurrenz"</font>, diagnostiziert Michael Spencer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Asien. Er sieht die Gefahr, dass niedrige Kosten und ein großer Pool von talentierten Arbeitskräften bald nicht nur Container und Börsengänge, sondern auch Finanzdienstleister und regionale Verwaltungssitze internationaler Konzerne nach Norden locken. Hongkong gleitet das Dienstleistungs-Monopol für China aus der Hand: Compaq, IBM und HSBC verlagern Geschäftsbereiche über die Grenze, Alcatel hat sein Hauptquartier in Schanghai aufgeschlagen, Credit Lyonnais lässt Analysten-Teams dorthin umziehen, Bayer hat den Auszug angekündigt, und DHL droht mit Abwanderung an den Flughafen der Nachbarstadt Shenzhen. Die Gründe ähneln sich: Die Manager wollen sparen, näher an Produktionsstätten und Kunden sein oder aus einem größeren Talentpool schöpfen.
Die meisten Beobachter erwarten, dass Chinas bevorstehender WTO-Beitritt Hongkong kurzfristig Auftrieb bescheren wird, denn ihr angelsächsisches Rechtssystem prädestiniert die Stadt zum Sprungbrett für neue Auslandsinvestoren. <font color="#FF0000">"Langfristig sieht es aber schwierig aus"</font>, warnt Spencer. Andy Xie nennt das Problem beim Namen:"Die Stadt ist ein guter Dienstleistungsstandort; aber die Qualität rechtfertigt die Kosten immer weniger." Der Morgan-Stanley-Analyst führt als Grund das <font color="#FF0000">schlechte Bildungssystem </font>an und die <font color="#FF0000">hohen Immobilienpreise</font>, die dem Wachstum die Luft rauben.
Das offizielle Hongkong klammert sich derweil an die alte Hoffnung, der China-Kuchen werde weiterhin schneller wachsen als der Anteil der Stadt daran schwindet. Standort-Optimisten verweisen auf die wiederholt bewiesene Fähigkeit der Stadt, sich über Nacht neu zu erfinden. Doch die erfolgsverwöhnte Mittelschicht zweifelt, ob sie weiter satt wird von den Krümeln, die von Chinas reich bestellter Tafel fallen. Eine ungewohnte Verzagtheit hat von Hongkong Besitz ergriffen. Christine Loh bringt diese auf den Punkt:"Wir schauen nach Schanghai und Peking und fühlen uns nicht mehr sexy", sagt die populäre Ex-Parlamentarierin.
Soll das Wachstum zurückkehren, muss sich Hongkong von der starren Abschottung seines Arbeits- und Dienstleistungsmarkts verabschieden."Hongkong muss bei den Kosten mithalten", fordert Spencer, der den Druck zur Deregulierung wachsen sieht."Ein Durchgreifen gegen die lokalen Kartelle würde helfen", glaubt auch Andy Xie. In einem ersten Schritt hat die Regierung die strengen Einwanderungsregeln für Festlandschinesen mit Fachkenntnissen im IT- und Finanzbereich etwas gelockert.
<font color="#FF0000">Doch an die Kartelle, unter die Hongkongs Binnenwirtschaft von Stromversorgung über Zementherstellung bis hin zur Anwaltsbranche aufgeteilt ist, wagt sich bislang niemand</font>. Dabei kann sich die Stadt deren Folgen - extreme Kosten und begrenzte Innovationskraft - angesichts des Wettbewerbsdrucks nicht länger leisten. Mächtige Mono-, Duo- und Oligopole bescheren ihr die höchsten Anwalts-, Arzt-, und Containerumschlagskosten der Welt und treiben Preise für Wohnungen, Lebensmittel und Flüge künstlich hoch, klagt William Overholt, Asien-Stratege bei Nomura. Für Overholt hat Hongkong die Wahl, ein"erstklassiges Drittwelt-Land" mit eingefleischten Kartellen zu bleiben - oder sie abzuschütteln und den Sprung zu schaffen in die Erste Welt.
Mit dieser Anforderung wird das aus Kolonialtagen übernommene, undemokratische Regierungssystem der Stadt allerdings nicht fertig. Es ist auf Schutz des Status quo ausgerichtet, sichert den durch Kartellgewinne reich gewordenen Tycoonen die Macht und entfremdet die Mittelschicht."Das System schafft zu wenig Widerspruch und Diskussion, um der Regierung Beine zu machen", kritisiert Michael Spencer von der Deutschen Bank."Dort macht sich so gut wie niemand ernsthaft Gedanken, wie Hongkong langfristig im Wettbewerb bestehen kann."
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