- Amerika taumelt - Der letzte Grund, 30.08.2001, 21:40
- Hatte ich vor einer Weile schon gepostet. Guter Beitrag. oT. - BossCube, 30.08.2001, 21:57
- Was sagte doch Lincoln in Gettysburgh...? - Tofir, 30.08.2001, 23:51
Hatte ich vor einer Weile schon gepostet. Guter Beitrag. oT.
>
>Es ist nur ein paar Jahrzehnte her, da war Amerika ein Garant für Demokratie und
>Menschenrechte. Auch heute weisen die USA der Menschheit noch den Weg - es ist
>der Weg ins Verderben. Heuchelei, Arroganz und Korruption bestimmen das
>Gebaren der Herrschenden und das Alltagsleben der Bürger; Amerika taumelt,
>bockt und keilt wie Frankensteins Monster, blind für die Zerstörung, die es bewirkt.
>Oft laufe ich am Kapitol und am Weißen Haus vorbei, den Monumenten unseres
>einst so großen Staatswesens, und ich kann mir nicht helfen: Ich empfinde Trauer
>und Bestürzung beim Gedanken an das, was aus meinem Land geworden ist.
>Das klingt jetzt erst mal überraschend, ich weiß. Sind die USA nicht die einzig
>verbliebene Supermacht, die Verkörperung von Demokratie und Freiheit, die
>mächtigste Nation in der Geschichte der Menschheit? Nun, auch der Fall der
>Sowjetunion begann, als sie sich auf dem Gipfel ihrer Macht sah, und die
>momentane Stimmung in den USA erinnert mich frappierend an die Ära Breschnew.
>Die Parallelen sind jedenfalls augenfällig: eine riesige Armee, die auf der ganzen
>Welt ihre Muskeln spielen lässt. Eine lahmende Wirtschaft. Willkürliche
>Hinrichtungen. Vollbeschäftigung, gleichzeitig ein grauenhaftes Dienstleis-
>tungsniveau. Eine Elite, die das Gemeinwesen plündert. Entmündigte,
>gleichgeschaltete Bürger. Verachtung für die Umwelt. Und ein Herrscher, der die
>Macht per Staatsstreich an sich gerissen hat. Einen großen Unterschied zwischen
>der Sowjetunion und den USA gibt es jedoch: Das rote Imperium brach zusammen,
>weil es arm war. Das US-Imperium könnte wegen seines Reichtums untergehen.
>Liebe Europäer, Sie haben kaum eine Vorstellung von den Schwierigkeiten, an
>denen mein Land zu Grunde geht. Todesstrafe, ethnische Spannungen, seichte
>Mainstream-Kultur? Kinderkram! Für den Niedergang sind ganz andere
>Problemfelder verantwortlich:
>> die Politik ist zum Bestandteil der Entertainment-Industrie geworden;
>> niedrige und hohe Einkommen klaffen immer weiter auseinander;
>> die Eliten sind weitgehend korrupt
>> und in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es eine Tendenz zur
>Abschottung von der Wirklichkeit.
>Lassen Sie mich erklären, wie es so weit kommen konnte.
>Die Verschränkung von Politik und Entertainment begann in den Fünfzigern, mit dem
>Aufkommen des Fernsehens. Vorher übten die Regierenden ihr Amt in relativer
>Abgeschiedenheit aus, nun waren sie Medienstars, die sich auf dem Bildschirm
>darstellen können mussten. John F. Kennedy war der erste Meister dieser neuen
>Rolle. Er hat politische Substanz durch Glamour und staatsmännisches Gehabe
>ersetzt - und ist noch heute einer der beliebtesten Präsidenten, obwohl seine
>Leistungen eher dürftig waren. Seitdem hat jeder US-Politiker seinem Beispiel
>nach- geeifert. Da kann es kaum verwundern, dass die erfolgreiche TV-Serie West
>Wing im Weißen Haus spielt: Politik ist Entertainment und Entertainment ist Politik.
>Spätestens seit dem Fall des Präsidentschaftskandidaten Gary Hart 1987 ist
>Washington zu einem Starkarussell geworden, in dem es nicht um die Lösung der
>Probleme des Landes geht, sondern um Geld und Glamour, Gier und Sex. Hart
>wurde zusammen mit dem Playmate Donna Rice in verfänglicher Pose auf einer
>Yacht fotografiert; das Bild erschien auf den Titelseiten großer Zeitungen, worauf
>Hart seine Kandidatur zurückzog. Auch die vermeintlich seriöse Presse berichtet
>seitdem über Poli-tiker wie über Filmstars - stets auf der Suche nach verdächtigen
>Details aus ihrem Privatleben. Die Entwicklung kulminierte im Lewinsky-Skandal,
>der Washington eineinhalb Jahre lähmte, lange Jahre, in der zur besten Sendezeit
>so lachhafte Details wie Lewinskys Lieblingsfilme vermeldet wurden.
