- Zeitenwende - Sascha, 13.09.2001, 17:19
Zeitenwende
Analyse
<font size=5>Zeitenwende</font>
Von Karsten Polke-Majewski
13. Sep. 2001 Nur nicht schwanken. Vorsichtig Schritt für Schritt weitergehen und nicht in den Abgrund sehen. Den Blick auf die glänzende Wand richten, dorthin, wo das stählerne Seil montiert ist. <font color="#FF0000">1974 balancierte der Hochseilartist Philippe Petit zwischen den Türmen des World Trade Centers</font>.
Auch der Fußgänger hält sich daran: Nur nicht nervös werden. Die Aktentasche fest in der Hand, schnellen doch gemessenen Schritts, der Krawattenknoten sitzt noch, auch der Anzug korrekt, nur bald wird alles grau sein, grau wie Qualm und Asche, durch die schemenhaft Menschen hasten. Dahinter, irgendwo im Dunkel, fünf Stockwerke hoch die Trümmer.
Das Jahrhundert beginnt
Was ist geschehen? Ist die Zeitlinie zerbrochen in damals und heute? Die Geschichte kurzfristig abgerissen von der Gegenwart, ein Zeitalter zerschmettert von zwei Flugzeugen, die nicht nur die Zentren der Wirtschafts- und Militärmacht Amerika, <font color="#FF0000">sondern vor allem die Symbole der Macht"unserer Zivilisation" zerstört haben, wie jetzt so oft zu hören ist</font>?
"Jetzt hat das 21. Jahrhundert begonnen", schreibt der amerikanische Schriftsteller Paul Auster, dieses Jahrhundert, von den alle dachten, es sei schon seit 1989 im Gange. <font color="#FF0000">Gerade hat der Absturz der Börsen das Größer, Schneller, Reicher einer jungen Wirtschaftsgeneration ausgebremst, da enthaupten einige fanatische Terroristen auch noch deren Weltbild."Erst trachten sie uns nach dem Geld und nun schon nach dem Leben?" mögen sich manche New Economisten fragen</font>.
Ungebremste Automatismen
Nach dem 11. September wird die Welt nicht mehr so sein, wie sie war. Leicht gesprochen. <font color="#FF0000">Schon einmal hat ein terroristischer Akt ein Zeitalter jäh beendet. Am 26. Juni 1914 tötete der serbische Anarchist Gavrilo Princip in Sarajewo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und löste den ersten Weltkrieg aus</font>.
Natürlich war Princip nicht die wahre Ursache des Krieges, <font color="#FF0000">war die Mordtat nur das Fanal einer über zwei Jahrzehnte währenden Krise unter den europäischen Staaten</font>. Und doch fragt sich der Augenzeuge, der den Einschlag des Flugzeugs in das Gebäude live miterlebte, unwillkürlich: <font color="#FF0000">Wie nah ist die Welt seit diesem Zeitpunkt dem Krieg?</font> Automatismen, denen ihre automatische Funktionsweise eifrig abgesprochen wird, setzen sich in Gang. Präsident Bush droht Tätern, Unterstützern und Beherbergern mit Vergeltung, die Nato stellt den Verteidigungsfall fest, der"schreckliche" Feind ist ausgemacht, noch bevor Beweise für seine Schuld vorliegen.
Doch wie reagieren? Usama bin Ladin festnehmen und von einem Gericht des Staates New York, der die ausgefĂĽhrte Todesstrafe nicht kennt, zu zweihundert, dreihundert, fĂĽnfhundert Jahren Haft verurteilen lassen? <font color="#FF0000">Die UnterstĂĽtzer des Terrors bombardieren? Afghanistan, Sudan, Libyen, Nordkorea besetzen, um potenzieller Terroristen habhaft zu werden</font>?
Zivile Mittel gegen Zivilisten
<font color="#FF0000">Kein Militärschlag, keine Raketenabwehr, kein noch so guter Geheimdienst wird die fragile, hochkomplexe Welt der westlichen Städte und Finanzzentren schützen können</font>. Diese angstmachende Gewissheit ist ein neues Motiv der neuen Zeit. Weiterhin werden Terroristen ihre Macht aus ihrem Unvermögen schöpfen, sich dem Militärapparat Amerikas oder sonst eines Landes stellen zu können. <font color="#FF0000">In New York setzten sie zivile Mittel gegen zivile Ziele ein. Wer soll das verhindern?</font>
Die stärkste Antwort Amerikas auf die Angriffe ist eine zivile. Tausende von Beamten fuhren am Mittwoch zur Arbeit in ihren Ministerien und Behörden in Washington. Die Terroristen haben das Land in Entsetzen versetzt; zum Stillstand konnten sie es nicht bringen. Der Westen zwischen den Hochhaustürmen: Unter den Augen der schreckenstarren Menge <font color="#FF0000">ist der Seiltänzer gestrauchelt. Abgestürzt ist er noch nicht</font>.
Quelle: http://www.faz.net[/b]
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