- lesenswert Teil1 - Holmes, 16.09.2001, 18:32
- Re: Scholl-Latour brachts auf´n Punkt - es wird schlimme Folgen für uns haben - Baldur der Ketzer, 16.09.2001, 18:41
- Kann es nicht sein, dass die Parteien sich zunaechst beim Volk anbiedern - Josef, 16.09.2001, 21:10
- Re: Kann es nicht sein, dass die Parteien sich zunaechst beim Volk anbiedern - Shakur, 16.09.2001, 22:50
 
 
 - Kann es nicht sein, dass die Parteien sich zunaechst beim Volk anbiedern - Josef, 16.09.2001, 21:10
 
 - Re: Scholl-Latour brachts auf´n Punkt - es wird schlimme Folgen für uns haben - Baldur der Ketzer, 16.09.2001, 18:41
 
lesenswert Teil1
Die Stunde der Patrioten
 Von Markus Deggerich 
 Tiefe Gräben verlaufen in Deutschland zwischen den Beschwörern der
 bedingunslosen Bündnistreue und den Mahnern vor einer Gewalteskalation. Die
 Politik gebiert einen neuen Patriotismus, Rhetorik ersetzt Strategie, Gefühl dominiert
 den Verstand. 
 
 Berlin - Des Kanzlers kräftige Hand schlug auf den
 Tisch. Es könne nicht sein, forderte Gerhard Schröder
 vor der SPD-Fraktion, dass die Verbündeten Amerikas
 jetzt nach dem Motto handelten:"Wasch mir den Pelz,
 aber mach mich nicht nass." Das Werben des
 Regierungschefs im eigenen zuletzt wackligen Laden
 für die Zustimmung zum"Nato-Bündnisfall" war
 erfolgreich: Die SPD-Bundestagsfraktion wird einen
 Bundeswehreinsatz zur Unterstützung der USA nach
 Einschätzung ihres Außenpolitikers Hans-Ulrich Klose
 konsequent mittragen. Der Vorsitzende des
 Auswärtigen Ausschusses des Bundestages sagte am
 Sonntag, anders als bei der Abstimmung über den
 Militäreinsatz in Mazedonien werde es diesmal nur sehr
 wenige Nein-Stimmen geben. 
 
