- Rezession / Damit ist es wohl amtlich... - Gatsby, 23.09.2001, 21:53
Rezession / Damit ist es wohl amtlich...
SPIEGEL ONLINE - 23. September 2001, 13:15
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11 Wall Street
Nach dem Terror die Rezession
Die patriotischen Schönredner ändern nichts an der Realität. Die Terroristen haben die US-Wirtschaft endgültig in die Rezession befördert.
DPA
New York - Amerikanische Politiker und Manager wollen es sich nicht eingestehen. Amerika ist stark, betonen sie. Inklusive der Wirtschaft. Eine Rezession kann man sich jetzt nicht leisten. Nicht jetzt, da man es den Terroristen zeigen muss.
Doch so hart es manches patriotische Herz treffen mag: Die Rezession ist da."Vorher waren wir bereits nahe dran. Die Attacke hat uns über die Kante geschubst", sagt David Wyss, Chef-Volkswirt von Standard and Poors. Zu derselben Einschätzung kommen von der Firma Blue Chip Economic Indicators befragte Ã-konomen: Die US-Wirtschaft wird mindestens das nächste halbe Jahr schrumpfen.
Die Ã-konomen von Economy.com beziffern den volkswirtschaftlichen Schaden der Attacke allein im September auf 25 Milliarden Dollar. Demnach haben die Terroristen das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal um einen ganzen Prozentpunkt gebremst: Statt 0,2 Prozent Wachstum erwarten die Forscher jetzt eine Schrumpfung um 0,8 Prozent.
Die Optimisten wenden ein, Krieg habe bisher immer für einen Wirtschaftsboom gesorgt. Sie bauen auf das gigantische, keynesianische Ausgabenprogramm der Bush-Regierung. Je 20 Milliarden Dollar an Soforthilfe für New York und das Pentagon, 15 Milliarden für die Fluggesellschaften, und vielleicht weitere 50 Milliarden für verschiedene Programme. Dazu kommt die kampfbereite US-Notenbank, willens, die Leitzinsen auf zwei Prozent zu senken. Unterstützend weisen sie darauf hin, dass sich die Wirtschaft nach katastrophalen Erdbeben oder Hurrikanen auch jedes Mal schnell wieder erholt hat.
Doch diese Katastrophe ist anders. Dieser Krieg wird keine Rüstungswirtschaft wie in der Vergangenheit hervorbringen. Nicht umsonst redet Bush von einem"neuartigen Krieg". Um einen Terroristen zu töten, reicht ein simples Gewehr, man braucht keinen zusätzlichen Flugzeugträgerverband. Auch der Erdbeben-Vergleich hinkt. Naturkatastrophen haben einen Einmal-Effekt. Sie sind schnell wieder vorbei. Der Kampf gegen den Terrror hingegen wird Jahre dauern. Und die Terroristen werden zurückschlagen. Das ist zumindest zu befürchten.
Diese Furcht ist es, die die US-Wirtschaft am meisten trifft. Schon vor der Attacke war die Unsicherheit der Verbraucher groß. Massenentlassungen und Aktienverluste drückten auf die Stimmung. Jetzt glauben bereits 47 Prozent der Amerikaner an die Rezession, berichtet das Conference Board.
"Die Terroristen haben den Schlüsselfaktor des Wachstums getroffen: das Verbrauchervertrauen", sagt Oxford-Professor Niall Ferguson im Salon.com-Interview."In einer gefährlicheren Welt werden nicht nur die Fluggesellschaften leiden."
Die Politiker sind alarmiert. Angefangen bei Präsident Bush appellieren sie an die Amerikaner, weiterhin einkaufen zu gehen - der Konjunktur zuliebe. Doch so wie aus der Patriotenrallye an den Aktienmärkten diese Woche nichts wurde, so werden auch die Einkaufs-Appelle wahrscheinlich nicht fruchten. Der Verbraucher entscheidet nach dem Gefühl in seinem Bauch, und das sagt ihm: Zurzeit läuft es nicht so gut.
Das Gefühl wird sich noch verstärken. Allein die Entlassungen in der Flugzeugindustrie würden die Arbeitslosenquote bis Mitte nächsten Jahres um 1,5 Prozent auf 6,5 Prozent anheben, sagt Wyss.
Eine weitere Bombe liegt im Staatshaushalt versteckt. Die Zeit der Defizite, unter Clinton erst 1997 beendet, könnte schon nächstes Jahr zurückkehren. Die momentane Spendierfreudigkeit der Bush-Regierung könnte den erwarteten Haushaltsüberschuss von 176 Milliarden Dollar vollständig ausradieren. Eine weitere Steuersenkung ist bereits im Gespräch. Die Rentenkasse, die bisher tabu war, steht zur Disposition. Nicht gerade beruhigend.
Auch von den Aktienmärkten ist kein Trost zu erwarten - im Gegenteil. Alle drei großen US-Indizes fielen diese Woche auf den Stand vom September 1998. Damit ist der New-Economy-Boom vollständig rückgängig gemacht. Der Dow Jones verlor diese Woche 14,3 Prozent - der schlimmste Wochenverlust seit der Großen Depression 1933. Der amerikanische Verbraucher wird noch lange nicht ruhig schlafen können.
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