- offtopic: Medienhetze: Ein Beispiel zum Gipfel in Genua. - SchlauFuchs, 06.09.2001, 17:01
- Re: offtopic: Medienhetze: Ein Beispiel zum Gipfel in Genua. - Euklid, 06.09.2001, 17:11
- Genua und Co., die Graswachshörer hören gar schröckeliges...... - Baldur der Ketzer, 06.09.2001, 17:59
- Re: offtopic: Medienhetze: Ein Beispiel zum Gipfel in Genua. - Euklid, 06.09.2001, 17:11
offtopic: Medienhetze: Ein Beispiel zum Gipfel in Genua.
Hallo,
gerade habe ich einen etwas linken Newsletter mit einer netten Story bekommen, die ich euch nicht vorenthalten möchte:
<div style="background-color:white; margin:2cm; padding:.5cm; font-family:courier; text-align:justify;">Wie einige Medien eine deutsche Globalisierungskritikerin kampagnenträchtig
zur"Terroristin" stilisierten
Von Pitt von Bebenburg (Berlin)
"Hey, dich kenne ich", sagte die Gefängniswärterin,"dich habe ich gestern
in den Abendnachrichten gesehen." Die Aufseherinnen in Genua, wo sie noch
vor den Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel im Juli verhaftet wurde,
hielten Juliane S. für eine"schlimme Terroristin". Manchem deutschen
Zeitungsleser wird es nicht anders gegangen sein. Hierzulande galt sie als
eine von"vier mutmaßlichen Krawalltouristinnen aus Berlin", die"schwer
bewaffnet und in einem speziell gepanzerten Fahrzeug unterwegs" gewesen sein
sollen, so die Berliner Morgenpost.
Jetzt ist Juliane S., 23 Jahre alt und Studentin der Kulturwissenschaft,
zurück in Berlin. Dass sie letztlich keine Terroristin war, wurde kaum
irgendwo in der deutschen Presse vermerkt. Die Medien-Karawane war
weitergezogen. Dabei hatte der Richter ihr schriftlich gegeben, dass ihr
Campingbus"das gleiche offensive Potenzial wie ein normaler Lieferwagen"
habe. In dem Besteck und Autowerkzeug, das zuvor als"Waffenarsenal"
aufgebauscht worden war, sah der Richter lediglich Besteck und Autowerkzeug.
Von dem Schaltplan eines Autoradios, den Beamte offenbar für eine
Bombenbastel-Anleitung gehalten hatten, war gar nicht mehr die Rede. Der
Richter ordnete die Freilassung von Juliane S. an.
Am eigenen Leibe erfährt die junge politische Bewegung der Kapitalismus- und
Globalisierungskritiker, wie manche Medien Inszenierungen auf ihre Kosten
treiben - und das alles im Rahmen journalistischer Normalität.
Denn wohlgemerkt: Die Zeitungen vergaßen nicht, die Polizei als Quelle für
alle Vorwürfe anzuführen. Ja, selbst die Argumentation der Deutschen, die
vorgeblichen Waffen seien nur Campingausrüstung, wurde gelegentlich erwähnt.
Handwerklich korrekte Berichterstattung, könnte man also meinen. Doch auch
so lassen sich Kampagnen machen.
Im Berliner Kurier etwa trug ein Artikel, in dem der abgekürzte Name von
Juliane S. samt Stadtteil ihrer Berliner Wohnung genannt wurde, den Titel:
"Briefbomben und Brandsätze vor G-8-Gipfel". Zusammengemischt wurden darin
die tatsächlichen Briefbomben, die angeblichen Angriffspläne von
Gipfelgegnern ("Züge der Bundesbahn kapern","Polizei und Soldaten mit
Ätzgas angreifen","bissige Pitbull-Kampfhunde auf Polizisten hetzen") - und
die Festnahme der Frauen aus Berlin, die hier als"Chaoten-Gruppe" tituliert
wurden.
Die B.Z. wählte eine dreiteilige Überschrift:"Wegen Gipfel-Terror / 4
Berlinerinnen in Genua verhaftet / Sie hatten ein gepanzertes Auto, Messer
und Ketten". Durch Fettdruck wurde im Artikel hervorgehoben, welche
Gegenstände bei den Frauen gefunden wurden und wie das Fahrzeug angeblich
"gepanzert" worden war. Fünf Zeilen später, in einem neuen Absatz, hieß es:
"Gestern wurde erneut ein Sprengsatz entdeckt." Dass es dabei nicht um die
Berlinerinnen ging, bekamen nur aufmerksame Leser mit. Für Juliane S. steht
fest: Das war"Medienhetze gegen die G-8-Demonstrantinnen".
Sie organisiert nach ihren Erfahrungen von Genua jetzt Veranstaltungen und
Pressekonferenzen. Sie arbeitet in der Pressegruppe des
"Unterstützerinnen-Treffens".
