- Im Keller - riwe, 24.09.2001, 09:07
Im Keller
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Das Museum ist nichts anderes als das Altenteil der Alltagswelt. Was sehen wir denn in den hehren Hallen? Den Wäschesack der Königin von Saba, das Schminkköfferchen der schönen Helena, die Perücke Karls des Kahlen und dergleichen altes Geraffel mehr. Und nun auch noch Aktien, wie uns eine Mitteilung der Schweizer Firma"FSG Swiss Financial Services" wissen läßt. Die muß es ja wissen. Und es ist fürwahr der rechte Moment. Jahrelang war eine solche Vorstellung absurd - jene Jahre, in denen Aktienbesitz eine stete Mehrung des Vermögens bedeutete; die Anteilseigner schwammen im Geld und lauschten wohlig dem Knistern der Banknoten zwischen ihren Zehen. Wer hätte da an die Musealisierung der wertschaffenden Anteile gedacht? Doch nun ist alles anders, und deshalb eröffnet im nächsten Jahr in Zürich prompt das erste Wertpapiermuseum. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Offiziell lautet die Begründung, daß ein Jubiläum gefeiert sein will. 1602 soll zum ersten Mal eine Beteiligungsgesellschaft auf Aktien gegründet worden sein, und die Schweizer Firma als edler Spender verdankt dieser Geistestat ihre heutige Rechtsform. Da möchte man sich revanchieren. Was wird in dem Museum zu sehen sein?"Sechstausend historische Wertpapiere aus hundert Ländern", heißt es. Eine heikle Aussage. Schafft es Vertrauen in die Aktie als Anlageform, wenn selbst ein Finanzdienstleister sie so herabwürdigt?"Historisch" klingt ja noch weniger wertbeständig als"bankrott", historisches Erbe braucht stete Zuwendung für Konservierung, Renovierung, Archivierung. Es ist latent bedroht von Mottenfraß und Korrosion, seine Dauerhaftigkeit ist das Resultat größter Mühen. Immerhin flößen die Namen Zuversicht ein, die sich als Unterzeichner auf den Anteilscheinen der Kollektion finden, denn sie simulieren ewige Werte und den Erfolg der Globalisierung: Cornelius Vanderbilt und John D. Rockefeller etwa bilden die amerikanische Sektion, Alfred Nobel und Thomas Alva Edison die skandinavischstämmige, Meyer Amschel Rothschild und Johann Wolfgang von Goethe die Frankfurter. All diese Schätze versammelte der Schweizer Konzern in jahrelanger Suche und mit unendlicher Geduld, immer das große Ziel vor Augen, der Welt etwas zu schenken, was sie noch nicht besitzt. Doch Obacht! Wenn das Zürcher Projekt wirklich das erste seiner Art werden will, muß es sich ein bißchen beeilen. Denn angesichts des Kursverfalls der letzten Wochen kann nunmehr jeder hergelaufene Mäzen, der sein Geld auf dem so lange belächelten Sparbuch oder in Schatzanleihen angelegt hatte, an einem einzigen Handelstag eine Kollektion aufbauen, die Abertausende Effekten aus aller Herren Ländern umfaßt. Uns blühen plötzlich ein, zwei, viele Wertpapiermuseen, denn so billig war deren Ausstattung noch nie zu bekommen. Und so behält das Wertpapierdepot selbst in der Krise seine Überlebenschance. Im Museumskeller.
apl
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.09.2001, Nr. 222 / Seite 47
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