 Wie soll man auf den Terror reagieren? Diskutieren Sie mit anderen
 SPIEGEL-ONLINE-Usern!
 Die Rhetorik wirkt. Maximal drei überzeugte Pazifisten gibt es nach Ansicht Kloses noch in
 der SPD-Fraktion. Die Terrorangriffe auf die USA hätten die Situation völlig geändert.
 Zweifel seien nicht erlaubt. Wer nicht mitmachen wolle, so Klose, müsse sich spätestens im
 Falle eines Anschlags in Deutschland fragen, ob er sich richtig verhalten habe. 
 So erpresst Moral den Verstand. In der deutschen
 Innenpolitik schlägt die Stunde der großen Worte und
 der Patrioten. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz
 (CDU) bot der Regierung am Sonntag eine"nationale
 Allianz der Entschlossenheit" an und brachte dabei
 auch die Beteiligung an massiven Militärschlägen der
 Bundeswehr ins Gespräch. Auch CSU-Chef Edmund
 Stoiber kennt keinen Parteien mehr:"Die Union ist zur
 Teilhabe bereit." Und CSU-Landesgruppenchef Michael
 Glos steht stramm im vorauseilenden Gehorsam zur
 Regierung:"Wenn es zu einem militärischen Einsatz
 der Bundeswehr kommen sollte, und es dafür keine
 rot-grüne Mehrheit gibt, kann Kanzler Schröder auf die
 Unterstützung der Union setzen". Selbst die PDS entdeckt ihr Herz für die Nato, Gregor
 Gysi, im Kosovo-Krieg noch schärfster Kritiker der Allianz, ist nun für"begrenzte
 militärische Aktionen." 
 Bündnisfall als Sündenfall? 
 Ein Nachdenken über den Bündnisfall kommt fast einem Sündenfall gleich. Noch ist völlig offen
 in welcher Weise die USA auf den Terror reagieren werden, welche Rolle die Bundeswehr und
 Deutschland dabei spielen sollen und welche Folgen das weltweit haben wird. Aber angesichts
 der Monstrosität der Tat vom 11. September gilt schon das Nachdenken über den richtigen
 Weg als unstatthaft:"Wir sollen, was immer wir selbst tun oder lassen, Amerika für seinen
 Vergeltungsschlag einen Blankoscheck ausstellen", schrieb die"Frankfurter Allgemeine" am
 Wochenende. 
 Die Größe des Ereignisses polarisiert, als gebe es nur noch
 blutgierige Falken und naive Friedenstauben. Zwischentöne sind
 verboten. Wer über die Ursachen und Folgen des Terrorismus
 und seiner Bekämpfung nachdenken will, dem wird die Fähigkeit
 zu Trauern abgesprochen, der ist herz- und pietätlos und
 vermutlich auch ein Vaterlandsverräter. 
 Gefühl oder Verstand 
 György Konrad, Präsident der Akademie der Künste in Berlin,
 machte am Wochenende in der Hauptstadt auf einer
 Podiumsdiskussion seinem Unbehagen über eine akademische
 Form der Diskussion Luft und forderte mehr Mitgefühl. Bei der
 Kamikaze-Aktion vom Dienstag seien"ganz normale Menschen
 wie wir" gestorben. Wenn man wenige Tage nach einem solchen
 Unglück"nur diskursive Formen findet, stimmt etwas nicht mit
 den Menschen." 
 Es gibt die Angst vor einer
 Eskalationsspirale: Nach
 der Kampfansage des
 US-Präsidenten George W.
 Bush an den Terrorismus
 haben Bundespräsident
 Johannes Rau und
 Außenminister Joschka
 Fischer vor überzogenen
 Vergeltungsschlägen
 gewarnt."Man darf am
 Ende mit den Reaktionen
 nicht mehr Instabilität
 schaffen, als dies davor der
 Fall war", mahnte Fischer
 am Sonntag. Bush hatte am
 Tag zuvor den Attentätern mit drastischen Worten Vergeltung angedroht:"Wir werden die
 Täter ausfindig machen, ihre Löcher ausräuchern, sie jagen und zur Verantwortung
 ziehen." 
 Johannes Rau:"Mit zivilen Mitteln reagieren" 
 Das deutsche Staatsoberhaupt ging dagegen am Wochenende als erster führender Politiker
 grundsätzlich zu Vergeltungsschlägen auf Distanz. Der Terror in den USA stelle einen Angriff
 auf die Zivilisation dar:"Und darum müssen wir mit zivilen Mitteln agieren". Ob er damit in
 der eigenen Partei noch Gehör findet, ist fraglich. Ein Nachdenken über die
 Verhältnismäßigkeit von Mitteln und ihre Folgen wird zum Tabu, wenn nur noch große
 Worte, Gesten und Gefühle regieren. 
 Raus Parteifreund, Innenminister Otto Schily, gab am Wochenende die Richtung vor: Er will
 im Kampf gegen den internationalen Terrorismus"alle polizeilichen und militärischen Mittel
 der freiheitlichen Demokratie" einsetzen. In einer Ansprache bei der Verleihung des
 internationalen Menschenrechtspreises am Sonntag in Nürnberg sagte der SPD-Politiker,
 Deutschland schulde den USA"eine Solidarität, die nicht bei Worten stehen bleiben wird".
 Die Deutschen schuldeten den Amerikanern"den größten Dank, den ein Volk schulden kann".
 Im Bundesfinanzministerium wird nach
 Informationen der Wochenzeitung"Die Zeit"
 darüber nachgedacht, dafür die Neuverschuldung
 über die bisherige Planung hinaus zu erhöhen, um
 nach den Terroranschlägen zusätzliche Ausgaben
 für diese innere und äußere Sicherheit zu
 finanzieren. Die Bundesminister für Verteidigung
 und Inneres, Rudolf Scharping und Schily, hätten
 bereits Kontakt mit Mitgliedern des
 Haushaltsausschusses im Bundestag wegen
 möglicher Konsequenzen für den Bundeshaushalt
 aufgenommen. 
<center>
<HR>
</center>
gesamter Thread:
Mix-Ansicht