Es ging ihr, wie es vielen Freunden ging - und wie es sich regelmäßig beim
Entstehen neuer sozialer Bewegungen zeigt: Gegenöffentlichkeit zu schaffen,
ist zu einer zentralen Herausforderung geworden."Don't hate the media -
become the media" ("Hasst die Medien nicht, werdet selbst die Medien!")
lautet der Wahlspruch der inzwischen über den ganzen Globus verbreiteten
Indymedia-Initiative der Globalisierungskritiker (www.de.indymedia.org).
Es passt ins Bild, dass auch die Indymedia-Journalisten in Genua von der
Polizei eingeschüchtert wurden. Sie kämpfen dagegen, in der
Mediengesellschaft unter die Räder zu kommen, und auch Juliane S. kämpft
jetzt dafür. Weniger, weil ihr persönlicher Ruf ruiniert wurde - ihre
Eltern, ihre Freunde haben sich nicht beeindrucken lassen und necken sie
jetzt höchstens mit dem Namen einer Comic-Heldin als"Tank Girl". Ihr
Antrieb ist ein anderer: Die Berlinerin wehrt sich gegen eine
Kriminalisierung der Bewegung, und sie macht sich für die noch Inhaftierten
stark, die nicht"im Knast versauern" dürften.
In der Ã-ffentlichkeit sei schon vergessen, dass Demonstranten in Göteborg zu
teils langen Haftstrafen verurteilt wurden. Auch in Genua saßen am Dienstag
noch fünf Männer im Gefängnis, über deren Haft in dieser Woche entschieden
werden soll, und zwei standen unter Hausarrest. Der Vorwurf einer
Mitgliedschaft im Schwarzen Block gegen sie stützt sich nach den Erkundungen
von Grünen- und PDS-Bundestagsabgeordneten lediglich auf den Fund von
alltäglichen Gerätschaften - genau wie es bei Juliane S. der Fall war.
Ihre eigene Inhaftierung, ihre Demütigung in der Haft, wo sie bis zur
Verhandlung am vierten Tag keinen Besuch und keinen Anwalt sehen konnte und
lange nicht erfuhr, was ihr überhaupt vorgeworfen wurde - all das"war für
mich eine ziemliche Grenzerfahrung", sagt die schmächtige Frau mit der
Baseball-Kappe über den kurzen Haaren. Aber nach den Berichten vom
Polizei-Überfall auf die Gipfelgegner in der Armando-Diaz-Schule dachte sie
sich:"Mann, das war noch gar nichts." Obwohl sie denkbar schlechte
Erfahrungen mit der Presse gemacht hat, wagt sie sich jetzt vorsichtig an
die Ã-ffentlichkeitsarbeit.
In einer Pressemitteilung schreibt ihre Gruppe, es laste, nicht zuletzt
wegen negativer Schlagzeilen für den Polizeieinsatz in der Schule,"ein
nicht zu unterschätzender Erfolgsdruck auf der italienischen Polizei". Man
müsse"befürchten, dass Unschuldige als Sündenböcke benutzt und verurteilt
werden".
Nach wie vor herrsche in Italien"ein Klima der Angst und der Spannung".
Juliane S. besitzt so gut wie keine Dokumente über die Pressekampagne, mit
der sie auch in der italienischen Ã-ffentlichkeit als Krawalltouristin
dargestellt wurde. Das hat einen Grund, der viel über die bedrohliche
Stimmung nach dem Gipfel von Genua verrät.
Die junge Berlinerin, festgenommen noch am Dienstag vor dem Treffen der
Staatenlenker, kam am Freitag darauf wieder auf freien Fuß. Das war der Tag,
an dem die Gewalt in Genua eskalierte, an dem der italienische Demonstrant
Carlo Giuliani von einem Polizisten erschossen wurde.
Juliane S., verängstigt durch die Umstände ihrer viertägigen Haft und durch
die"krasse" Stimmung in der Stadt, wollte"nur noch weg". Zu den großen
Demonstrationen ist sie nicht mehr gegangen. Als sie am Montag endlich ihr
Auto zurückbekam und wegfahren wollte, geriet sie erneut in
Polizeikontrollen.
Unter den Gipfelgegnern herrschte beim Auftauchen der Beamten schiere Angst.
Sie wollten unter allen Umständen vermeiden, in Verdacht zu geraten. Deshalb
aßen mehrere von Julianes Mitfahrern die Ausrisse aus italienischen
Zeitungen auf, die sie gesammelt hatte. Denn darin war zu lesen, dass die
Besitzerin des Wohnmobils, Juliane S., eine berüchtigte Krawalltouristin
sei.
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ciao!
SchlauFuchs
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<HR>
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