>Ein zweiter Aufguss der Lewinsky-Affäre ist der Fall der Praktikantin Chandra Levy,
>die eine Affäre mit dem demokratischen Kongress-Hinterbänkler Gary Condit hatte
>und seit Mai verschwunden ist. Hat Condit Levy beseitigen lassen? Hat er sie selbst
>ermordet? War sie vielleicht von ihm schwanger? Während in Bonn über den
>Klimaschutz verhandelt wird und der Nahe Osten brennt, lässt sich Washington von
>solchen Fragen beherrschen. Vor einigen Tagen war ich zufällig bei Baskin
>Robbins, einer Eisdiele in der Nähe meiner Wohnung in Washington, als ein
>CBS-Reporter hereingestürzt kam und die Angestellten fragte, ob sie Levy gesehen
>hätten. Wie sich herausstellte, wohnte auch sie in der Nachbarschaft; kurz vor ihrem
>Verschwinden war sie auf der Website des Ladens gewesen."Stellt euch darauf
>ein", sagte der Reporter, als er ging,"dass die anderen Sender auch bald hier sein
>werden."
>So wird eine Sensation nach der anderen konstruiert, wäh- rend von den wahren
>Skandalen der amerikanischen Politik keine Rede mehr ist, zum Beispiel vom
>Auseinanderklaffen des Lohn- niveaus. Es begann in den siebziger Jahren, als die
>Löhne stagnierten und die Preise stiegen: Damals wurden die unteren
>Einkommensschichten von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Reagans
>Steuersenkungen machten alles nur noch schlimmer und George W. Bush brachte
>diese Entwicklung zu ihrem vorläufigen Höhepunkt: Die reichsten zehn Prozent der
>Bevölkerung streichen fast neunzig Prozent seiner Steuersenkung von 1,3 Billionen
>Dollar ein.
>So hat Bush den gesamten Haushaltsüberschuss der Clinton-Jahre verjubelt und
>soziale Programme für die Zukunft unmöglich gemacht - das Geld ist einfach nicht
>mehr da. Bushs Steuersenkung war eine Verhöhnung der vielen Millionen
>Amerikaner in sozialen Schwierigkeiten, zum Beispiel der 26,5 Millionen ohne
>Krankenversicherung. Aber in der Verhöhnung des Volkes sind Bush und seine
>Mannschaft Meister: Als sich der Vizepräsident und Multimillionär Dick Cheney
>kürzlich einer Herzoperation unterzog, wurde allgemein vermerkt, dass er eine
>Behandlung erhalten hatte, die sich ein Durchschnittsamerikaner niemals leisten
>könnte - und Bush verkündete fröhlich, Amerikaner mit Herz-problemen sollten sich
>ein Beispiel an Cheney nehmen, weil er die Sache so tapfer durchstehe. Kurz nach
>seiner Genesung hat Cheney noch einen draufgesetzt, als er er versuchte, der
>Staatskasse seine private Stromrechnung unterzuschieben.
>Korruption ist in der amerikanischen Elite weit verbreitet. Die beiden großen
>Parteien hängen zu hundert Prozent von Spenden ab, der Präsident ist nichts weiter
>als der oberste Spendensammler. Bush musste sein Wahlkampfversprechen
>zurücknehmen, den CO2-Ausstoß zu mindern, weil er sonst Ärger mit seinen
>Geldgebern bekommen hätte. Schließlich haben Ã-l- und Gaskonzerne seine
>Kampagne mit zehn Millionen Dollar unterstützt. Bei den Demokraten geht es
>natürlich genauso zu. Clintons Begnadigung des mit Haftbefehl gesuchten
>Millionärs Marc Rich - nach gewaltigen Wahlkampfspenden von dessen Frau - war
>nur der Anfang. Clinton hat Lincolns Schlafzimmer im Weißen Haus an besonders
>großzügige Spender vermietet und während seiner Präsidentschaft unaufhörlich
>den Klingelbeutel geschwenkt. Auch Senatoren und Kongressabgeordnete werden
>von den Konzernen massiv unter Druck gesetzt. Die Folge: Politiker sind Marionetten
>geworden.
>Nicht, dass sie das stören würde. Hauptsache, die Kasse stimmt. Es ist eine
>Nomenklatura entstanden, die sich am System mästet und auch nach dem
>Ausscheiden aus dem Staatsdienst von ihren Verbindungen profitiert. Henry
>Kissinger zum Beispiel, der jährlich Millionen damit verdient, dass er
>amerikanischen Unternehmen mit seinen einzigartigen Kontakten behilflich ist.
>Kissinger und Co. haben in den vergangenen Jahrzehnten mehr als alle anderen
>das Hohe Lied der Globalisierung gesungen - Außen- politiker, die sich in
>Lobbyisten verwandelt haben, weil es ihren finanziellen Interessen dient.
>Doch die Weltwirtschaft lahmt, und der Abschwung in den USA übertrifft die
>schlimmsten Erwartungen. Kaum ist eine ausländische Schuldenkrise
>überstanden, bricht woanders die nächs-te aus. Dass Steuer- und Zinssenkungen
>ohne Wirkung bleiben, ist deutliches Anzeichen einer Wirtschaftskrise, genau wie
>die Stagnation in Asien und Europa. Mit einem unfähigen Präsi- denten wie George
>W. Bush an der Spitze könnte diese Depression länger dauern, als manch einer
>vermutet. Denn Bush würde eine Krise nicht mal erkennen, wenn sie ihm ins
>Gesicht fliegt.
>Aber was, wenn die Katastrophe ausbleibt? Ungehemmtes Wachstum könnte sich
>noch fataler auf die USA auswirken als ein kräftiger Konjunktureinbruch. Das Land
>erstickt an seiner Prosperität. Häuser werden gebaut, Autos in Rekordzahlen
>verkauft, der Müll türmt sich hoch wie die Rocky Mountains und die Vorstädte fressen
>sich weiter und weiter ins Land hinein.
>Auch in den Köpfen der Menschen fordert der Reichtum seinen Tribut, hat er doch
>einige besonders heuchlerische, widerwär- tige Erscheinungen hervorgebracht,
>jene Gestalten, für die der konservative Journalist David Brooks den Namen
>"bourgeoise Bohemiens" ("Bobos") geprägt hat. Gemeint sind all die wohl-
>habenden Amerikaner, die beides wollen: Umweltschutz predigen und
>spritschluckende Geländewagen fahren, Wasser sparen und 15000 Dollar für eine
>Duschecke aus Schiefer ausgeben, den Naturgenuss preisen und den eigenen
>Garten mit Kunstrasen und Kunstfelsen aufpeppen, weil echter Rasen leider
>manchmal gemäht werden muss.
>Diese Bobos wohnen am liebsten in so genannten Gated Communities,
>eingezäunten Wohnsiedlungen, von Privatpolizisten bewacht, der Ã-ffentlichkeit nicht
>zugänglich. Hinter den Mauern wird dann die Wirklichkeit simuliert, das Heimkino
>mit Surroundboxen und Subwoofern aufgerüstet, sodass mitten im Wohnzimmer die
>Wellen plätschern und die Vögel zwitschern. Das alles, um die Begegnung mit dem
>echten Leben zu vermeiden und sich so weit wie möglich aus der Gesellschaft
>zurückzuziehen, in eine gut ausgepolsterte, nur gelegentlich von normalen Sterb-
>lichen gestörte Scheinwelt.
>Viele glauben, die USA seien eine egalitäre Gesellschaft, doch das Gegenteil ist
>richtig: Es herrscht ein brutaler Klassenkampf, ausgefochten wird er über soziale
>Codes. Ein ungeheuerliches Beispiel für die Arroganz der Oberschicht ereignete
>sich im Juni in den Hamptons, dem bevorzugten Urlaubsgebiet der reichen New
>Yorker. Lizzie Grubman, die dreißigjährige Tochter des mächtigs-ten
>Showbiz-Anwalts des Landes, fing auf dem Parkplatz eines Lokals einen Streit
>darüber an, wo sie ihren Kombi parken könne. Als sie ein Angestellter bat, nicht die
>Feuerwehrzufahrt zu blockieren, sagte sie angeblich:"Fick dich, du Prolet. Hol sofort
>deinen Vorgesetzten." Dann legte sie den Rückwärtsgang ein und mähte auf einer
>zehn Meter langen Fahrt 16 Menschen um.
>Bushs Pläne für eine Nationale Raketenabwehr sind das außenpolitische Pendant
>zum Rückzug ins Private: Wieder einmal isolieren sich die USA vom Rest der Welt.
>Ob es um das Verbot von Landminen geht, den Internationalen Gerichtshof, die
>Weltklimakonferenz - Amerika geht mit Hochmut über diese Initia- tiven hinweg. Das
>größte Problem aber ist möglicherweise, dass Bushs Desinteresse an der
>Außenpolitik ein Ausdruck der öffentlichen Meinung ist. Globale Erwärmung? Wen
>interessiert das schon? Viel wichtiger ist die Frage, welche Wasserhähne in die
>neue Küche kommen. Je schlimmer alles wird, desto mehr geben sich die
>Amerikaner dem Konsum hin, suhlen sich in ihrer intellektuellen und moralischen
>Liederlichkeit.
<center>
<HR>
</center>

gesamter Thread: